Preis des Jüdischen Museums Berlin: Zwei Frauen, die ihr Leben der Bildung widmen
Margot Friedländer und Delphine Horvilleur wurden geehrt. Sie erhielten den Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin.
![Links Delphine Horvilleur, rechts Margot Friedländer, gemeinsam präsentieren sie den Preis Links Delphine Horvilleur, rechts Margot Friedländer, gemeinsam präsentieren sie den Preis](https://taz.de/picture/7359163/14/JMB241116-2152-3434-1.jpeg)
Margot Friedländer braucht einmal mehr nicht viele Worte. Mit leiser Stimme spricht sie ins Mikrofon, ihre Präsenz überstrahlt fast ihre Sätze. 103 Jahre ist die jüdische Holocaustüberlebende gerade geworden, im Glashof des Jüdischen Museums Berlin (JMB) steht die kleine, schmale Frau in einem schwarzen Glitzerkleid hinter dem Rednerpult und wiederholt das, was sie den jüngeren Generationen im Land der Täter immer wieder sagt. Die Vergangenheit könne man nicht ändern, „es darf nur nie wieder passieren. Wir alle sind aufgefordert, uns für Toleranz einzusetzen, jeden Tag.“ Ihre Maxime ist ganz einfach: „Seid Menschen“, verhaltet euch menschlich.
Margot Friedländer erhält am Samstagabend den Preis für Verständigung und Toleranz, den das JMB jährlich vergibt; neben ihr wird auch der französischen Rabbinerin und Autorin Delphine Horvilleur diese Auszeichnung zuteil. Rund 300 geladene Gäste sind gekommen, darunter Unterstützer:innen des JMB, Politiker:innen, Künstler:innen.
Es sind zwei mehr als würdige Preisträgerinnen; beide leben die Werte, für die diese Auszeichnung steht. Margot Friedländer, als Margot Bentheim geboren nur wenige Meter entfernt vom Jüdischen Museum in der Lindenstraße in Berlin-Kreuzberg, verlor Eltern und Bruder im Holocaust, überlebte das KZ Theresienstadt, lebte lange in New York und kehrte erst 2010 nach Deutschland und Berlin zurück. Sie ist das personifizierte „Nie wieder“, unermüdlich spricht und liest sie in Schulen und öffentlichen Einrichtungen, erzählt von ihren Erfahrungen und will ihre Zeitzeugenschaft weitergeben.
Delphine Horvilleur, 50 Jahre alt, Rabbinerin des progressiven Judentums in Frankreich (Mouvement juif libéral de France), zeigt in ihrem jüngsten Buch „Wie geht’s?“ Kontinuitäten des Antisemitismus auf, reflektiert über die Möglichkeit eines Dialogs nach dem 7. Oktober, hat sich auch mit der Einsamkeit der Juden und dem fehlenden Schutz für sie nach dieser Zäsur auseinandergesetzt. Laudator Baron Eric de Rothschild bezeichnet sie als unvergleichliche „jüdische Universalistin“.
Bestürzende neue Realitäten
Hetty Berg, Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, betont in ihrer einleitenden Rede, sie freue sich sehr, „dass zwei Frauen ausgezeichnet werden, die ihr ganzes Leben in den Dienst der Bildung gestellt haben“. Berg spricht von „bestürzenden neuen Realitäten“, denen wir uns stellen müssten, sie beklagt den wachsenden alltäglichen Antisemitismus (und 5.164 antisemitische Straftaten im vergangenen Jahr), aber auch Desinformation im Netz und den Aufstieg der AfD (ohne die Partei zu nennen). Eine gewaltige Bildungsanstrengung sei nötig, um all dem entgegenzuwirken.
Delphine Horvilleur hebt in ihrer Dankesrede auf die Ursachen des Antisemitismus ab, sie sagt, er sei „immer ein Symptom eines größeren gesellschaftspolitischen Elends“ und gehe mit „kollektiver Verantwortungslosigkeit“ einher. Wenn eine Gruppe nicht in der Lage sei, Verantwortung für etwas zu übernehmen, richte sie sich am Ende oft gegen Jüdinnen und Juden. Oft teilten genau jene Menschen antisemitisches Gedankengut, die fest davon überzeugt seien, „auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen“. Horvilleur zählt all die widersprüchlichen Dinge auf, derer Jüdinnen und Juden bezichtigt werden. Sie erhält lang anhaltende Standing Ovations.
Für Margot Friedländer hält Ex-Bundespräsident Joachim Gauck die Laudatio, er singt ein Loblied auf den Humanismus Friedländers, „eines Menschen, der auch ganz anders sprechen könnte, der voller Zorn und Verachtung“ sein könnte. Er empfinde es „als Gnade, wenn Menschen wie sie zu uns zurückkommen“.
Margot Friedländer steht nach der Preisverleihung lange neben dem Rednerpult und schaut mit ihren großen Augen ins Auditorium, diese so stolze, unglaubliche Frau, die ihre Botschaften noch lange in die Welt tragen möge. Ihre Appelle braucht es so dringend wie lange nicht.
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