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Prestige-ObjektBrüchiges Skelett bei AKW-Neubau

Beim Bau des Atomreaktors von Areva-Siemens in Finnland sind neue schwere Mängel entdeckt worden. Ein Jahr lang sollen mangelhafte Schweißarbeiten geduldet worden sein.

Noch nicht mal fertig und schon ein Skandal: Atomkraftwerk in Finnland. Bild: reuters

Das Prestige-Neubauprojekt der Atomlobby steht womöglich auf höchst unsicheren Beinen: Beim finnischen Atomreaktor Olkiluoto 3, dem ersten nach dem Tschernobyl-GAU in Auftrag gegebenen europäischen Neubau, sind neue schwere Sicherheitsmängel bekannt geworden. Nach vertraulichen Dokumenten, die Greenpeace vorliegen, und Informationen des Politmagazins "Ajankohtainen Kakkonen" des öffentlich-rechtlichen finnischen Fernsehens YLE ist beim Bau des Skeletts des Fundaments offenbar in skandalöser Weise gepfuscht worden.

Die vom AKW-Konsortium Areva-Siemens angeheuerte französische Baufirma Bouygues hat demnach in den Jahren 2005 und 2006 Schweißarbeiten ohne irgendwelche Anweisungen an die Arbeiter und ohne nachfolgende Kontrolle und Dokumentation vorgenommen. Im Fernsehen berichtete ein finnischer Baukoordinator, dass es keinerlei Möglichkeit gegeben habe, die Qualität der fraglichen Arbeiten zu überprüfen. Denn über diese sei schon Beton gegossen worden, bevor kontrolliert werden konnte.

Die Informationen von Greenpeace gehen noch weiter. Demnach soll Areva-Siemens die Arbeiten abgenommen haben, obwohl man rechtzeitig Hinweise darauf hatte, dass die erforderlichen Vorschriften nicht eingehalten worden waren. Kein mehrgeschossiges Haus hätte so gebaut werden dürfen, wie es bei diesem AKW zugelassen wurde. Areva lehnte es bislang ab, diese Informationen zu kommentieren.

Offenbar war es dem Konsortium darum gegangen, Bauverzögerungen zu vermeiden. Denn um den Auftrag für das 1.600-Megawatt-Kraftwerk zu bekommen, hatte sich Areva-Siemens auf einen Festpreis eingelassen. Nun droht ein veritables Verlustgeschäft: Französische Wirtschaftszeitungen sprechen schon jetzt von einer Überschreitung der Kosten um mindestens 70 Prozent. Die projektierte Bauzeit hat sich fast verdoppelt. Statt wie ursprünglich geplant im kommenden Jahr soll Olkiluoto 3 frühestens 2012 fertig werden.

Dieser Plan könnte sich weiter verzögern. Greenpeace fordert jedenfalls angesichts der neuen Enthüllungen und unter Hinweis auf die lange Reihe von Verstößen gegen Bauvorschriften und Sicherheitsmängeln einen unmittelbaren Baustopp. Der Atomsicherheitsexperte Helmut Hirsch, der Einblick in die Dokumente über mangelhafte Schweißarbeiten nahm, spricht von "deutlichen Hinweisen auf unzureichende Arbeiten, welche auf eine schlechte Sicherheitskultur hinweisen". Man müsse "ernstlich besorgt sein über die Haltbarkeit des Reaktorgebäudes", vor allem bei Erdbeben oder einem Terrorangriff. Im finnischen Fernsehen vertrat Prof. Jukka Martikainen, ein Experte für Schweißtechnik, eine ähnliche Einschätzung: Fehlerhaft ausgeführte Schweißarbeiten könnten erheblichen Einfluss auf die Standfestigkeit eines Bauwerks haben, das 40 bis 50 Jahre lang extremer Hitze, Druck und Strahlung ausgesetzt werden solle.

"Atomkraft ist ja in sich selbst unsicher", sagt Martina Krüger, Energiekoordinatorin bei Greenpeace Stockholm: "Aber die ungesunde Sicherheitskultur, die bei Areva und deren Hunderten Unterlieferanten herrscht, steigert die Risiken mit diesem Reaktor noch zusätzlich drastisch." Olkiluoto sei ein warnendes Beispiel dafür, wohin der desperate Versuch der Atomkraftindustrie führe, zu beweisen, dass man solche Technik schnell und billig bauen könne.

Der Pfusch bei den Schweißarbeiten ist nur der bislang letzte Punkt einer langen Reihe von Skandalen beim Olkiluoto-Bau. 2.200 Punkte umfasst die Mängelliste der Überwachungsbehörde, des finnischen Strahlenschutzamts STUK. Die neuen Enthüllungen ließen in Finnland auch ansonsten atomkraftfreundliche Medien kritisch reagieren. Eine Mehrheit in der Bevölkerung lehnt mittlerweile einen weiteren Ausbau der Atomkraft ab. Wirtschaftsminister Mauri Pekkarinen hat eine Untersuchung angeordnet. Eine Notwendigkeit, den Bau abzubrechen, sieht er vorerst noch nicht: "Aber solche Fehler sind nicht akzeptabel."

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