Pressefreiheit in Bolivien: Die Flucht in die Nische
Die Regierung Boliviens setzt den unabhängigen Journalismus unter Druck. Amalia Pando hält mit ihrem Radioformat „Cabildeo“ dagegen.
Gerade hat die 66-jährige Journalistin das Mikrofon abgeschaltet und räumt ihre Unterlagen in die Tasche. „Wären Sie früher gekommen, hätten wir Sie gleich interviewt“, scherzt die Frau, die in Bolivien seit Jahrzehnten für politische Analyse steht. Provokant, kritisch und oft salopp agiert die Frau vor der Kamera und vor dem Mikrofon.
Doch derzeit ist es nur noch ein kleiner Kreis von Intellektuellen, Politikern und Fans, der ihr folgt. „Wir sind nur noch übers Internet zu sehen, zu hören und zu lesen, sind ein Nischenformat“, klagt Pando und nennt auch gleich den Grund dafür: „Die Regierung hat die fast vollständige Kontrolle über die Medien in Bolivien übernommen. Kritische Journalisten haben in den großen Medien des Landes keine Chance mehr – flüchten sich in Nischen, so wie wir“, meint sie.
Eine Einschätzung, die Franz Chávez von der Nationalen Pressevereinigung (ANP) teilt. Sein Job ist es auf der Webseite der Organisation Verstöße gegen die Pressefreiheit zu dokumentieren, und davon gab rund um die Wahlen vom 20. Oktober reichlich.
„Wer nicht spurt, erhält keine Anzeigen“
Doch er sieht auch strukturelle Probleme, die die Existenz von Medien bedrohen und in die Berichterstattung eingreifen: „Die Regierung nutzt ihre Position als wichtigster Anzeigenkunde als Instrument, um die Berichterstattung zu konditionieren“, so Chávez. „Wer nicht spurt, erhält keine Anzeigen“, schildert er das Vorgehen der Regierung, die so auf die Berichterstattung Einfluss nimmt.
Das ist auch bei Amalia Pando und den Sendern für die sie arbeitete nicht anders gewesen – ob bei Erbol oder zuletzt bei Radio Líder. Erbol ist ein großer Radiosender mit regionalem Netz, bei dem Pando rund zehn Jahre arbeitete. „Zur Redaktion gehörten rund hundert Journalisten. Ich hatte ein sehr erfolgreiches Format, bis die Regierung ihre Anzeigen strich – dadurch kam der Sender in Schieflage“, erinnert sich Pando.
Doch damit nicht genug. „Danach setzte die Regierung die privaten Anzeigengeber unter Druck und auch die internationalen Nichtregierungsorganisationen, die Erbol unterstützte.“ Das war 2013. Die dänische Organisation Ibis musste damals Bolivien verlassen – Konspiration gegen die Regierung, lautete der Vorwurf der zuständigen Ministerien.
Wenig später war der Sender nicht mehr in der Lage, die Gehälter für den nächsten Monat zu zahlen. „Die Botschaft der Regierung war klar, auch wenn sie nicht ausgesprochen wurde. Ich und viele andere mussten die Redaktion verlassen“, erinnert sich Pando.
Damals entstand die Idee zu Cabildeo, was so viel bedeutet wie Kundgebung, Diskussion, aber auch Taktieren. Kontroverse Interviews, politische Analyse und investigative Recherche bilden die Basis des Formats, das von einem kleinen Team produziert wird. „Erst waren wir sechs, jetzt sind wir vier“, sagt sie mit bitterer Mine.
Geld ist knapp. Über Crowdfunding finanziert sich Cabildeo derzeit – Werbeeinnahmen hat das Format kaum, und dafür gibt es einen Grund. „Wer bei uns Anzeigen schaltet, muss mit dem Besuch der Steuerbehörden rechnen, und das kann sehr unangenehm sein“, sagt Pando und weist damit auf eine weitere Masche der Regierung hin.
Die agiert mit allen Tricks, um regierungskritische Berichterstattung zu unterbinden, so Franz Chávez. „Das führt zur Schere im Kopf oder dazu, dass kritische Kollegen Redaktionen verlassen, Bücher schreiben oder sich eine Nische suchen wie Raúl Peñaranda.“ Der ehemalige Chefredakteur von Pagina Siete, eine unabhängige Tageszeitung aus La Paz, hat nach massiven persönlichen Angriffen 2013 das Handtuch geworfen und 2018 angefangen, das Onlineportal Brújula Digital aufzubauen.
Der Onlineauftritt mit frischen Informationen gehört auch zum Format von Cabildeo. Mehr als zwei Jahre war das Team um Amalia Pando bei Radio Líder in El Alto zu Hause. Für Amalia Pando, die monatelang versucht hatte sich erfolglos bei anderen Radiosendern für ein bis drei Stunden am Vormittag einzumieten, war das ein Glücksfall und hatte etwas mit Politik zu tun.
Die Opposition im Studio
Der oppositionelle Bürgermeister von La Paz, Félix Patzi, bot ihr den Sendeplatz an. Der Sender, welcher der Stadtverwaltung von La Paz gehört, war nicht sonderlich populär und die bekannte Radiofrau durchaus ein Zugewinn. Zweieinhalb Jahre ging das gut, Cabildeo hatte eine neue Heimat gefunden – bis Amalia Pando Ende September 2018 den Präsidentschaftskandidaten Carlos Mesa zum Interview ins Studio bat.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Mesa und Pando kennen sich schon lange, haben 1990 zusammen das Fernsehgesellschaft PAT aufgebaut, aus der später ein Fernsehsender wurde. Wahlpropaganda warf Bürgermeister Patzi Pando vor, obwohl das Interview durchaus kritisch und hintergründig war, und schmiss Cabildeo am 9. Oktober aus dem Programm.
Seitdem ist Cabildeo nur noch online zu empfangen und hat an Relevanz verloren. 148.000 Follower hat der Sender auf Facebook. „Live verfolgt haben uns heute gerade 500 Hörer, weitere 3.000 sehen sich die Sendung auf YouTube an und etwa 5.000 laden sich das Format auf unserer Homepage herunter“, sagt Amalia Pando. Wie lange sie noch durchhalten kann mit Cabildeo, weiß sie nicht. Vielleicht bis Dezember, wenn die Spender ihr die Stange halten.
Boliviens politische Krise ist eine Medienkrise
Ziel des Teams war es ohnehin erst einmal die Wahlen zu begleiten und zu kommentieren. Auf die hatte Pando große Hoffnungen gesetzt, denn sollte ihr alter Freund Carlos Mesa es in den zweiten Wahlgang schaffen, dann wäre die Abwahl von Evo Morales realistisch gewesen, so Pando. Von Mesa erwartet sie, dass er „über Nacht die Pressefreiheit wiederherstellen wird“.
Mesa ist Historiker, hat lange als Journalist und Fernsehmoderator gearbeitet und tritt für die Comunidad Ciudadana, die Bürgergemeinschaft, als Spitzenkandidat an. „Er ist in Bolivien das Gesicht des Wandels, steht für einen moderaten bürgerlichen Politikentwurf – ohne Gängelung der Medien“, meint Pando und ist damit nicht allein.
Doch mit der fragwürdigen Entscheidung des Wahlgerichts Anfang der Woche, den amtierenden Präsidenten mit minimalem Vorsprung nach der Auszählung von 95 Prozent der Stimmen im Amt zu bestätigen, könnte sich diese Hoffnung in Luft auflösen. Die politische Krise, die sich in Bolivien mit dem Vorwurf des Wahlbetrugs durch Carlos Mesa und den zunehmenden Protesten im Land abzeichnet, ist auch eine Medienkrise.
Die Reisekosten der Recherche wurde von Brot für die Welt gefördert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut