Privatschule im Brennpunktkiez: Freie Schule auch für Ärmere
Im Berliner Wedding eröffnet eine Schule für bildungsbenachteiligte Kinder. Private Förderer ermöglichen niedrige Schulgebühren.
BERLIN taz | Über den Namen wollten sie eigentlich noch einmal reden. „Quinoa – das ist doch so gar nicht Wedding“, heißt es bei einem Treffen der Schulgründer. Quinoa: auch Inkakorn genannt, erhältlich in Naturkostläden, gern gekauft von Liebhabern bewusster Ernährung.
Die sind rar im Berliner Bezirk Wedding, wo der „Bierbrunnen“ am S-Bahnhof Gesundbrunnen sich die Kundschaft mit „Deniz’ Fastfood Deluxe“ teilt. Ein paar Straßen weiter eröffnet ab August die Quinoa-Schule, eine freie Schule für Schüler von Klasse 7 bis 10.
So weit, so alltäglich. Es gibt unter den knapp 750 Berliner Schulen mittlerweile 117 Privatschulen. Deren Schülerschaft rekrutiert sich oft aus der weißen Mittel- und Oberschicht. Bei der Quinoa-Schule wird es anders sein. Zwei Drittel der Kinder unter 15 Jahren, die im Einzugsgebiet leben, kommen aus Hartz-IV-Haushalten, die Mehrheit hat einen sogenannten Migrationshintergrund. Genau diese Weddinger Mischung wollen die Gründer von Quinoa an ihrer Schule abbilden.
Ein Privatschule in einem Brennpunktviertel. Kann das gelingen? Die Gründer, Stefan Döring und Fiona Brunk, sind davon überzeugt. Beide Anfang 30, smart aussehend, studiert. Den Ausdruck „Privatschule“ mag Stefan Döring nicht. Das klinge so abgehoben. „Wir sind doch das Gegenteil von elitär.“
Schulen: Bundesweit gibt es laut Statistischem Bundesamt 5.650 Schulen in freier Trägerschaft. Nach Auskunft des Verbands Deutscher Privatschulen (VDP) wurden im vergangenen Schuljahr rund 90 neue Schulen gegründet.
Schüler: Rund 731.000 Schüler besuchten im Schuljahr 2012/13 eine private Schule und damit 8,5 Prozent aller Schüler.
Schulgeld: Der Staat bezahlt den privaten Schulen in der Regel das Personal. Laut VDP sind damit bis zu 65 Prozent der tatsächlichen Gesamtkosten abgedeckt. Alle Schulen erheben einkommensabhängige Elternbeiträge, im Schnitt 150 Euro monatlich, so der VDP. Eine Schule, die wie die Quinoa-Schule mehrheitlich auf Elternbeiträge verzichtet, ist laut VDP-Sprecher Florian Becker bisher "einzigartig". (ale)
Zwei Jahre im Kiez gearbeitet
Döring und Brunk haben zwei Jahre an einer Weddinger Oberschule gearbeitet, bezahlt von Teach First, einer Initiative, die Hochschulabsolventen vor dem Berufseinstieg an Brennpunktschulen schickt. „Als wir unterrichtet haben, merkten wir: Die Jugendlichen haben wahnsinnig viel drauf, aber der Bildungsweg wird leider nicht so erfolgreich abgeschlossen“, sagt Döring. Was auch an den Schulen liege. „Dort herrscht eher ein Gegen- als ein Miteinander.“
Brunk und Döring wollen es anders machen. Und zwar von Grund auf, deshalb die Entscheidung, gleich eine eigene Schule zu gründen. Denn eine bestehende Schulkultur zu drehen, sei doch wahnsinnig schwer.
Die Quinoa-Schule wird eine Ganztagsschule, in der das Fach Zukunft auf dem Stundenplan steht. Ab Klasse 7 werden die Schüler mit Praktika auf den Berufseinstieg vorbereitet. Es gibt wöchentliche Zielgespräche zwischen Schüler und Lehrer. Man kann Türkisch lernen. Später sollen auch Arabisch und Polnisch unterrichtet werden, die Herkunftssprachen der Schüler. Nach dem Schulabschluss sollen Mentoren die Schüler ins Berufsleben begleiten. Döring und Brunk haben sich vorgenommen, alle Schüler zu einem erfolgreichen Berufsabschluss zu bringen.
Mit ihrem Konzept überzeugten sie private Förderer und die Montessori-Stiftung. Die steuern 95 Prozent der Kosten bei. Die restlichen Ausgaben sollen Elternbeiträge decken. Die bemessen sich an den Kosten für den Kindergartenbesuch. Eltern, die Hartz IV beziehen, können ihre Kinder also gratis einschulen.
Es gibt Deutsch. „Oh, schade“
27 Anmeldungen brauchen Döring und Brunk, um die erste Klasse zu eröffnen. 30 sind es derzeit. Sie haben im Frühjahr an Weddinger Grundschulen geworben und zum Informationsabend eingeladen. Vor einer Theaterremise im dritten Hinterhof eines Miets- und Bürohauses im Wedding steht ein Aufsteller: „Quinoa – Bildung für hervorragende Lebensperspektiven“. Etwa 20 Männer, Frauen und Kinder sind gekommen, die meisten von ihnen aus dem Kiez. Döring begrüßt alle mit Händedruck und einer kleinen Verbeugung: „Toll, dass Sie hier sind. Das freut mich total.“
Mileva Mitrovic hat ihre Tochter Jovana mitgebracht. Ihr Sohn hat an einer staatlichen Schule keinen Abschluss gemacht, die Mutter ist verzweifelt. Tochter Mileva findet die Quinoa-Schule cool. „Es gibt keine Hausaufgaben. Und kein Deutsch.“ „Deutsch gibt es auch“, sagt die Mutter. – „Oh, schade“, sagt Jovana. „Ich hasse Deutsch. Da hab ich keinen Schimmer.“
Deutsch und Mathe verstecken sich im Fach Modulares Lernen. Unterrichtet werden die Lehrplaninhalte nach einem Baukastenprinzip: Die Schüler vertiefen sich wochenweise in ein Gebiet und docken an ihrem jeweiligen Wissenstand an. Daneben gibt es Projektwochen, zentral ist ein sechswöchiges Theaterprojekt: Die Schüler entwickeln ihr eigenes Stück und bringen es auf die Bühne.
Einen Theaterworkshop haben die Schulgründer im vergangenen Herbst an einer Weddinger Grundschule angeboten und ihr Schulkonzept im Kleinen getestet. Ein Teil der Mitspieler will jetzt auf die Schule wechseln. Unter ihnen Jovana.
Mutter Mileva Mitrovic seufzt. „Theater – dit wär wat für sie“, meint sie mit Blick auf ihre Tochter. „Aber man weiß zu wenig.“ Sie ist noch unschlüssig.
Wieso geben Firmen freiwillig Geld?
Ein Mann mit grauem Schnauzer will wissen, ob sein Kind von der Quinoa-Schule problemlos aufs Gymnasium wechseln könne. Döring versichert, das sei wie an den staatlichen Sekundarschulen jederzeit möglich. Die Unterrichtsinhalte seien dieselben. Der Mann ist dennoch nicht überzeugt. „Also ich hab Bauchschmerzen. Wieso sollten ihnen Firmen freiwillig Geld geben? Sie haben doch noch nicht einmal angefangen.“
Die Finanzierung für die erste Klasse sei fast gesichert, meint Döring ein paar Wochen später im Quinoa-Büro im gleichen Hinterhof. Man suche noch Mäzene für sechs Schülerstipendien à 6.000 Euro über vier Jahre. Und Laptops. Drei Lehrer wurden bereits eingestellt, der Mietvertrag für eine Bürotage um die Ecke gerade unterzeichnet. Vier Räume sind es – eine Cafeteria, ein Lehrerzimmer, zwei Unterrichtsräume. Für das erste Jahr reicht das, im zweiten Jahr will man in ein richtiges Schulgebäude umziehen.
Nimet Yildiz, eine junge Frau in schwarzer Lederjacke, hat den Anmeldebogen gleich am Infoabend ausgefüllt. Ihr Sohn Yusuf soll ab August auf die neue Schule: Weil es eine Ganztagsschule ist, weil die Kinder Türkisch lernen. Familie Yildiz ist erst vor Kurzem aus Mönchengladbach nach Berlin gezogen, ihr Sohn hatte Probleme im Berliner Schulsystem. Zurückhaltend sei er und schüchtern. Sie habe Angst, dass er in schlechte Gesellschaft geraten könne, sagt Nimet Yildiz. „Hier ist er einer der ersten Schüler. Das finde ich gut.“
Den Schulnamen lassen sie dann doch so. „Eine Pflanze, die die Weltbevölkerung ernähren könnte, deren Potenzial aber noch unterschätzt wird“, so Döring. Das passe doch irgendwie zu den Weddinger Kids.
Dieser Text wurde aktualisiert am 26.5.2014.
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