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Pro & Contra WowereitÜberlebt Wowereit das Debakel?

Bert Schulz
Uwe Rada
Kommentar von Bert Schulz und Uwe Rada

Klaus Wowereit ist der dienstälteste Ministerpräsident der Republik. Doch er hat über fast zwei Jahre hinweg einen Steuerbetrüger gedeckt.

In Bedrängnis: der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit. Bild: dpa

J A! Klaus Wowereit ist der dienstälteste Ministerpräsident der Republik und ganz sicher in der finalen Phase seiner Regentschaft. Aber es müssten schon sehr rasch eine ganze Reihe weiterer haarsträubender Enthüllungen ans Licht kommen, damit der Regierende Bürgermeister über den Steuerbetrug seines Kulturstaatssekretärs und Intimus André Schmitz (mit-)stolpert.

Phase eins seiner Amtszeit, parallel zur ersten rot-roten Koalition von 2002 bis 2006, war so etwas wie das Berliner Remake von „Cool Britannia“: Wowereit zehrte vom erfolgreichen Putsch gegen die abgewirtschaftete CDU und von seinem „Gut so“-Outing, gab den Regierenden Partymeister und machte aus Berlin eine internationale Marke, „arm, aber sexy“.

Phase zwei kann man als Zeit der Konsolidierung und des leisen wirtschaftlichen Aufschwungs bezeichnen.

Wowi muss sich erklären

Gleich drei Ausschüssen muss Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) am Montag zur Steueraffäre Schmitz Rede und Antwort stehen. Auf Druck der Opposition soll Wowereit in einer gemeinsamen Sondersitzung von Rechts-, Kultur- und Innenausschuss am Mittag begründen, warum er seinen Kulturstaatssekretär André Schmitz 2012 im Amt beließ, obwohl er von dessen Steuerhinterziehung wusste.

Wowereit war deswegen öffentlich und parteiintern stark unter Druck geraten. Trotz des Rücktritts von Schmitz am Dienstag kehrte der Regierungschef erst am Samstag aus einem einwöchigen Ski-Urlaub zurück. Der Staatssekretär hatte zugegeben, Erträge auf ein Guthaben in der Schweiz nicht versteuert zu haben. Am Nachmittag soll es zur Steueraffäre auch eine kritische Aussprache mit Wowereit im SPD-Landesvorstand am Nachmittag geben.

Die dritte schließlich begann mit der (nicht ganz so) Großen Koalition mit der Union 2011 und zeichnet sich durch Wowereits Konzentration auf zwei Ziele aus: An der Macht bleiben und den BER fertigstellen. Wowereit hofft darauf, dass er den Flughafen selbst eröffnen kann, noch 2015. Nur deswegen tut er sich den Aufsichtsratsvorsitz der Flughafengesellschaft wieder an, den er vor einem Jahr unter Druck abgeben musste.

Klar ist: Wowereit will nicht als politischer Stümper in den Geschichtsbüchern landen. Vielleicht kann er, nachdem er das rote Bändchen am BER zerschnitten hat, sogar erneut als Spitzenkandidat bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 antreten. Bis vor wenigen Tagen war die Stimmung in der Berliner SPD dafür nicht abgeneigt.

Das Ende von Wowereits finaler Regierungsphase ist gleichbedeutend mit dem Ende seiner politischen Karriere – eine Weiterverwendung in der Bundespolitik winkt ihm längst nicht mehr –, was seinen Durchhaltewillen eher stärken als schwächen dürfte. Dabei geht es dem Regierenden Bürgermeister längst nicht mehr ums Lenken. Das zeigt sich etwa daran, dass er die Affäre Schmitz in seinem Urlaubsdomizil auszusitzen versucht und aller scharfen Kritik zum Trotz erst am heutigen Montag, eine Woche nach Bekanntwerden der Affäre, persönlich dazu Stellung beziehen will.

Seine Partei, die seit längerem mit ihm hadert, machte es Wowereit leicht, mit seiner Taktik durchzukommen: die personellen Alternativen fehlen. Den politischen Ziehsohn – den heutigen Stadtentwicklungssenator Michael Müller – hat die SPD vor zwei Jahren demontiert, als sie ihn als Landeschef durch Jan Stöß ersetzte. Stöß wiederum, derzeit einziger möglicher Ersatzmann, wagt sich nicht aus der Deckung. Er muss es auch gar nicht, er ist gerade mal 40 Jahre alt und weiß: Wer zu früh putscht, den bestraft das Leben.

Stöß dürfte sehr genau beobachten, wie Wowereits Taktik sich auf die Chancen eines SPD-Wahlerfolgs 2016 auswirkt. Das wiederum hängt vor allem vom BER ab. Solange da nichts klar ist, nutzt Wowereits Kleben an der Macht allen – zumindest in der Berliner SPD. BERT SCHULZ

***

Nein! Keine Frage, Klaus Wowereit ist hart im Nehmen. Als ihm vor einigen Jahren vorgeworfen wurde, er sei amtsmüde, hängte er sich in den Wahlkampf – und gewann ihn fast im Alleingang. Und auch dass Berlins Regierender Bürgermeister, der ganz wesentlich das BER-Desaster mitvergeigt hat, jetzt wieder Chef des Aufsichtsrats ist, zeigt ebenfalls: Der Mann kann kämpfen. Er weiß, in welchem Ring der entscheidende Kampf ausgefochten wird.

Dieses Gespür hat Klaus Wowereit nun verlassen. Der SPD-Politiker hat über fast zwei Jahre hinweg einen Steuerbetrüger gedeckt, der als Kulturstaatssekretär über einen 773-Millionen-Etat zu entscheiden hatte und etwa ob die Tanzcompagnie von Sasha Waltz mehr Geld bekommt oder weniger. Wowereit hat nicht einmal seine Senatoren informiert, geschweige denn ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Und das in Zeiten, in denen die Bundes-SPD „Null Toleranz“ gegen Steuersünder fordert – 2013 mit ausdrücklicher Zustimmung des Berliner Regierungschefs, damals noch Parteivize.

Klaus Wowereit ging volles Risiko. Nachdem die Steueraffäre nun ans Licht gekommen ist, werden ihm seine Steherqualitäten nur noch bedingt nützen. Dass einer im Urlaub bleibt, wenn es im Roten Rathaus stürmt, mag in normalen Zeiten stille Bewunderung hervorrufen. Dieser Draufgänger, der pfeift halt auf die Regeln. Doch nun ist es ein Zeichen der Schwäche. „Wowi“, einst Liebling der Berliner und nun in Umfragen nur noch vor ein paar Piraten, muss abtauchen.

Dass es in naher Zukunft tatsächlich ernst werden könnte für Deutschlands dienstältesten Ministerpräsidenten, hat auch mit seinem aktivsten Gegenspieler zu tun. SPD-Landeschef Jan Stöß hat inzwischen genug Standing in der Partei, um Wowereit die Stirn zu bieten. Als dieser vor einer Woche wissen ließ, er halte an seinem Staatssekretär fest, berief Stöß eine Telefonkonferenz des Landesvorstands ein – ohne Wowereit zuzuschalten. Danach teilte er André Schmitz mit, er habe keine Rückendeckung mehr. Kurz darauf stellte Schmitz sein Amt zur Verfügung.

Stöß’ Alleingang ist zwar noch keine Palastrevolte. Doch im Palast des Klaus Wowereit haben die Aufständischen ein paar weitere Gemächer eingenommen. Damit werden auch die Karten neu gemischt. Bislang galt: Klaus Wowereit wird die Legislatur beenden und im Mai 2016 vier Monate vor den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus mitteilen, ob er noch mal antritt. Falls ja, sei noch genügend Zeit für eine Staffelübergabe 2018.

Dazu muss man wissen, dass Wowereit, der Mann mit Steherqualitäten, nur noch ein politisches Ziel hat: den Flughafen BER zu eröffnen, und zwar im Amt. Bislang hat seine Partei keinen Zweifel daran gelassen, ihm einen solchen Abgang zu gewähren. Nun aber wird Wowereit zunehmend zum Sicherheitsrisiko für die Berliner SPD. Die alte Formel – nur mit Wowereit kann man Wahlen gewinnen – gilt nicht mehr. Doch dann muss man auch nicht auf die BER-Eröffnung warten, um Wowereit aus seinem Palast zu jagen. UWE RADA

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
Uwe Rada
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.
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22 Kommentare

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  • Wenn man ehrlich ohne Vorurteile Bilanz zieht, kann man eigentlich nur zu dem Ergebnis kommen, dass es Berlin vor Wowereit schlechter ging als heute.

    • RW
      Rainer Winters
      @vulkansturm:

      Das haben die Menschen auch zu Hitler gesagt: "Der war gar nicht so schlecht. Der hat Autobahnen gebaut."

       

      Sie werden bei jedem Kriminellen etwas Gutes finden.

  • RW
    Rainer Winters

    Abtreten! Jetzt.

  • "Der Horizont des Berliners ist längst nicht so groß wie seine Stadt."

    (Kurt Tucholsky)

  • D
    D.J.

    Liebe Berliner, bitte versucht mir zu erklären: Was fand/findet nur der Großteil von euch an diesem überheblichen, jeglicher Selbstreflexion ledigen Typen? Und es ist ja nicht so, dass die Berliner SPD nur von Inkompetenz strotzen würde. Schließlich stünde z.B. ein erfrischend unideologischer Herr Saleh bereit.

  • PK
    Pro Klaus Wowereit

    Klaus Wowereit finde ich allemal besser, als die undemokratischen CDUler_innen und als die Grüns; die Linke wird leider, wenn die an der Macht ist, zur Wendehälsin.

    • @Pro Klaus Wowereit:

      Also ist Unfähigkeit mit Wowereit nicht so schlimm wie alles andere?

      • PK
        Pro Klaus Wowereit
        @Rainer B.:

        Es scheint mir für manche ZeitgenossInnen leicht zu sein, nur auf einer Person drauf rumzuhacken und sich an ihr abzuarbeiten.

        Das möchte ich nicht.

        Es gibt noch viele andere, die im Handeln Wowereit sicherlich nicht nachgestanden hätten.

        Ich hatte ja nicht geschrieben ob und (falls dem so sei) inwieweit und auf welche Weise ich Wowereit für unfähig hielte.

        Ich halte die Berliner Linke eben für wendehälsisch. Von der CDU ganz zu schweigen; die befördert ihre Interessen mittels Intrigantenstadl.

        • @Pro Klaus Wowereit:

          Wenn einer seit nahezu 13 Jahren regierender Bürgermeister von Berlin ist, wie sollte man da die zahlreichen Flops der Berliner Politik nicht mit ihm in Verbindung bringen können?

          Weil die Partys mit ihm immer so toll waren?

          Die angeblichen Eigenschaften der Linke sind da natürlich mal wieder gravierender. Wahrnehmungsfehler haben politisches Denken offenbar fast völlig verdrängt.

  • A
    Allesisdunkel

    Wer war wo breit?

    Wowereit?

    Zwei Jahre nichts gesehen - Party oder was?

    • @Allesisdunkel:

      In jedem Bundesland muss ein jeder Mionisterpräsident bei jeder Eröffnungsfeier, jedem grösseren Volksfest etc. anwesend sein. Nur bei Wowereit hatte dies zur Folge, dass er als "Partykönig" abgestempelt wurde. Wenn da mal nicht homophobe Klischees bei der öffentlichen Beurteilung ganz gewaltig mit eine Rolle gespielt haben. Schwule Politiker haben es in Deutschland immer noch schwerer als heterosexuelle. Egal ob sie van Beust, Westerwelle oder Wowereit heißen.

  • J
    joHnny

    ... Merkel überlebt trotz

    "vollstes vertrauen", div.

    plagiate etc. ...

  • Wowi steht so sehr über den Dingen, daß er die Bodenhaftung verloren hat. Das Weglächeln von Problemen funktioniert nicht mehr. Er hat es nur noch nicht gemerkt.

     

    Schade eigentlich, denn zu Anfang fand ich ihn erfrischend als OB

  • DI
    Das ist nicht gut so

    Was nicht alles wieder in Mode kommt. Rückkehr des Berliner Filz. Sehr toll.

    • B
      bürger
      @Das ist nicht gut so:

      Der Filz war leider nie weg.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Tja, Wowi, Null Toleranz. Gesagt ist gesagt.

    • GS
      gnadenloser Spötter
      @774 (Profil gelöscht):

      Gesagt ist dahergeschwätzt und längst wieder vergessen.

  • G
    Günni

    Alle haben sie Dreck am Stecken.

  • H
    Hans

    Wieso sollte er es nicht überleben? Hat jemand vor ihm das Leben zu nehmen?

    Etwas salopp formuliert.

    • @Hans:

      why not

      anders geht`s wohl nicht

  • S
    Stern

    Für die Berliner wäre es gut, wenn Wowereit, aber auch Henkel, die Wirtschaftssenatorin, Herr Nussbaum, die 2 Polizeipräsidenten und alle Gerichtspräsidenten gehen müssten.

    • S
      Sommerwiesel
      @Stern:

      Wir schicken alle vorderen in die Wüste und dann machen Sie das? Es kann ja dann nur besser werden. Herr Wowereit hat soviel Zunder von vielen Seiten gekriegt, auch in anderen Angelegenheiten, und doch soll er bleiben.