Pressefreiheit in Taiwan: Alarmierende Entwicklung
Taiwans Regierung mischt sich massiv in die Medien ein. Beschwerden über unzulässige Einflussnahme auf die Medien werden häufiger. Doch viele Journalisten fügen sich.
TAIPEH taz | Dass China in Ranglisten der Pressefreiheit stets einen der letzten Plätze belegt, ist keine Überraschung. Doch nun lässt die Entwicklung in Taiwan, der kleinen Demokratie im Schatten der Volksrepublik, bei internationalen Beobachtern die Alarmglocken schrillen. Nachdem das Land lange als Musterbeispiel für freie Berichterstattung galt, geht die Entwicklung nun in die andere Richtung. In der neuesten Rangliste der amerikanischen Organisation Freedom House steht Taiwan nur noch auf Platz 47 und hat in zwei Jahren 15 Plätze verloren. Bei Reporter ohne Grenzen (ROG) fiel Taiwan gar um 23 Plätze zurück auf Rang 59 - hinter die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong.
Beschwerden über unzulässige Einflussnahme auf die Medien häufen sich seit dem Regierungswechsel Mitte 2008, als die 23 Millionen Taiwaner die Kuomintang (KMT) wieder an die Macht wählten - die Partei des früheren Diktators Chiang Kai-shek. Die 1949 vom Festland nach Taiwan geflohenen Nationalchinesen hatten die Insel vier Jahrzehnte beherrscht und tausende Regimegegner hinrichten lassen. Erst 1996 wählten die Taiwaner erstmals ihren Präsidenten selbst. Obwohl die KMT sich mittlerweile zur Demokratie bekennt, befürchten Kritiker Verhaltensmuster aus der Zeit der Alleinherrschaft. "Sie haben einmal die Macht verloren und wollen jetzt sicherstellen, dass das nicht wieder passiert", sagt Chuang Feng-chia, Vorsitzender von Taiwans Journalistenverband. "Dafür müssen sie die Medien unter ihre Kontrolle bringen."
Verbände wie ROG beklagen vor allem Versuche der Regierung, staatliche Medien inhaltlich zu beeinflussen. So wurde bei Taiwans Nachrichtenagentur CNA der frühere KMT-Wahlkampfsprecher stellvertretender Präsident - ohne journalistische Erfahrung. Regierungs- oder chinakritische Meldungen wurden Berichten zufolge intern zensiert. Ähnlich zugehen soll es auch beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen PTS und dem Auslandsrundfunksender RTI.
Die Regierung weist die Vorwürfe zurück und besteht darauf, sich nie in die Belange der Medien eingemischt zu haben. Schließlich seien Taiwans Zeitungen jeden Tag voll mit Kritik an der Regierung, sagt Premierminister Wu Den-yih.
Viele Medien - auch private - ließen sich mittlerweile sogar von der Politik für maßgeschneiderte Beiträge bezahlen, die wie redaktionelle Berichte aufgemacht werden. Verbreitet sei unter Reportern auch die Selbstzensur, sagt Jenny Hsu von der oppositionsnahen Taipei Times. Oft höre sie von Kollegen, die für eher regierungsnahe Medien arbeiten: "Das brauche ich gar nicht erst zu schreiben, das streicht mein Redakteur sowieso wieder raus." Die Journalisten wüssten mittlerweile, was von ihnen erwartet wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
HTS als Terrorvereinigung
Verhaftung von Abu Mohammad al-Jolani?