Presse- und Meinungsfreiheit im Netz: Auf Satire steht in Jordanien Knast
Durch ein neues Gesetz können Äußerungen, die den sozialen Frieden gefährden sollen, schärfer bestraft werden. Journalist*innen sind besorgt.
Von dem Urteil erfährt er Anfang August, angefangen hat der Prozess vor etwa einem halben Jahr. Es ist ein Tag wie jeder andere, als sich al-Zoubi in sein persönliches Profil auf der Webseite des Justizministeriums einloggt, um den Status der gegen ihn anhängenden Klagen zu checken. Als kritischer Autor ist er Anzeigen gewohnt. Dieses Mal ist der Zankapfel ein Facebook-Post, veröffentlicht ein paar Monate zuvor, am 19. Dezember. Es geht um einen Streik von Lkw-Fahrern, der landesweite Proteste in Jordanien ausgelöst hatte. Im Text kritisiert al-Zoubi einen Minister scharf.
„Ich wurde angerufen, man hat mir gesagt, ich solle zur Staatsanwaltschaft gehen“, erzählt er. Und das tut er, mit großem Besteck – etwa 300 Anwält*innen sind bei ihm. Sie alle haben sich bereit erklärt, al-Zoubi zu verteidigen. So viele, dass die Sitzung aus Sicherheitsbedenken verschoben wird. Al-Zoubi ist in seinem Heimatland Jordanien bekannt. Er hat für die überregionale Zeitung Ar-Rai geschrieben, 908.000 Menschen folgen ihm auf X (ehemals Twitter), seine Videos werden auf Youtube tausendfach geklickt.
Nun sitzt der 48-jährige Satiriker in kariertem Hemd und Jeans auf den mit braunem Samt überzogenen, goldverzierten Sofa seines Hauses in Ar-Ramtha, etwa zehn Kilometer vor der syrischen Grenze. Unter dem kühlen Luftzug der Klimaanlage fragt er sich, ob er in wenigen Tagen in einer Gefängniszelle sitzen wird. Die jordanische Justiz befand, dass sein Post Konflikte in der Gesellschaft aufwiegele. Dagegen waren auch die 300 Anwält*innen machtlos.
„Ich suche nur Gerechtigkeit“
Al-Zoubi trinkt Tee und wartet, entspannen kann er sich nicht. „Klar bin ich gestresst“, sagt er und reibt sich kurz die Augen. Er ist ein großer Mann mit einer sanften Art, der so aussieht, als fiele ihm in jeder Lage noch ein Witz ein. Doch nun denkt er vor allem daran, wie sein Leben bald aussehen könnte.
Ein Junge unterbricht kurz das Gespräch, trägt lächelnd ein Silbertablett mit Tässchen voll schwarzem Kaffee ins Wohnzimmer. Al-Zoubi sagt, er mache sich Sorgen: Um seine Kinder, die zum Teil noch in der Schule sind – und sich nun auf seine Abwesenheit vorbereiten sollen. Um seine Frau, die dann alleine die Verantwortung für die Familie schultern muss. Und um seinen Job, der gerade auf dem Spiel steht.
Er nimmt einen Schluck bitteren Kaffee. Noch hofft er, dass alles gut ausgehen wird, dass das Urteil aufgehoben wird. „Ich hoffe, dass man das friedvoll lösen kann, ich suche nur Gerechtigkeit.“ Noch gebe es keine Vollzugsanordnung – ob das so bleibt, ist ungewiss.
Festnahmen von Journalist*innen wegen Posts und Onlinetexten kommen in Jordanien immer mal wieder vor. Doch eine so lange Freiheitsstrafe ist ungewöhnlich. Das bestätigt auch Adam Coogle von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Organisation veröffentlichte vergangenen Herbst einen Bericht, in dem sie die Drangsalierung von jordanischen Aktivist*innen und Kritiker*innen anprangerte.
Bis zu drei Jahre Haft oder 26.000 Euro Bußgeld
Ein neues Cybercrime-Gesetz, das diese Woche offiziell in Kraft tritt, bereitet Coogle nun noch mehr Sorgen: „Das Gesetz verschlimmert eine bereits schlechte Situation.“ Mehrere Journalist*innen sind unter dem alten Gesetz angezeigt worden, nun sind die Strafen noch schärfer. Bis zu drei Jahre Gefängnis oder 20.000 Dinar – 26.000 Euro – Bußgeld drohen etwa, wenn jemand etwas postet, das den sozialen Frieden gefährdet.
Texte, die Polizist*innen verleumden oder gegen die Sitten verstoßen, können ebenfalls hinter Gitter führen. Die Nutzung von Virtual Private Networks, um anonym zu surfen, kann unter Umständen ebenso strafbar sein.
Problematisch ist vor allem die Ungenauigkeit der Begriffe. Das könnte etwa LGBTQ-Menschen oder Aktivist*innen zur Zielscheibe machen. „Das neue Gesetz wird mehr Probleme in der Gesellschaft schaffen, als es lösen soll“, findet auch der jordanische Medienexperte Khaled Qudah. Es könnte die Menschen zum Schweigen bringen. Mögliche Folgen: mehr Korruption, weniger politische Teilnahme.
Verfechter sehen es hingegen als Mittel, um die rasche Zunahme an Cybercrime-Fällen der vergangenen Jahre einzudämmen. Seit 2015 haben sich diese versechsfacht. Premierminister Bisher al-Khasawneh sagte jüngst, das Gesetz rühre nicht an die „Freiheiten oder Rechte, die in der Verfassung verankert sind“, und die Regierung sei offen für Kritik. Jordaniens König Abdullah II. erklärte vor Kurzem, Jordanien sei kein repressives Land und der Kampf gegen Cyberkriminalität solle nicht auf Kosten der Meinungsfreiheit gehen.
Tiktok ist blockiert, eine Satirewebseite gesperrt
In den letzten Jahren ist jedoch der Raum für politische Kritik im haschemitischen Königreich geschrumpft. Das Videoportal Tiktok ist seit den Protesten im Dezember gesperrt, die satirische Webseite Al-Hudood ist seit Juli offline. Festnahmen von friedlich Demonstrierenden, sogar vor den Protesten, haben 2022 gar den Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen beunruhigt. Studien belegen, dass Selbstzensur unter Medienschaffenden Alltag ist, Kritik am König etwa ist eine rote Linie.
Gleichzeitig sollen Reformen die politische Teilnahme der eher desillusionierten Bevölkerung steigern, vor allem junger Erwachsener. Dafür sei jedoch das neue Gesetz „wie eine kalte Dusche“, sagt Edmund Ratka, Leiter des jordanischen Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. „Wie will man junge Menschen motivieren, sich politisch zu engagieren, wenn man ihnen das Gefühl gibt, sie müssten bitte online vorsichtig sein? Das passt nicht zusammen.“
Jordanien ist nicht das einzige Nahost-Land, in dem Cybercrime-Gesetze Kritiker*innen zum Verhängnis werden. 2022 hat das Regime um den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ein drakonisches Gesetz verabschiedet, das Äußerungen, die Aufruhr gegen die Behörden stiften, mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft. In Saudi-Arabien wurde vor einem Jahr eine Frau zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sich ihre Tweets auf die soziale Ordnung negativ ausgewirkt haben sollen.
Al-Zoubi sagt, er denkt gerade darüber nach, seine Nachrichtenwebseite Sawaleif wegen des neuen Gesetzes zu schließen. Das Risiko sei ihm zu hoch. Das Ende seiner Karriere soll dies aber nicht sein. Er sagt resolut: „Jetzt habe ich Angst. Aber in Zukunft will ich weiter schreiben, so wie vorher.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau