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Prekäre Arbeit beim LieferserviceSigrid kämpft für die Kollegen

Die 70-jährige Ex-Auslieferin Sigrid Melanchthon will schlechte Arbeitsbedingungen nicht hinnehmen. Durch Corona haben sie sich weiter verschärft.

Harte Arbeitsbedingungen in Zeiten von Corona: Fahrer von Lieferando Foto: Emmanuele Contini/imago

Auch mit fast 70 Jahren ist Sigrid Melanchthon in Bewegung – politisch, in der Inlineskatinggruppe Rolling Oldies und bis vor wenigen Tagen auch als Fahrradkurierin beim Bestellservice Lieferando.

2016 kam die gebürtige Sächsin nach Berlin, um hier ihren Ruhestand zu verbringen. Das Ausfahren von Pizza, Burgern und Sushi sollte ihr die magere Rente aufbessern. „Und Fahrrad fahre ich ohnehin gern und viel“, erzählt sie heiter am Telefon.

Doch dann kam das Virus und brachte einen Boom für Lieferando. Und eine Krise für die Ausliefernden. Ungeschützt, mit ihren eigenen Fahrrädern und ohne zentrale Anlaufstelle sollten die ohnehin prekär Beschäftigten plötzlich arbeiten.

Das ging Sigrid Melanchthon zu weit. Mit einigen Kolleg*innen und unterstützt durch die Freie Arbeiter*innen Union gründet sie eine Betriebsgruppe und setzt sich seit März für bessere Arbeitsbedingungen bei Lieferando ein.

In Bewegung: Sigrid Melanchthon Foto: privat

Die Leitung ist eine Emailadresse

Als Dolmetscherin für Spanisch und Französisch arbeitete Melanchthon zunächst bei Intertext, dem Fremdsprachendienst der DDR. Nach der Wende war sie im Vertrieb und im IG-Metall-Betriebsrat einer Maschinenbaufirma in Hamburg. Als Assistentin einer linken Europa-Abgeordneten ging die Gewerkschafterin später nach Brüssel und arbeitete anschließend bis zur Rente in Genf als Kindersitterin.

Zurück in Berlin hat sie die Idee, im Lieferservice steuerfreie 450 Euro zu verdienen. „Für Leute, die etwas dazuverdienen möchten ist diese Arbeit super geeignet“, erzählt sie. Die Mitarbeitenden in der „Hub“, der Lieferando-Zentrale in Mitte, seien freundlich – und doch nicht wirklich ansprechbar. „Der City Coordinator, also der Filialleiter und die Schichtleitung, sind nur eine E-Mail-Adresse, von der einmal im Monat eine Nachricht kommt.“

Ansprechen möchte Melanchthon die intransparente Verteilung der Schichten und dass ihre Kolleg*innen beim Bringdienst Foodora zu schlechteren Bedingungen arbeiten, obwohl doch auch dieser Service seit 2019 zur internationalen Mutterfirma Takeaway gehört.

Immer Ärger mit Sigrid

Auch um Coronaboni mussten die Foodora-Leute erst streiten. Die Pandemie habe deutlich gezeigt, wie wichtig der Arbeitskampf sei, erklärt die Rentnerin. Die sogenannten Rider*innen hätten von der Firma kein Desinfektionsmittel und Mundschutz bekommen. Die Warmhalterucksäcke sollten sie künftig zu Hause reinigen, ihre privaten Fahrräder nutzen.

Zu hoch sei ihr das Ansteckungsrisiko gewesen, so die Seniorin. Schichten habe sie in der Pandemie nicht mehr übernommen. Kurz vor Ende ihrer Probezeit wird ihr schließlich am 20. Mai gekündigt. „Mit dir gibt es immer Probleme“, hatte sie schon zuvor gehört.

Auf Probleme im Lieferbetrieb will Melanchthon mit der FAU-Gruppe weiterhin aufmerksam machen. „Ich komme auch so zurecht. Aber es geht mir um die Kollegen, bei denen ein Visum am Job hängt. Die haben keine Wahl.“

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2 Kommentare

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  • Wo ist eigendlich in diesem Zusammenhang die einzig verbliebene deutsche Einheitsgewerkschaft (die unter dem Namen "ver.di" firmiert) ?

    Tun die noch was oder sind die nur Soda ?

  • Die taz schrieb am 17.04.20 über Lieferando: “(...) Der Fahrradkurierdienst zahlt nur knapp über Mindestlohn und überwacht seine Fahrer. Nun sollte die Wahl eines Betriebsrats torpediert werden. (…)“ Foodora/ Lieferando ist in Deutschland als Ausbeutungsunternehmen (max. 10 EUR/h) bekannt, welches gerne Arbeitskosten auf die Arbeitnehmer/-innen bzw. die Scheinselbständigen abwälzt.



    Im taz-Kommentar vom 12.05.20 “Nicht konkurrenzfähig? Und tschüss“ beschreibt Ulrike Herrmann am Beispiel der deutschen Fleischindustrie, dass zahlreiche Arbeitgeber/-innen hierzulande der Meinung sind nur mittels Mindestlohn und Akkordarbeit überhaupt konkurrenzfähig zu sein; das diese neoliberale Denkweise ein “Fass ohne Boden“ ist und zu Lasten der Arbeitnehmer/-innen geht dürfte klar sein.



    Zu Recht kommt Ulrike Herrmann in ihrem Kommentar zum Schluss, dass diese Unternehmens(un)kultur in der deutschen Wirtschaft nichts zu suchen hat und deshalb vom (Wettbewerbs-)Markt verschwinden muss: “(...) Wenn Branchen nicht mehr konkurrenzfähig sind, sobald sie auf die Ausbeutung ihrer Beschäftigten verzichten – dann müssen sie leider verschwinden. (...)“