Pressefreiheit in Myanmar: Wo Journalismus ein Verbrechen ist

In Myanmar werden regelmäßig Journalisten verhaftet und gelegentlich getötet. Viele sind inzwischen im Exil. Doch auch dort sind sie bedroht.

Die Beine in Stiefeln von Soldaten auf der Straße

Die Militärregierung in Myanmar behandelt Journalismus als Verbrechen Foto: Lynn Bo Bo/ ´epa-efe

Dem Satz „Journalismus ist kein Verbrechen“ folgt bei mir immer der Gedanke: „außer in Myanmar“. Denn in Myanmar behandelt die Militärdiktatur Journalismus als Verbrechen, wie die brutale Unterdrückung und Ermordung von Medienschaffenden durch das Militär beweist.

Kürzlich las ich auf einer Online-Nachrichtenseite, dass zwei mir bekannte Journalisten zu drastischen Strafen verurteilt wurden: Der 41-jährige Myo ­Myint Oo wurde zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt, der 49-jährige Aung San Oo zu 20 Jahren Gefängnis. Zusammen mit der Nachricht wurde ein Foto veröffentlicht, das die beiden Seite an Seite zeigt. Beide arbeiteten bei Dawei Watch, einer in der Reformära 2012 gegründeten digitalen Multimedia-Nachrichtenagentur aus der Hafenstadt Dawei, Hauptstadt der süd­my­an­ma­ri­schen Tanintharyi-Region.

Der Anblick ihrer Gesichter auf dem Foto machte mich tief traurig und sprachlos. „Einer nach dem anderen werden mir die Menschen genommen, die ich kenne“, war mein erster Gedanke. Dass ich sie persönlich getroffen hatte, verstärkte meine Trauer. Ich hatte sie vor dem Militärputsch vom 1. ­Februar 2021 mehrfach auf Konferenzen zur Entwicklung der Medien in Myanmars südlichen Regionen getroffen. Sie waren auch Mitglied geworden in dem von mir mitgegründeten Journalistennetz für Südmyanmar. Es liegt seit dem Putsch brach.

Besonders erinnere ich mich an Myo Myint Oo, der „lebenslänglich“ bekam. Er sprach immer mit einem Lächeln und strahlte eine Ruhe aus, die man in seinen Augen spüren konnte. Durch die Haft musste er seine alte kranke Mutter allein lassen. Nach dem Putsch hatten ihm Kollegen von Dawei Watch geraten, sich außerhalb des Landes in Sicherheit zu bringen. Aber er sagte: „Ich kann doch meine Mutter nicht allein lassen.“ Nun hat er sie gegen seinen Willen zurücklassen müssen.

Vom Militärkommando verhaftet

Den anderen Journalisten, der zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, hatte ich nur kurz kennengelernt. Als ich Aung San Oos Foto sah, war es, als kannte ich ihn gut. Er liest und schreibt leidenschaftlich gern, seine Artikel sind scharfzüngig und aufschlussreich. Er hatte sich sehr auf seine journalistische Arbeit konzentriert, musste aber jetzt seine Frau und zwei kleinen Kinder zurücklassen. Zu wissen, dass seine Familie vollständig von ihm abhängig war, macht es unerträglich, daran zu denken, wie sie es jetzt ohne ihn schaffen sollen.

Beide Journalisten waren in der Nacht des 11. Dezember 2023 von einem großen Militärkommando in ihren Häusern verhaftet worden. Kyaw Swa Min, der Chefredakteur von Dawei Watch, schrieb mir: „Die beiden haben von Beginn an für Dawei Watch gearbeitet. Als das Militär sie mitnahm, drohten die Soldaten auch die Angehörigen festzunehmen, sollten die Reporter nicht ihre Handys und Computer aushändigen.“

Die Familien hatten keinen Kontakt zu den Festgenommenen, bis die Behörden sie im Februar und Mai 2024 informierten. Und von den langen Haftstrafen erfuhren die Familien erst kürzlich im August, als sie beide im Gefängnis besuchen konnten. Die Urteile waren von einem Militärtribunal im Gefängnis unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefällt worden. Die Angehörigen waren weder über Anklagepunkte und Urteilsbegründungen informiert worden, noch hatten die Verurteilten einen Rechtsbeistand. Zudem wurden sie laut Dawei Watch bei ihren Verhören geschlagen.

Aung San Oo, left, and Myo Myint Oo stehen vor ihrem Büro

Aung San Oo (links) und Myo Myint Oo vor dem Büro des von Dawei Watch Media im Jahr 2020 Foto: Zaw Zaw/ap

Seit dem Putsch 2021 kämpfen Myanmars Journalisten ­damit, einer Festnahme, langen Haftstrafen oder gar dem Tod zu entgehen. Viele flohen ins Ausland, wegen der Nähe meist nach Thailand, wo Schätzungen zufolge 180 im Exil sind, oft in den grenznahen nördlichen Städten Mae Sot und ­Chiang Mai. Einige gelangten legal per Flugzeug nach Thailand, aber die meisten mussten illegal zu Fuß die Grenze überqueren und müssen nun Festnahmen und Abschiebung nach Myan­mar fürchten.

Einige Journalisten sind auch in Myanmar geblieben und berichten jetzt klandestin, unter großer Gefahr für Exilmedien. Am 21. August wurden der 26-jährige Win Htut Oo, ein Reporter für das Exilmedienhaus Democratic Voice of Burma (DVB), und der 28-jährige freie Journalist Ko Htet Myat Thu bei Razzien in ihren Häusern im südlichen Mon-Staat erschossen. Ihre Leichen wurden nicht an ihre Familien zurückgegeben, sondern vom Militär verbrannt, wie myanmarische Nachrichtenagenturen berichten. Ich hatte selbst bei DVB, das mit norwegischer Hilfe gegründet worden war, Journalismus gelernt und von 2009 bis 2018 als dessen Rundfunk- und Videoreporter für den Süden Myanmars gearbeitet.

Propagandist oder Terrorist

„Das Militär zwingt Journalisten entweder seine Propaganda zu verbreiten oder als Terroristen abgestempelt zu werden“, sagt Chefredakteur Kyaw Swa Min von Dawei Watch. Regelmäßig werden Journalisten verhaftet und gelegentlich getötet und dann in den sozialen Medien als bewaffnete Terroristen dargestellt. Im Fall der beiden jüngst Getöteten bezeichnete das Militär sie als Personen, die mit Widerstandskräften in Verbindung gestanden haben sollen. Nachrichtenagenturen bestätigten jedoch später, dass es sich um Journalisten handelte. Mit ihnen wurden seit dem Putsch laut Reporter ohne Grenzen insgesamt sieben Medienschaffende getötet.

Die größten Herausforderungen für die Exilmedien sind das wirtschaftliche Überleben sowie mangelnde Rechte. Als sich die Medien noch in Myanmar befanden, waren die meisten auf Anzeigen und die Unterstützung internationaler Organisationen angewiesen. Mit der Flucht ins Ausland fielen die lokalen Anzeigen weg.

Denn Geschäftsleute, die in Exilmedien werben, riskieren die Rache des Militärregimes. Jetzt sind die Exilmedien umso mehr von internationalen Organisationen abhängig. Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse sowie Presseausweise zu erhalten ist im Exil ebenso ein so großes Problem wie für die wenigen, die noch innerhalb Myanmars tätig sind.

„Wir stehen ständig unter Druck, weil wir uns fragen, ob wir wegen eines Fehlers ins Gefängnis kommen oder dem Gesetz des Dschungels unterliegen. Deshalb muss ich die Zensur selbst sehr sorgfältig handhaben“, sagt Nay Myo Lin, Chefredakteur von Voice of Myan­mar (VOM). VOM ist immer noch innerhalb Myanmars tätig und wird von einem eigenen Privatunternehmen finanziert.

In Myanmar gibt es nur noch eine Handvoll Medien. Sie alle müssen unter strenger militärischer Zensur arbeiten. Exiljournalisten werfen den in Myan­mar verbliebenen Medien vor, Kollaborateure und Propagandisten des Militärs zu sein. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Myanmar auf Platz 171 von 180 Staaten.

Mindestens 62 Medienschaffende sitzen demnach derzeit wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Laut dem International Center for Not-For-Profit Law (ICNL) in Washington, D. C., wurden in Myanmar seit dem Putsch im Februar 2021 bis zum Juni 2024 insgesamt 208 Journalisten verhaftet. 153 sind inzwischen wieder frei.

Doch sind Myanmars Journalisten inner- wie außerhalb des Landes bedroht. „Wir fürchten, dass das Militärregime die thailändische Regierung unter Druck setzt, uns zu verhaften, sobald wir mehr Anerkennung erlangen“, sagt Kyaw San Min von Dawei Watch.

Übersetzung aus dem ­Englischen: Sven Hansen

Der Autor ist ein freier Videojournalist aus dem Süden Myanmars. 2019 nahm er an einem Journalistenworkshop der taz Panter Stiftung in Berlin teil. Nach dem Putsch in Myan­mar konnte er sich dort mehrere Monate verstecken. Seit Dezember 2021 arbeitet er mit Unterstützung der Stiftung als Videofilmer und Fotograf in Berlin.

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