Pressefreiheit in China: Große Halle, kleiner Mut
Bei Merkels Besuch sollten einige Journalisten draußen bleiben. Die Situation wurde entschärft. Aber das Thema Hongkong macht China nervös.
Beinahe wäre es passiert: Einigen deutschen Journalist*innen sollte in Peking der Zutritt zur Pressekonferenz mit Angela Merkel und Li Keqiang verwehrt werden. Die Bundesregierung bezeichnet die Situation inzwischen als entschärft. Doch der Fall wirft die Frage auf, wie China in Zeiten der Hongkong-Proteste auf die ausländische Presse reagiert.
Die Kanzlerin hatte am Freitag die chinesische Hauptstadt besucht und dort den Premierminister Li Keqiang getroffen. Merkel war in diesem Zusammenhang unerwartet deutlich in ihrer Einschätzung der Proteste in der Sonderverwaltungszone Hongkong geworden. Sie begrüßte, dass die Hongkonger Regierung kurz zuvor den Forderungen der Demonstrierenden nachgekommen war und das umstrittene Auslieferungsabkommen mit Festlandchina zurückgenommen hatte. Sie äußerte zudem ihre Hoffnung, dass die Hongkonger Aktivist*innen künftig „im Rahmen bürgerlicher Freiheiten“ am Dialog teilnehmen können.
Der Tagesablauf am Freitag war offenbar ursprünglich so geplant gewesen, dass Merkel, nachdem sie mit militärischen Ehren begrüßt worden war, mit dem Premierminister vertraulich sprechen und anschließend vor der Presse mit ihm zusammen in der Großen Halle des Volkes auftreten würde. Die Große Halle des Volkes ist ein Kongressgebäude, das die chinesische Regierung neben den Parteikongressen der Kommunistischen Partei für Anlässe von nationaler Bedeutung nutzt, so wie eben Staatsbesuche.
Nach Darstellung der Nachrichtenagenturen wurden allerdings einige Journalisten kurzfristig von dem Tagesordnungspunkt in der Großen Halle ausgeschlossen. Das betraf die ortsansässigen deutschen und internationalen Journalist*innen, wie dpa und AFP am Freitag vermeldeten. Nur chinesische Berichterstatter sowie mitgereiste Journalist*innen sollten zunächst Zutritt zur Großen Halle erhalten, was von chinesischer Seite mit begrenzter Kapazität begründet wurde. Die Große Halle des Volkes hat allerdings über 10.000 Sitzplätze.
Längere Verhandlungen
Der Besuch der Kanzlerin, obwohl zur Verständigung über Handel und wirtschaftliche Beziehungen anberaumt, fiel mitten in die Zeit des Konflikts zwischen den Hongkonger Protestierenden und der Regierung der ehemaligen britischen Kronkolonie. Die kommunistische Parteiregierung der Volksrepublik war bisher nicht in der Situation, sich öffentlich und unvorbereitet zu den Protesten äußern zu müssen. Möglich, dass die chinesische Seite daher am Freitag versuchte, durch das Kleinhalten der Journalistenzahl eine solche Situation zu vermeiden.
Aus Sicht der Bundesregierung hat sich die Sache von selbst geklärt. Die „Irritationen“, wie die Lage zwischenzeitlich bezeichnet wurde, waren noch im Laufe des Tages verschwunden, als schließlich nachträglich vier weitere deutsche Journalisten zugelassen worden seien. Ein Regierungssprecher sagte der taz am Montag: „Alle deutschen Journalisten, die an der Willkommenszeremonie teilgenommen haben, erhielten letztlich auch Zugang zur Pressekonferenz.“ Der Sprecher äußerte sich nicht im Detail. Zwischenzeitlich hieß es aus Korrespondentenkreisen, es habe längere Verhandlungen gegeben.
Damit waren aber offenbar letztlich nicht alle Journalisten in der Großen Halle, die daran berechtigtes Interesse gehabt hätten. Nach taz-Informationen waren einige Journalisten nach der kurzfristigen Ankündigung gar nicht erst zur Zeremonie gekommen, weil sie nicht damit rechneten, anschließend zum Pressetermin zugelassen zu werden. Zudem sei jedem letztlich zugelassenen Journalisten nur je eine Frage zugestanden worden, sagte die dpa.
Für gewöhnlich ist es bei Staatsbesuchen dem Gastgeberland überlassen, nach eigenen Regeln und Gepflogenheiten die Presse zu bestimmten Terminen zuzulassen oder sie auszuschließen. Das Gastland kann in diesem Fall nur im Hintergrund versuchen, zugunsten der freien Berichterstattung einzuwirken.
Dennoch bezeichnete die dpa die Sache als „einmaligen Vorgang“. Kritik am Vorgehen der chinesischen Regierung äußerten auch der Deutsche Journalistenverband und der Club der Auslandskorrespondenten in China. Die Verbände befürchten, die chinesische Regierung könnte aufgrund der Hongkong-Proteste die Arbeitsbedingungen der ausländischen Journalist*innen weiter einschränken.
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