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Press-Schlag

■ Heute spielt der DFB gegen die Türkei – und Lothar Matthäus wohl letztmals für D in D

Heute also führt er die Nationalmannschaft zur EM (19.30 Uhr, ZDF). Es wird sein letztes Punktspiel für Deutschland in Deutschland sein. Nur noch das eine Unentschieden muss er schaffen, klar, er wird es schaffen. Dann noch zehn Mal Bundesliga, fünf Mal Champions League, drei Mal DFB-Pokal. Maximal. Eher weniger. Denn Lothar Matthäus schafft kein Spiel mehr über 90 Minuten, weil ihn immer vor der Zeit etwas zwackt, meist im Oberschenkel. Nun, er ist 38 Jahre alt, als Normalsterblicher wäre er schon fünf Jahre Ex-Fußballer.

Aber er ist Lothar Matthäus. Und also ein Perpetuum mobile, immer und endlos in Bewegung: Erst über den Platz rennen wie wild geworden, dann in Zero-Sense-Monologen den Menschen die kleine große Welt des kleinen großen Lothar Matthäus erklären. Seit ein paar Wochen ist gewiss, was ewig unmöglich schien: Seine Karriere geht zu Ende. Wie die aller irdischen Spieler.

Und? Die Wahrheit ist: Das ist sehr traurig. Im Fernsehen gibt es lustig gemeinte Filmchen, die davon erzählen, wie er ab dem Winter in New York in abenteuerlich steinzeitlichen Verhältnissen leben wird. Mutmaßlich ist der Spaß ein Kompensationsversuch. Lachen, um nicht schwermütig zu werden. Aber Matthäus kennt keine Gnade, sondern bestärkt mit seinem Alterswerk als Werbefigur noch jede Wehmut: Einst hat er sexy verschwitzt für Kreditkarten posiert, jetzt steht er wie ein Frührenter am See, schaut Schwänen zu, lamentiert über TV-Talkshows (Er! lamentiert! über „doagschos“!) und wünscht sich „Premiere World“. Wenn man nicht wüsste, dass es um „Premiere World“ ginge, man würde es gar nicht verstehen. Er nuschelt noch immer wie vor 20 Jahren. Ach!

Ach, wo sind die Jahre geblieben? Auch wenn über die Nationalmannschaft oder den FC Bayern geredet wird, geschieht es in zwei Zeitrechnungen: Das bereits verklärte Zeitalter v.M.A. (vor Matthäus' Abgang) geht zu Ende, eine düstere Zeit n.M.A. zieht auf. Die drohende Apokalypse zum Millenniumswechsel ist nichts gegen diesen Verlust.

Fürwahr ist der Mann mit dem biblischen Nachnamen zwar kein Heiland. Aber er hat eine Passion: sich selbst und den Fußball, keiner spielt das Spiel so systemresistent hingebungsvoll wie er. Auch er hat – mit Sonnenbrille oder ohne, als Handyman oder vorm Mikrofon – eine große Leidenschaft für das gesprochene Wort, seine Rede ist ein langer, ruhiger Fluss. Worte um der Worte willen. Seit zwei Jahrzehnten ist das so. In dieser Zeit ist Matthäus ungefähr zehn Mal richtig auf die Schnauze gefallen und elf Mal wieder aufgestanden. Acht Mal habe ich gedacht: Meine Güte, der ist ja schon wieder da und immer noch, nimmt das nie ein Ende?

Dann hat sich in den Spott Respekt hineingeschlichen. Jetzt auch noch diese Melancholie. Vielleicht habe ich mich einfach zu sehr an Lothar Matthäus gewöhnt. Vielleicht wird es Zeit, dass er endlich verschwindet. Katrin Weber-Klüver

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