Berliner Alltag: Kinderlachen, Kinderweinen
Die Kolumne spannt einen weiten Bogen. Vom Krieg in der Ukraine und Kriegsflüchtlingen bis zu den Supermüttern im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg.

Für alle, die es nicht kennen: So sieht das Kino International in der Berliner Karl-Marx-Allee aus Foto: dpa/Jens Kalaene
Eins kann ich sagen. Buchpremiere ist nichts gegen Kindergeburtstag, zumindest, was meine Aufregung angeht.
Ersteres war vorletzten Sonntag. Berlin-Mitte, Kino International, das Prestige-Objekt der DDR-Regierung. In diese Sessel hatte schon Erich Honecker gepupst. Das Gebäude sieht von außen aus wie ein überdimensionierter Röhrenfernseher. Wenn man von der gegenüber liegenden Straßenseite der Karl-Marx-Allee aus guckt, möchte man hinlangen und umschalten.
„Es ist ein Jammer, dass sie die Straße so verfallen lassen“, sagte meine ehemalige Deutschlehrerin. Sie kommt zu jeder meiner Buchvorstellungen und schickt mir hinterher Fehlerlisten. Ich verdanke ihr viel. Zu Schulzeiten sagte sie immer: „Leas Aufsätze lese ich abends vorm Schlafengehen, weil die so schön geschrieben sind. Dann les ich sie morgens nach dem Aufstehen noch mal und stelle fest, dass nichts drinsteht. Drei minus.“
Sie hatte übrigens unrecht. Die Karl-Marx-Allee ist nicht verfallen. Sie wirkt lediglich etwas verlassen, seit da keine Panzer mehr fahren. Die rollen derweil durch die Ukraine. Bei meiner Freundin S. waren am Tag vorher neue Geflüchtete angekommen. Großmutter, Mutter, Kind. Die Mutter war am 24. Februar noch in Kiew bei der Maniküre gewesen. „Hat mir ihre Fingernägel gezeigt. Der Lack war noch dran. Und plötzlich ist Krieg.“ Seitdem war sie nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. „Sie hat nur ihre Tochter eingesammelt und ist zu ihrer Mutter gefahren. Sie dachten ja, es wäre nur kurz.“ Das Kind hatte aufgehört zu sprechen. „Hat gestern das erste Mal seit drei Wochen wieder gelacht.“
Stopptanz ja, Topf schlagen nein
Mein Sohn lacht die ganze Zeit. Vier Jahre alt ist er geworden. Unser erster richtiger Kindergeburtstag dank Pandemie. Hier mein Resümee: Stopptanz, ja. Topf schlagen, nein. (Die Kinder haben Angst vorm Augen verbinden und keine Orientierung.) Ansonsten: Lieber Marmor- als Käsekuchen. Tisch decken lassen. Geschenkeauspacken zelebrieren und zum Schluss Nudeln essen zum Runterkommen. Das Beste war sowieso die Baustelle direkt vor dem Haus.
Der Mütterhass steckt so tief drin in unserer Gesellschaft
Was ich eigentlich erzählen wollte: Vor zwei Wochen habe ich anderthalb Stunden lang vor ausverkauftem Saal über Mutterbilder gesprochen. (Die gute Mutter ist schon bei den Brüdern Grimm ausschließlich tot denkbar. So hingebend, anspruchslos, unsichtbar kann nicht mal eine Kunstfigur sein.) Aber als die Sprache auf selbstgefällige Mütter in Prenzlauer Berg kam, die auf der Straße keinem Platz machen und ihre Kinderwagen überall hinschieben, gab es Szenenapplaus. Der Mütterhass steckt so tief drin in unserer Gesellschaft, da können wir noch viele Bücher gegen anschreiben.
Vor allem unter Ostdeutschen scheint sich die Vorstellung des invasiven westdeutschen Mutterkörpers durchgesetzt zu haben, der sich in „unser“ Habitat einschleicht und dort mittels unkontrollierter Fortpflanzung die Wohngebiete besetzt und mit Muttermilch verunreinigt.
Nur nochmal kurz: Kinder sind das Armutsrisiko Nummer eins in Deutschland, deshalb müssen wir lange arbeiten, um sie uns leisten zu können, und wenn wir sie dann haben, sind wir alt und müde und alles andere geht uns am Arsch vorbei. Das ist aber nicht die Schuld der Mütter! Da stimmt was nicht in der Sozialgesetzgebung. Und nebenbei bemerkt. Wir sind heute so alt, wie unsere Großeltern waren, als wir geboren wurden. Und die waren uns sowieso immer die liebsten. Wenn sie sich nicht gerade in Wölfe verwandelt haben.
Verworrener Text? Call my Deutschlehrerin. Ich geh Käsekuchen essen.
Leser*innenkommentare
Ringelnatz1
Lea Streisand spricht hier( fast)klar, artikuliertes Hochdeutsch.
Lea Streisand: Hätt' ich ein Kind - taz Talk Lesefestival
www.youtube.com/watch?v=EG6HtBk0aIM
Zum Glück jeht det och anders!
(Die Ostbäckerinn kann ick ja nich immer bringen)
www.youtube.com/watch?v=qRfVtHgEm9I
.....die Vorstellung des invasiven westdeutschen Mutterkörpers durchgesetzt zu haben, der sich in „unser“ Habitat einschleicht und dort mittels unkontrollierter Fortpflanzung die Wohngebiete besetzt und mit Muttermilch verunreinigt.....
Jenau! Früher war man offen Falkplatz noch unter unsereiner!
Für alle, die mal nen Blick of früher werfen wollen:
Kino, Hotel Berolina(die hatten ne jute Dachterassenbar) Mocca- Milch-Eisbar!
www.deutschefototh...a032_0000549_motiv
Jetzt könnt ick doch noch bischen driften. Offen Bild(Kino) steht-Entlassung auf Bewährung-
de.wikipedia.org/w...auf_Bew%C3%A4hrung
Die Besetzungsliste is juti!
Wo is die Zeit nur jeblieben..
www.deutschefototh...bildarchiv_0005661
Nee, dann doch lieber
Berlin-Weißensee
www.deutschefototh..._bo-pos-14_0000267
Ringelnatz1
@Ringelnatz1 Traumzauberbaum f. Erwachsene:
www.ddr-museum.de/de/objects/1000826