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Pressefreiheit in der TürkeiAustrocknen der kleinen Zeitungen

Zensur funktioniert in der Türkei nicht nur über politischen Druck, sondern auch wirtschaftlich. Wer nicht spurt, bekommt keine Anzeigen.

„Zaman“ entgingen im vergangenen Jahr umgerechnet knapp 110.000 Euro, weil ihr die Anzeigen verwehrt wurden Foto: Deniz Toprak/dpa

Die unabhängige Presse in der Türkei, die nicht zu einem großen Konzern gehört, steht nicht nur politisch und juristisch, sondern auch wirtschaftlich unter Druck. Zum einen bekommt sie kaum Anzeigen und Werbung, obwohl sie diese zum Überleben dringend bräuchte. Zum anderen werden die staatlich kontrollierten Konkurrenzzeitungen, die sogenannten Poolmedien, technisch und personell so aufgerüstet, dass die Unabhängigen kaum mithalten können.

Anders als in Deutschland wird ein Großteil der Anzeigen staatlich verteilt – und geht vor allem an die regimetreuen Blätter. Es war schon immer so, dass sie die meisten Anzeigen erhalten. Da in der Türkei fast jede Mediengruppe mindestens drei Zeitungen hält, teilen die Blätter der zentralen Medienunternehmen die zugewiesenen Anzeigen untereinander auf. Während die Mainstreampresse so viele bekommt, dass täglich fast die Hälfte ihrer Seiten aus Reklame besteht, bleibt für die unabhängigen nur wenig übrig.

Der „Reklamekuchen“ setzt sich aus kommerzieller Werbung und aus Anzeigen von öffentlichen Einrichtungen zusammen. Deren Verteilung wird von einer Presseanzeigenanstalt koordiniert, die einem der stellvertretenden Premierminister unterstellt ist. Sie verteilt Annoncen auf über eintausend regionale und landesweite Zeitungen nach Kriterien wie Auflage und Angestelltenzahl.

Die Einkünfte aus diesen Annoncen belaufen sich auf insgesamt 350 Millionen Türkische Lira (109 Millionen Euro). Sie sind von existenzieller Bedeutung für die Zeitungen des Landes, sowohl für überregionale als auch lokale.

Verweigerung als Strafe

Die Macht der Anstalt beschränkt sich aber nicht nur auf das Verteilen der Anzeigen, sie kann sie auch verweigern. Und das tut sie in den vergangenen Jahren immer öfter. Die Differenz zwischen Anzeigen, die an regierungsnahe Blätter, und denen, die an nicht loyale Zeitungen vergeben werden, ist riesig. Im Jahr 2012 verdienten die regimetreuen mehr als das 120-Fache aus solchen Anzeigen als die nicht treuen.

Besonders drastisch zeigte sich das im vergangenen Jahr an der Zeitung Zaman, die als Regierungsgegner aus dem konservativ-islamischen Gülen-Lager bekannt ist. Dem Blatt entgingen 3.500.000 Lira (1.090.000 Euro), weil die Anstalt ihm die Anzeigen verweigerte. Die Zeitung machte das öffentlich und rief ihre Leserschaft zum Protest auf.

Der Großteil der Zeitungsanzeigen kommt von öffent­lichen Einrichtungen. Verteilt werden sie von einer staatlichen Presseanzeigen­anstalt und die bevorzugt die regime­treuen Medien

Aber es sind nicht nur die unabhängigen Medien, die unter der Presseanzeigenanstalt leiden, sondern auch die der religiösen Minderheiten. Einige der Zeitungen der armenischen, griechischen, jüdischen und aramäischen Gemeinschaften, die zum Teil seit fast einhundert Jahren publizieren, bekommen wegen ihrer „zu niedrigen Auflage“ oder „mangelnder gesetzlicher Regelung“ überhaupt keine Anzeigen zugeteilt.

Das bringt die Minderheitenpresse in einen Teufelskreis: Ihre Auflagen sind in der Tat gering, sie kriegen keine Anzeigen und werden weiter marginalisiert. Minderheiten leiden so ganz direkt unter der diskriminierenden Medienpolitik.

Opfer der Medienpolitik

Diese Politik der Anstalt forderte in den vergangenen Jahren immer wieder Opfer. Eines ist Apoyevmatini, die wichtigste Zeitung der griechischen Gemeinde, die in der Türkei nur noch gut zweitausend Angehörige zählt. Sie musste ihr Büro schließen, nachdem die Anstalt sie im vergangenen Jahr plötzlich, ohne die Redaktion zu informieren, aus ihrem Verteilungsprogramm nahm.

Drei Jahre lang hatte die Anstalt die Minderheitenpresse mit beliefert, auf Basis einer willkürlich getroffenen mündlichen Vereinbarung. Am Ende der drei Jahre wurde die Unterstützung eingestellt, ohne die betroffenen Zeitungen vorher zu benachrichtigen. Für alle unabhängigen Zeitungen einschließlich der Minderheitenpresse wird es immer schwieriger, sich über Wasser zu halten.

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