Pro Reli gescheitert: Ethik stärkt den Pluralismus
Bei der Volksabstimmung siegt in Berlin Ethik siegt über Religion. Gut für die Schule - denn so wird dort Subjektivität eingeübt.
Nun hat also in Berlin die Ethik über die Religion gesiegt. Ob das nun ein vehementes Statement war oder sich eher einem Desinteresse verdankt, ist damit nicht geklärt. Wobei natürlich auch das Desinteresse ein Statement wäre. Der Ausgang der Volksabstimmung hat jedoch in jedem Fall das Profil jener Institution geschärft, um die es dabei ging - die Schule.
Der Hitze des Gefechts entzogen, kann man nun noch mal über den eigentlichen Unterschied zwischen den zwei Unterrichtsfächern nachdenken. Und da zeigt sich, die ständig wiederholte Aufteilung - hier die wahren, ewigen Werte, dort der Wertepluralismus - geht am Kern der Sache vorbei.
Der entscheidende Unterschied lässt sich - vielleicht etwas unerwartet - am besten mit Marshall McLuhan benennen. McLuhans berühmte Medientheorie stützt sich auf eine wesentliche Differenz - jene zwischen Medium und Inhalt. Bei einem Medium geht es, so McLuhan, eben nicht um den Inhalt. Das Entscheidende ist nicht was, also welchen Inhalt ein Medium transportiert, sondern welche Wirkung es hat. Von daher rührt seine berühmte Formel "the medium is the message". Die Botschaft ist also nicht das, was inhaltlich vermittelt wird, sondern die Auswirkungen eines Mediums auf Individuum und Gesellschaft. Entgegen dem Alltagsverständnis hängt also die Identitätsbildung nicht an den Inhalten, sondern vorwiegend am Medium, an das das Subjekt angeschlossen wird.
McLuhan folgend könnte man demnach sagen, dass der Unterschied zwischen Religions- und Ethikunterricht nicht einfach an deren Inhalten festzumachen ist. Es handelt sich vielmehr um zwei ganz verschiedene Medien. Das heißt, sie haben ganz verschiedene Wirkungen.
Das Argument, hier würden Werte vermittelt, dort nicht, geht an der entscheidenden Frage vorbei. Nämlich, welche Wirkungen werden hier erzeugt, welche Art von Subjekten werden da hervorgebracht? Im Fall des Ethikunterrichts sind Wertvorstellungen oder religiöse Überzeugungen nur der Inhalt, während sie im Fall des Religionsunterrichts auch das Medium sind. Hier ist Religion nicht nur das, worüber gesprochen wird, sie ist kein objektives Wissen. Hier findet vielmehr eine Einübung ins Ritual statt, eine Weitergabe von Traditionen mit appellativem Charakter.
Denn im Religionsunterricht spricht man nicht nur über die gemeinsame Erzählung, hier wird das gemeinsame Heilige beschworen. Hier wird - und das gilt für alle monotheistischen Bekenntnisse - Religiosität performativ erzeugt. Das heißt, sie ist das, was entstehen soll, indem man darüber spricht.
Das Besondere am Religionsunterricht ist also nicht nur, dass er selektiv ist, sich nur an die Mitglieder einer Religionsgemeinschaft wendet, das Besondere ist auch seine Wirkung - nämlich Gläubige zu erzeugen. In dieser seiner Wirkung unterscheidet sich der Religionsunterricht von allen anderen Formen schulischer Wissensvermittlung. Er ist kein Unterricht wie alle anderen und in diesem Sinne unvergleichbar. Das ist per se noch nichts Schlechtes. Die Frage ist nur, ob Schule der angemessene Ort für solch eine Wirkung ist.
Denn in der öffentlichen Schule eines neutralen Staates sollte doch nicht Glauben, sondern Wissen, auch Wissen über Glauben erzeugt werden - wie etwa im Ethikunterricht. Dieser ist nicht die "Religion des linken Atheismus", wie man neulich lesen konnte, er erzeugt keine "gläubigen Atheisten". Er erzeugt überhaupt keine Gläubigen, da er stets die Distanz zu seinem Gegenstand offenhält.
Bestenfalls ist er Einübung in demokratische Subjektivität. Und das ist wohl die sinnvollste Antwort auf Probleme pluralistischer Gesellschaften. Religiöse Erzählungen und Werte sind durchaus Inhalte, die besprochen werden sollen. Aber durch ein Medium, dessen Wirkung ein Subjekt ist, das Wissen akkumuliert, nicht Glauben. Denn das ist genau jene Subjektivität, die der säkulare Staatsapparat "Schule" erzeugen soll. Das ist auch genau jene Identität, die eine pluralistische Gesellschaft braucht.
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