Praktische Aspekte der Pandemie: Vom Leben ausgeschlossen
Mit Corona lässt sich auch im Privaten eine ganze Menge rechtfertigen, hat taz-Kolumnistin Lea Streisand erfahren. Etwa die eigene Trägheit.
N ach zwei Jahren können wir es ja sagen: Es ist nicht alles schlecht an dieser Pandemie. Das Gute an Corona ist zum Beispiel, dass man es für alles benutzen kann – Corona ist an allem schuld. Die S-Bahn fährt nicht wegen Corona. Den Schulen fehlen die Lehrkräfte. Corona! Deutsche Behörden sind undurchsichtig und überbürokratisch? Schuld ist Corona!
Aber auch im Privaten kann man die Pandemie vielfältig einsetzen.
Mein Ehemann gilt jetzt als nicht geboostert, weil er sich mit dem Arme-Leute-Impfstoff hat erstimpfen lassen. Einen Abend lang saß er auf dem Sofa neben mir und hat gepoltert. „Schätzchen“, versuche ich ihn zu beruhigen. „Wenn du Angst vor Corona hast, erkundigen wir uns, wann du dich wieder impfen lassen kannst.“ Der Gatte verschränkt die Arme vor der Brust und schimpft. „Hab schon. Nach drei Monaten.“ Ich gucke ihn an. „Das ist doch bald. Worüber regst du dich auf?“
Mein Mann fuchtelt mit den Händen durch die Luft und ruft. „Darüber, dass ich vom öffentlichen Leben komplett ausgeschlossen werde. Dabei habe ich mich damals mit Johnson und Johnson impfen lassen, um den Vorerkrankten und den Senior*innen nicht den guten deutschen Impfstoff wegzunehmen …“ Jetzt muss er selber lachen. „Den Ostdeutschen hast du vergessen“, sage ich. „Ja!“, ruft der Gatte. „Ich als Norddeutscher Anfang vierzig habe Menschen wie dir und deiner Mutter …“
Ich streichele sein schütteres Haupthaar. Der Mann braucht jetzt Mitleid: „Und niemand hat sich bei dir bedankt“, sage ich. „Dabei bist du das eigentliche Opfer dieser Pandemie.“ „Ja!“, ruft mein Mann. „Ich und Homer Simpson.“ Mein Mann hat irgendwann festgestellt, dass er jetzt genauso alt ist wie die Zeichentrickfigur, sich also technisch gesehen auch nicht mehr vom Sofa erheben muss, seinen Job hassen darf und trotzdem der König der Welt ist.
Der Mann nickt und kichert
„Aber Schätzchen?“, sage ich. „Von welchem öffentlichen Leben fühlst du dich denn jetzt ausgeschlossen?“ Er grummelt. „Na … Kino!“ Ich lache ihn aus. „Du magst überhaupt kein Kino, Theater findest du affig. Du kommst nicht mal mehr zu meinen Lesungen, seit wir verheiratet sind.“
Der Mann nickt und kichert. Ich weiß noch, wie wir ganz frisch zusammen waren und ich noch drei bis vier Lesebühnen die Woche hatte und er nach einem Monat betreten fragte, ob es vielleicht okay wäre, wenn er heute Abend mal nicht im Publikum säße. Ich war so gerührt. So lange hatte bis dahin noch keiner durchgehalten. Na ja. Nu sind wir 7 Jahre verheiratet, vierzehn zusammen …
„Wo willst du denn hin, wo 2G-plus herrscht?“, frage ich ihn auf dem Sofa. „Ins Restaurant“, sagt er und versucht, die Mundwinkel unten zu halten. Unser Sohn gehörte zu der Sorte Babys, die, wenn sie aufrecht stehen können, all ihre ungezügelte, sich stetig vermehrende Kraft zur kontinuierlichen Zerstörung ihrer selbst und ihrer Umgebung einsetzen.
Wir haben immer noch an jedem Schrank und jeder Schublade in unserer Wohnung diese hässlichen Kindersicherungen aus Plastik kleben, falls wir noch mal so eins kriegen. Mittlerweile hat das Kind mehr Tischmanieren als ich, aber in dem Moment, da bei ihm die Vernunft einsetzte, kam Corona und unsere Lust auf Restaurantbesuche verfloss wie Mineralwasser auf einer Tischdecke.
„Du möchtest doch generell am liebsten überhaupt nicht mehr das Haus verlassen, seit wir ein Kind haben“, sage ich zu meinem Mann auf dem Sofa. Er guckt mich an. „Ich wollte auch vorher schon nicht das Haus verlassen“ sagt er. „Da hab ich mich nur nicht getraut, es zu sagen.“ Wie gesagt, Corona lässt sich für alles benutzen. Auch zur Rechtfertigung der eigenen Trägheit.
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