Pro und Contra Boykott von Marken: Die Macht der Konsument*innen
Die Paradise Papers zeigen, wie Konzerne Steueroasen nutzen. Kann man jetzt noch Nike-Schuhe oder iPhones kaufen?
Ja
D urch fiktive Lizenzzahlungen die Gewinne kleinrechnen, Geschäftssitze auf die Steuerparadiesinsel Jersey verlagern: Wenn man liest, was die Paradise Papers zutage gefördert haben – nämlich wie aggressiv Weltkonzerne wie Nike oder Apple Steuervermeidung betreiben –, dann fühlt man sich als steuerzahlender Bürger sehr, sehr hilflos. Und wütend. Am liebsten würde man diese Betrüger bestrafen, die am unteren Ende ihrer Wertschöpfungskette Arbeitnehmer und natürliche Ressourcen ausbeuten und am oberen Ende ihre satten Gewinne vor den Steuerbehörden verstecken: keine überteuerten Turnschuhe mehr kaufen. Und dann eben auch kein schickes iPhone mehr.
Doch hat man diese Wahl als Verbraucher wirklich? Leben wir wirklich in einer Konsumentendemokratie – oder ist der gute Konsum nicht eher eine Mutmachgeschichte, mit der sich Verbraucher die Tatsache schönreden, dass es kein Entrinnen gibt aus dem real existierenden globalen Kapitalismus? Wer statt Nikes Adidas-Schuhe kauft, begünstigt den nächsten Steuerbetrüger; auch Adidas taucht in den Paradise Papers auf. Und wer garantiert, dass andere Mobilfunkhersteller nicht auch ihre Gewinne verstecken? Es ist gar nicht so einfach, die Richtigen zu bestrafen.
Außerdem wird ein Konsumentenaufstand wenig bringen. Megamarktmächte wie Apple oder Nike können es locker verschmerzen, einige Tausend Käufer durch einen Shitstorm zu verlieren. Irgendwann wird der Glanz der Marke wieder größer sein als die Empörung.
Was Firmen, die systematisch ganze Volkswirtschaften schädigen, wirklich trifft, ist hartes und abgestimmtes politisches Handeln. Die Steueroasen müssen geschlossen werden, erst in Europa, dann auf der ganzen Welt. Erst wenn diese Oasen ausgetrocknet sind, zwingt das Konzerne, sich von der Strategie des Betrugs abzuwenden. Steuerflucht ist ein globales Problem, das politisch gelöst werden muss – und nicht auf die lokale Verantwortung Einzelner abgewälzt werden darf. (Nina Apin)
***
Nein
Die durch die Paradise Papers aufgedeckten Steuersparstrategien sind zum größten Teil legal. Sie verstoßen meist gegen kein Gesetz – und daran wird sich wahrscheinlich auch so schnell nichts ändern. Seit mehr als zwanzig Jahren gibt es zwar einen Standard, wie Konzerne besteuert werden sollen, die ihre Gewinne über Grenzen verschieben. Dass das in der Praxis aber nicht funktioniert, zeigen die immer wieder auftauchenden Steuerparadies-Leaks. Selbst innerhalb der EU lassen sich einige Lücken nicht schließen.
Unternehmen machen Milliardengewinne, und beim Staat kommt nichts davon an. Das bedeutet letztlich: weniger Geld für Infrastruktur, Bildung und Sozialausgaben. Natürlich sollte es Aufgabe der Staaten sein, ihre eigene Steuern einzutreiben. Wenn das aber nicht klappt, weil es zu viele Schlupflöcher gibt, muss der einzelne Verbraucher leider nachhelfen. Ein Unternehmen, das aktiv Steuern vermeidet, ist nicht unterstützenswert – egal, wie schick die Sportschuhe oder das neue Smartphone sind. Das gilt erst recht, wenn es sich bei den Produkten um Prestigeobjekte handelt, die besonders viel kosten.
Bewusster Konsum kann am Ende viel mehr erreichen als strengere Gesetze. Denn oft genug finden sich gerade für global agierende Konzerne Lücken in der jeweiligen Steuergesetzgebung. Brechen aber die Umsätze ein, dann ist das ein echtes Problem für die Unternehmen – und bewirkt womöglich ein Umdenken.
Wem das als Grund noch nicht reicht, der schaue sich die Verhältnisse an, unter denen viele multinationale Unternehmen produzieren. Oft genug sind sie geprägt von Armut, Kinderarbeit und Umweltzerstörung.
Kann man also noch Produkte von Konzernen kaufen, die ihre Umsätze um jeden Preis vergrößern wollen? Die Steuern zwar legal, aber völlig unstatthaft vermeiden? Die die Kosten bei der Herstellung immer weiter drücken? Irgendwann muss es doch einen Punkt geben, an dem die Verbraucher kein Auge mehr zu drücken. (Belinda Grasnick)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen