Privilegierte Privatjets und die EU: Wer sein Flugzeug liebt, fliegt
Privatjets wurden von EU-Reformen zur Dekarbonisierung teils verschont. Nicht zuletzt dank grüner Versprechen – und intensiver Lobbyarbeit in Brüssel.
Wegen Farbattacken auf einen Privatjet und einen Golfplatz auf Sylt sind am Freitag sechs Mitglieder der Klimagruppe „Letzte Generation“ verurteilt worden. In London haben Aktivisten von „Just Stop Oil“ jüngst zwei Privatflugzeuge orangefarben bemalt. Weltweit wächst der Unmut gegen ein Verkehrsmittel, das nur eine kleine Minderheit nutzt, das aber vergleichsweise großen ökologischen Schaden anrichtet. Doch eine Trendwende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil.
Der CO2-Ausstoß durch Privatflüge ist laut einer Studie zwischen 2019 und 2023 um nahezu 50 Prozent angestiegen. Die meisten Privatjets heben demnach in den USA ab, gefolgt von Europa. In Brüssel kann die Industrie auf einflussreiche Verbündete bauen, wie Recherchen der taz und ihrer Partnermedien zeigen. In den Hauptrollen: ein einflussreicher Vielflieger in leitender Position bei der EU-Kommission, ein vom Lobbyverband prämierter konservativer EU-Abgeordneter und ein Seitenwechsler von der FDP. Doch der Reihe nach.
Mehrfach berichtete die taz über die Vielfliegerei der EU-Kommission, insbesondere ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen. Der „Einsatz von Lufttaxis“ werde „von Fall zu Fall nach strengen Kriterien“ getroffen, stellt man dort auf Anfrage noch einmal klar. Doch auch andere stoßen beim Thema Privatfliegerei bei der EU-Kommission auf taube Ohren. Eindringlich hatten mehrere EU-Staaten, darunter Frankreich, die Niederlande und Österreich, schon im vorigen Jahr dafür plädiert, Flüge mit Privatjets europaweit zu besteuern und stärker zu regulieren. Die damalige Verkehrskommissarin Adina Vălean war dagegen und erklärte, dass sie lieber die Luftfahrt als Ganzes in den Blick nehmen wolle.
In den vergangenen Jahren hat Brüssel in der Tat zaghafte Versuche unternommen, die CO2-Bilanz der gesamten Luftfahrt zu begrenzen, etwa durch die schrittweise Einführung von SAF (sustainable aviation fuel), also sogenannten nachhaltigen Flugkraftstoffen, oder durch die Verpflichtung der Fluggesellschaften, ab 2026 für ihre CO2-Emissionen bei innereuropäischen Flügen zu bezahlen. Ein EU-Bürger wird deshalb schrittweise künftig mehr für sein Flugticket ausgeben müssen.
Nur das Volk zahlt drauf, Reiche nicht
Wer mit seinem Privatjet abhebt, ist von diesen Maßnahmen jedoch nicht in gleicher Weise betroffen. Was das Flugzeugkerosin betrifft, das nur von Privajets getankt wird, so wird es in der Europäischen Union noch immer nicht besteuert. Die angestrebte Überarbeitung der EU-Energiesteuerrichtlinie ist in eine Sackgasse geraten. Tatsächlich ist es der Industrie gelungen, einen Teil der Maßnahmen gewissermassen zu umfliegen.
Auf der Aero Friedrichshafen präsentieren sich Flugbenzinproduzenten wie Total umweltfreundlich. Von den Veranstaltern hatte der Konzern, der zugleich Sponsor der Messe war, in diesem Jahr einen grünen Ballon erhalten. Damit hebe man „Aussteller hervor, die sich dem Thema nachhaltige Luftfahrt besonders widmen“, heißt es. Ölkonzerne senden dieselbe Nachricht: Man wolle künftig sauberer fliegen, nicht weniger. Und alle preisen die SAF. Allein: Solche SAF werden bisher kaum getankt. Sie zu produzieren ist teuer und für kleine Flughäfen, die häufig von Privatjets angesteuert werden, schwer zu beschaffen.
Bei den SAFs wird unterschieden zwischen Kraftstoffen aus Biomasse, vor allem hydrierte Pflanzenöle, und synthetischen Kraftstoffen, die aus erneuerbaren Energien und CO2 erzeugt werden. Experten bezweifeln, dass künftig genügend SAF produziert werden können. Während die Biomasseressourcen begrenzt seien, koste die Herstellung der synthetischen Kraftstoffe viel Strom. Sascha Nick, Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne weist darauf hin, dass eine echte Dekarbonisierung der Luftfahrt nicht möglich sei, ohne die Zahl der Flüge zu senken.
Die Industrie sieht sich selbst in einem anderen Licht. Holger Krahmer, ein etwas schüchtern wirkender Mann mit ruhigen braunen Augen und weichem Händedruck, lädt an einem Morgen in sein Brüsseler Büro. Der ehemalige deutsche FDP-Europaabgeordnete wurde im Oktober 2023 zum Generalsekretär der EBAA gewählt. Die European Business Aviation Association vertritt über 700 Unternehmen in Europa. Flüge in Privatjets – die die Industrie Geschäftsflieger nennt – machen laut EBAA neun Prozent des gesamten europäischen Flugverkehrs aus. 400.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von ihr ab, sagt die Industrie.
„Wir sind keine Klimasünder“
Das Gespräch mit Krahmer findet unter den wachsamen Augen des Verbandssprechers in einem nüchternen Besprechungsraum statt. Krahmer und der Sprecher sagen, dass sie gezögert hätten, überhaupt ein Interview zu geben. „Es ist leider so, dass Business Aviation sehr klischeebehaftet ist“, so Krahmer.
Laut einer Studie des NGO-Verbands Transport & Environment verschmutzt ein Privatjet die Umwelt bis zu 14 Mal mehr als ein Linienflugzeug und sogar 50 Mal mehr als der Zug. Das sei „ideologischer Unsinn“, schimpft Krahmer. Darin werde „Klimaschutz und gesellschaftliche Ungleichheit in einen Topf geworfen“. Und er stellt klar: „Wir sind keine Klimasünder!“
Klar ist aber auch, dass Holger Krahmer bisher nicht gerade als Vorkämpfer des Umweltschutzes aufgetreten ist, schließlich wechselte er nach seiner Zeit als EU-Parlamentarier nahezu nahtlos als Lobbyist zu Opel und später zu Mercedes-Benz. Er fiel schon häufig durch seine klimaskeptischen Äußerungen auf. Es sei „unrealistisch“ zu glauben, dass es genügend Beweise für den „Einfluss des Menschen“ beim Klimawandel gebe, schrieb Krahmer 2011 in einem Essay zum „Realitätscheck für den Klimaschutz“.
In seiner neuen Funktion scheinen ihm diese Äußerungen unangenehm zu sein. Er wirkt überrascht, als man ihn darauf anspricht. Er habe die Aussagen damals „als Privatperson“ getätigt, rechtfertigt er sich und blickt hilfesuchend zu seinem Sprecher. „Heute sind wir doch schon viel weiter.“ Keiner werde mehr den menschengemachten Klimawandel bestreiten. Sein Sprecher nickt energisch.
Die Lobby ehrt sich und wehrt sich
Der Ex-FDP-Politiker sagt, es gehe ihm vor allem um die richtige Wahl der Mittel: Wie könne man die Herausforderung des Klimaschutzes angehen? Anstatt zu verbieten, würde er es vielmehr begrüßen, wenn es Brüssel gelingen würde, „wirtschaftliche und ökologische Interessen zu vereinen“, sagt Krahmer. Ohnehin verpflichte sich seine Branche freiwillig zu „Nullemissionen“ bis 2050, ganz im Einklang mit den Zielen der EU. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen die Unternehmen auf die alternativen Kraftstoffe, aber auch auf die Entwicklung neuer Technologien wie Wasserstoffantriebe.
Von Krahmers Büro aus sind es zu Fuß nur drei Minuten bis zur EU-Kommission. Den Weg kennen die Privatjet-Verfechter gut. Denn: Die einflussreichen Lobbyisten der EBAA wirken auch hinter den Kulissen. So erhielt der rumänische Europaabgeordnete Marian-Jean Marinescu, langjähriger Koordinator für Verkehrspolitik der konservativen EVP-Fraktion, auf der verbandseigenen Ebace-Messe in Genf 2017 den Europäischen Preis für Geschäftsluftfahrt der EBAA „für seine herausragende Rolle bei der Förderung der Interessen der Geschäftsluftfahrt“. Im Jahr 2020 wurde der gelernte Luftfahrtingenieur von der EBAA gar zum „Abgeordneten des Jahres“ gewählt.
Nach taz-Informationen hat Marinescu zwischen 2018 und 2022 geholfen, gleich mehrere Treffen mit Luftfahrtlobbyisten in seinem Büro in Brüssel und Straßburg auf die Beine zu stellen. 2019 lud er beispielsweise gemeinsam mit der Industrie zu einer „EU Aviation Night“.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die Forderung der Veranstaltung: Bloß keine Steuer auf Flugkerosin. Mehrfach agierte Marinescu im Sinne der Branche. 2022 dann votierte der Politiker gemeinsam mit anderen EU-Abgeordneten dagegen, dass auch die Geschäftsluftfahrt verbindlich SAF tanken muss. Einen zugesandten Fragenkatalog ließ der inzwischen ausgeschiedene EU-Politiker unbeantwortet.
Gesetze fallen nicht vom Himmel
Auch die Europäische Kommission ist nicht gegen diese intensive Lobbyarbeit gefeit. Der Este Henrik Hololei war lange Leiter der Direktion für Verkehr der Kommission, bevor er im März 2023 versetzt wurde, nachdem er wegen von Katar bezahlter Flüge in Verruf geraten war. Vertreter der Luftfahrtindustrie hatten den Vielflieger Hololei teils überschwänglich gelobt als „leidenschaftlichen Förderer und Wegbereiter der Liberalisierung des Luftverkehrs“ und „unseren Freund“.
Laut dem EU-Transparenzregister sprach die EBAA allein zwischen Februar 2018 und März 2021 dreimal mit dem Top-Beamten, niemand anderes bekam in dieser Zeit mehr Termine bei ihm. In einem der taz vorliegenden Protokoll eines dieser Treffen im Februar 2018 schreibt die EBAA, dass „Herr Hololei erklärte, dass er die Bedeutung einer verhältnismäßigen Regulierung für [ihre] Branche versteht“. Befragt zu dem Vorwurf einer zu großen Industrienähe ihres ehemaligen Top-Beamten erklärte die EU-Kommission, sie wolle „die Anspielungen gegenüber ihren Mitarbeitern“ nicht kommentieren.
Die Lobby-Arbeit der EBAA in Brüssel scheint sich noch in anderen Bereichen auszuzahlen. Auf Initiative der EU-Kommission wurde ein Teil der Geschäftsluftfahrt von einer europäischen Einrichtung ausgeschlossen: dem Emissionshandelssystem der EU. Dieses „Verursacherprinzip“ wird ab 2026 für die Linienluftfahrt gelten, die bislang über kostenlose Zertifikate verfügte. Unternehmen, die weniger als 729 Flüge pro Jahr durchführen oder weniger als 10.000 Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen, werden von dem System befreit.
„Die Befreiung wird als verhältnismäßig angesehen“, kommentiert die Kommission trocken. Auch anderswo konnte die Branche Ausnahmen durchsetzen. Von der schrittweisen Einführung der nachhaltigen Kraftstoffe sind auf Druck der EU-Kommission nur jene Fluggesellschaften betroffen, die mehr als 500 Flüge pro Jahr durchführen. Bei beiden außen vor: viele Firmenflugzeuge – und die meisten Privatflieger.
Dieser Text ist Teil der Serie „Dirty Sky“, die sich mit Privatjets in Europa befasst und wurde von Journalismfund Europe unterstützt. Weitere Partner dieses Projekts des Journalistenkollektivs We Report sind unter anderem Mediapart und Mediavivant aus Frankreich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Bombenattentat in Moskau
Anschlag mit Sprengkraft
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz