Premiere "Brot und Spiele": Nur laufen reicht nicht
Olympiasieger Dieter Baumann bringt Siegfried Lenz Roman "Brot und Spiele" als Einpersonenstück auf die Bühne. Was will er uns sagen?
Als der deutsche Langstreckenläufer Bert Buchner in die letzte Runde seines allerletzten 10.000-Meter-Laufs geht, hat er einen Vorsprung von 30 Metern. Der Fernsehreporter hat sich bereits auf ihn als Europameister festgelegt. Und Buchners Freund darauf, dass er trotzdem verliert. Das ist die dramatische Konstellation von Siegfried Lenz Roman "Brot und Spiele", der 1959 erschien. Kennt heute praktisch niemand mehr. Doch nun hat der 5.000-Meter-Olympiasieger Dieter Baumann "Brot und Spiele" als Einpersonenstück weiterentwickelt und steht damit seit Mitte der Woche im Stuttgarter Theaterhaus auf der Bühne.
Am Tag nach der Premiere sitzt Baumann, 46, in einem Café der historischen Tübinger Altstadt - nur ein paar Schritte entfernt vom legendären Schild "Hier kotzte Goethe". Er spricht davon, dass ihn dieses Buch und die Geschichte "einfach gepackt" habe.
Es geht um die Freundschaft zweier Männer, die nach der missglückten Welteroberung aus Kriegsgefangenschaft heimkehren und sich neu sortieren müssen. Der eine, Buchner, wird durch Zufall Läufer und erarbeitet sich einen steilen sportlichen Aufstieg. Der andere, namenlos, wird Journalist und begleitet diesen Aufstieg medial. Bis er sich dem anderen zunehmend fremd fühlt, weil dessen charakterliche Defizite seinen Moralansprüchen nicht genügen. Lenz Roman ist ein einziger stream of consciousness des Journalistenfreundes, der die Gegenwart, das laufende EM-Finale, und die gemeinsame Vergangenheit miteinander verwebt. Baumann und seine Regisseurin Carola Schwelien machen die Prosa mit dem Kniff bühnentauglich, dass sie den Darsteller Baumann permanent zwischen den Rollen des Erzählers, des euphorisierten Fernsehreporters und des hadernden Freundes wechseln lassen.
Pragmatischer Nachkriegsaufsteiger
Buchner ist der pragmatische Nachkriegsaufsteiger, der mitnimmt, was er kriegen kann: Hilfe, Geld, die Frauen seiner Unterstützer. Der Freund dagegen, einarmig aus dem Weltkrieg zurückgekehrt, hat sich (beziehungsweise Lenz ihm) zum Zwecke der Läuterung eine große Dosis Über-Ich-Moral verabreicht. Wer im Zuge des Retrobiedermeiers und angesichts der für ökonomische Verwertungsketten designten Sportidole der Gegenwart den wahren Sporthelden in der Vergangenheit sucht, dem erteilt Baumann eine Absage: Vergiss es. Als die Sportler noch Amateure zu sein hatten, war es mitnichten besser, und Betrug und Verrat waren auch da im System angelegt. Spitzensport kann schlicht nicht jene Vorbilder hervorbringen, die sich manche von ihm wünschen.
Vor allem: Er konnte es nie. Oder nur in Ausnahmefällen. Ironischerweise war ja Baumann selbst ein solches Vorbild und sein Olympiasieg einer der größten deutschen Sportmythen des 20. Jahrhunderts. Bis dann Dopingvorwürfe ihn zu einem existenziellen Kampf um Ruf, Würde und Wert seiner sportlichen Leistungen zwangen. Nun basiert auch dieses Stück darauf, dass es Baumann ist, der es aufführt. Weshalb die Frage obsolet ist, ob ein gelernter Schauspieler das nicht besser könnte. Aber gleichzeitig lässt er los und weist - und das ist der Punkt - über Baumann hinaus. Wird universal.
Vielleicht sollte man aber alles auch nicht überinterpretieren und einfach konstatieren, dass Baumann immer wusste, was eine gute Geschichte ist und wie man sie erzählt. Wenn man aber den Künstler draußen in der Kälte vor dem Café doch noch um eine Botschaft angeht, dann sagt er seufzend: "Wenn man so will, ist die Botschaft, dass zu einem geglückten Leben mehr gehört, als schnell laufen oder gut kicken zu können."
Es reicht nicht mal, Olympiasieger zu sein. Das klingt banal. Aber ich dachte selbst als erwachsenes Kind noch, dass das locker reicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid