piwik no script img

Probleme bei der VerkehrsberuhigungAusgebremste Kiezblocks

Das Verwaltungsgericht kassiert eine Durchfahrtssperre in Pankow. Der Fall zeigt, warum die Umsetzung von Kiezblocks so mühselig ist.

Poller aufgestellt, Verkehr beruhigt? Leider geht das nicht so einfach, wie sich immer wieder zeigt Foto: Jürgen Ritter/imago

Berlin taz | Kein störenden Durchgangsverkehr, dafür mehr Straßenraum für Kinder, Flanierende, Rad­fah­re­r:in­nen und alle, die im Viertel leben. Der Trend zum Kiezblock ist in Berlin ungebrochen – auch die schwarz-rote Landesregierung hat Verkehrsberuhigungen in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. In jedem Bezirk gibt es mittlerweile mehrere Initiativen, die sich für Verkehrsberuhigungen in ihrem Viertel einsetzten, immer mehr Bezirke trauen sich, Kiezblocks zu beschließen. Doch selbst wenn der politische Wille da ist, dauert die Umsetzung oft Jahre. Der Grund ist die übermächtige Straßenverkehrsordnung, die den Bezirken kaum Handlungsspielräume lässt.

Das vorzeitige Ende dreier Poller im Nesselweg, das ein jüngster Beschluss des Verwaltungsgericht besiegelte, verrät viel darüber, warum es mit der Verkehrswende nur schleppend vorangeht. Wer hier wohnt, im Pankower Ortsteil Rosenthal, mag es gern ruhig. Eine typische Vorstadt, in der sich ein Einfamilienhaus mit gepflegten Vorgarten an das nächste reiht. Doch bis vor Kurzem wurde die Ruhe von zahlreichen Autos und Lkws gestört, die die schmalen, nur mit Betonplatten befestigte Straße als Abkürzung und Stauumfahrung missbrauchten. Der Nesselweg verbindet nämlich zwei Hauptverkehrstraßen, die ins Zentrum führen.

Die An­woh­ne­r:in­nen fanden sich nicht nur in ihrem Ruheempfinden gestört, sondern sorgten sich auch um ihre Kinder. Denn die mussten sich ihren Schulweg nun mit durchbrausenden Lkws teilen, die auch gern mal auf den Gehweg ausweichen, wenn parkende Autos die ohnehin schon schmale Fahrbahn weiter verengten.

Also stellten die An­woh­ne­r:in­nen einen Antrag in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), man möge den Durchgangsverkehr im Nesselweg unterbinden. Die BVV, in der die Grünen am stärksten vertreten sind, stimmte diesem Antrag im Juni 2021 zu – mit Unterstützung der CDU-Fraktion. Nur etwas mehr als zwei Jahre später setzte das Bezirksamt den Beschluss tatsächlich um.

Eine Person klagte erfolgreich

Doch nicht alle freuten sich an der neu gewonnenen Ruhe: Eine Person klagte. Ihre Argumentation überzeugte das Gericht. „Die Straßenverkehrsordnung erlaubt Sperrungen einer Straße nur bei besonderen Gefahren“, erklärt Kathleen Wolter, Pressesprecherin des Verwaltungsgerichts, der taz. Und diese sei vom Bezirk nicht hinreichend begründet worden.

Die Gefahr, so das Verwaltungsgericht in der Urteilsbegründung, müsse „konkret“ sein und das „allgemeine Risiko“ erheblich übersteigen. Das subjektive Sicherheitsgefühl reicht dabei für den Nachweis nicht aus. Überzeugender hingegen sind Zahlen und Statistiken: überdurchschnittliche Verkehrsaufkommen, Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Unfälle.„Verwaltungstechnisch unsauber“

„Die Flüssigkeit und Leichtigkeit des Verkehrs sind nach der Straßenverkehrsordnung wichtiger als die Verkehrssicherheit“, kritisiert der Verkehrsexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Kristian Ronneburg. Der Beschluss des Gerichts sei ein weiteres Beispiel für die Reformbedürftigkeit des Gesetzes.

„An der Blockierung dieser pragmatischen verkehrssichernden Maßnahme zeigt sich, dass die Straßenverkehrsordnung und das Straßenverkehrsgesetz nicht mehr zeitgemäß sind“, meint auch die grüne Verkehrspolitikerin Oda Hassepaß.

Jede Menge Daten erforderlich

Im November scheiterte eine Novelle der Verkehrsordnung am Veto einiger Länder im Bundesrat: Sie hätte den Kommunen freiere Hand bei der Verkehrsplanung gelassen. Bis es zu einer Nachbesserung der Novelle kommt, müssen Bezirke weiterhin enorme Anstrengungen unternehmen, Kiezblocks und andere verkehrsberuhigende Maßnahmen rechtskonform zu begründen.

Dabei nutzen die Bezirke derzeit einen Passus, der Verkehrsberuhigungen zulässt, falls sie in ein „städtebauliches Konzept“ eingebunden sind. Dafür muss analysiert werden, wie sich die Durchgangsperren und andere Maßnahmen auf die Verkehrsströme in der Umgebung auswirken und wie diese umgeleitet werden sollen. Doch dafür braucht es jede Menge Daten, die in den meisten Fällen erst einmal erhoben werden müssen.

So stammen die Verkehrsdaten, die das Verwaltungsgericht im Falle des Nesselwegs heranzieht, aus dem Jahr 2019. Anhand der Daten muss dann jede Maßnahme ausführlich begründet, wobei der Grundsatz gilt, dass zunächst nur das „mildeste Mittel“ zur Anwendung kommen muss.

Pankows erster Kiezblock im Komponistenviertel ist exemplarisch für dieses Vorgehen. Seit Mai letzten Jahres gilt zunächst ein System aus Einbahnstraßen, das den Durchgangsverkehr verhindern soll. Werden diese missachtet, sollen Poller her. Vorausgegangen sind es Maßnahmen aus mehreren Verkehrszählungen und Analysen, durchgängig begleitet wird die Umsetzung von einem Forschungsteam der TU.

„Verwaltungstechnisch unsauber“

Selbst dann können Maßnahmen wie Durchgangssperren und Spielstraßen immer noch vor Gericht angefochten werden. Die Angst vor Klagen war ein wesentlicher Grund für das behutsame Vorgehens des Bezirks im Komponistenviertel.

Im Gegensatz dazu waren die Poller im Nesselweg ein Schnellschuss. Als „eine Einzelaktion und verwaltungstechnisch unsauber umgesetzt“, bezeichnet sie Ragnhild Sørensen vom Verkehrswende-Lobbyverein Changing Cities. „Es bleibt ein großes Missverständnis, dass ein Kiezblock nur aus Pollern besteht. Die Durchgangssperre ist nur eine von vielen Maßnahmen eines umfassenden städtebaulichen Konzepts.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!