Pro und Contra: Ruiniert Angela Merkel die EU?
War sie nun zu stur gegenüber der EU. Setzte sie gar den Zusammenhalt der EU aufs Spiel? Oder setzte sie genau auf die richtige Mischung von Sturheit und Hilfe gegenüber Griechenland?
P RO:
Angela Merkel macht es sowohl ihren Bewunderern als auch ihren Kritikern schwer. Wer ihre anfängliche Sturheit Athen gegenüber moniert - nach dem Motto der Bild-Zeitung "Ihr Griechen, ihr griecht nix" -, muss doch anerkennen, dass sie am Ende über ihren Schatten gesprungen ist. Zu der Griechenlandhilfe kommen jetzt noch deutsche Staatsgarantien bis zu 147 Milliarden als Beitrag zu einem präventiven Rettungsschirm für den Euro. Die Kanzlerin ist lernfähig, und die Finanzkrise bietet allen Politikern prägnante Weiterbildungschancen.
Aber und vielleicht nur, um die argwöhnischen Bild-Leser zu besänftigen: Je mehr Merkel sich den Geboten der europäischen Solidarität faktisch öffnet, desto lauter wird ihr Verlangen nach strikter Haushaltsdisziplin bei den lauen Südländern. Zunächst Griechenland, dann Portugal und Spanien sehen sich durch die Entwertung ihrer Staatsanleihen zu drakonischen Sparmaßnahmen gezwungen.
Italien, wo der Finanzminister Giulio Tremonti an einer Haushaltskorrektur von 25 Milliarden für die nächsten zwei Jahren bastelt, wird folgen. Die neue britische Regierung von David Cameron wird auch sparen müssen. Eine neue Rezession droht. Ist es vernünftig, diese Gefahr mit politischen Drohgebärden aus Berlin noch zu verschärfen?
"Es ist notwendig, dass sich ganz Europa einer neuen Stabilitätskultur verschreibt", sagte Merkel vorigen Mittwoch vor dem Bundestag. Herz von dieser neuen "Kultur", erläutert ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble, sei die deutsche "Schuldenbremse": ausgerechnet das hirnloseste Produkt des deutschen Stabilitätsfetischismus.
Es wurde vor einem Jahr von der großen Koalition per Verfassungsänderung durchgesetzt, als Ablasshandel, um sich die vernünftige, antizyklische Politik des Deficit Spending bei den Wählern verzeihen zu lassen: ab 2016 darf der Bund sich nicht über den 0,35 Prozent des BIP verschulden, ab 2020 dürfen die Länder gar keine neuen Schulden aufnehmen. Dieser rigide Schwachsinn, der jede vernünftige Wirtschaftspolitik unmöglich macht, soll jetzt die paneuropäische Medizin sein? Hoffentlich bleibt das Rhetorik.
GUIDO AMBROSINO
ist Deutschlandkorrespondent der italienischen Tageszeitung "il manifesto"
***
CONTRA:
Angela Merkel ruiniert den Euro" - diese These wird in Europa auf beiden Seiten des politischen Spektrums vertreten. Den einen hat die Kanzlerin nicht schnell genug gehandelt, um Griechenland mit frischem Geld aus den Klauen böser Spekulanten zu befreien. Die anderen kritisieren, dass mit ihrer Zustimmung zum 750-Milliarden-Rettungspakt eherne Prinzipien der Währungsunion verletzt wurden. "Kohl hats gegeben, Merkel hats genommen", kommentierte die Wirtschaftswoche am 17. Mai wehmütig auf ihrem Cover, einer Todesanzeige für den Euro.
Doch die Extremisten beider Seiten liegen falsch: Einerseits konnte nur durch Zögern vor der Griechenlandhilfe der nötige Druck aufgebaut werden, um den Internationalen Währungsfonds mit ins Boot zu holen und bei den Hellenen die notwendigen Maßnahmen durchzusetzen. Andererseits enthält der befristete Rettungspakt zweifellos problematische Elemente. Aber den Hauptzweck, Zeit zu gewinnen, hat er erfüllt. Und der Status quo ante der Eurozone war ohnehin reformbedürftig, seit Deutschland und Frankreich den Stabilitäts- und Wachstumspakt im Jahr 2003 geschwächt hatten.
Entscheidend ist, dass die Politik das teuer erkaufte Zeitfenster nutzt und noch im Juni eine tragfähige Architektur für die Währungsunion auf den Weg bringt. An der deutschen Entschlossenheit dürfte kein Zweifel bestehen, seit am vergangenen Mittwoch der 9-Punkte-Plan aus dem Finanzministerium bekannt wurde.
Die Kritik, dass Maßnahmen wie nationale Schuldenbremsen das Wachstum in Europa verringern würden, gründet auf oberflächlicher Lektüre seitens der Kritiker: Die deutsche Schuldenbremse zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie eine konjunkturgerechte Finanzpolitik ermöglicht, aber unnachgiebig bezüglich der strukturellen Verschuldung ist.
Die kluge Verbindung von Stabilität und Wachstum ist auch das richtige Rezept für Europa. Die positive Reaktion aus Paris zeigt, dass Merkel mit diesem Masterplan der entscheidende Schritt zur Rettung des Euros gelungen sein könnte.
NILS AUS DEM MOORE
ist Ökonom im Berliner Büro des RWI
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt