Präsidentschaftswahl in Nigeria: Endspurt im Pulverfass
Kurz vor der Wahl erscheint das Rennen um die Präsidentschaft offen. Die Jungen sehnen sich nach Wandel, die etablierten Parteien setzen auf Sieg.
Die Veranstaltung sei ein deutliches Zeichen dafür, dass Tinubu Nigerias Präsidentschaftswahl am Samstag gewinnen wird, ist sich Grace Nwankwo-Okere sicher. Sie ist APC-Lokalpolitikerin im Stadtteil Ejigbo. Die Teilnahme an der Abschlusskundgebung ist für sie Ehrensache. „Die beste Zeit kommt noch“, sagt sie. Auf die Frage, wie sie den derzeitigen Präsidenten Muhammadu Buhari bewertet, der ebenfalls dem APC angehört und jetzt nach zweimal vier Jahren im Amt nicht mehr antritt, antwortet sie ausweichend. „Ein Mann kann nicht alles richten. Wir sind alle in der Verantwortung. Du und ich.“
An Tinubus Veranstaltung nimmt Buhari zwar teil, er taugt aber nicht als Zugpferd. Die Lage in Nigeria ist angespannt wie selten seit dem Ende der Militärherrschaft 1999. 133 der 220 Millionen Einwohner*innen leben nach amtlichen Angaben in Armut, bei Buharis Amtsübernahme 2015 waren es noch rund 110 Millionen. Die aktuelle Bargeldknappheit durch die Einführung neuer Naira-Scheine verschärft das. Die Inflation liegt bei knapp 22 Prozent. Seit vergangenem Jahr ist Nigeria hinter Angola nur noch zweitgrößter Ölproduzent Afrikas, die Förderung sinkt, aber andere bedeutende Einnahmequellen für den Staat sind nicht entstanden.
Die Armut vereint die Menschen in Nigeria, aber die Politik spaltet sie. Stanley Achonu, Landesdirektor der entwicklungspolitischen US-Lobbygruppe One, sagt: „Heute hat im Prinzip jede Region einen eigenen Konflikt.“ Durch das enge Rennen und die schlechte Sicherheitslage ist die Sorge vor Gewalt rund um diese Wahlen groß. Auch Hasstiraden der Kandidaten haben Spuren hinterlassen.
Die Volksgruppe der Igbo bekommt einen Spitzenkandidaten
Vordergründig sorgt der Wahlkampf für etwas Ruhe. Im Südosten hat sich die separatistische Bewegung Indigene Menschen von Biafra (IPOB) von Nnamdi Kanu, die aus Protest gegen den Zentralstaat in den vergangenen Jahren Polizeistationen und Büros der Wahlkommission angriff, abgeschwächt. Grund dafür ist auch, dass mit Peter Obi von der kleinen Labour Party erstmals ein aussichtsreicher Spitzenkandidaten der größten südostnigerianischen Volksgruppe der Igbo antritt. Viele Igbo beklagen seit Jahrzehnten, politisch marginalisiert zu werden.
Im Nordosten sind die Terrorgruppen Boko Haram und „Islamischer Staat in der Provinz Westafrika“ (ISWAP) seit Wochen überraschend ruhig. Auch im Nordwesten hat es keine Entführungen durch bewaffnete Banden mehr gegeben, bei denen immer wieder Dutzende Menschen verschleppt wurden. Dennoch zählt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR 3,3 Millionen Binnenvertriebene in Nigeria – neben der Gewalt auch wegen der schweren Flut im Zentrum des Landes im vergangenen Jahr. Laut Wahlkommission können Vertriebene in Camps ihr Wahlrecht ausüben. Viele sind aber privat untergekommen und leben nun nicht dort, wo sie registriert sind.
Insgesamt stehen mehr als 93,4 Millionen Menschen in Nigerias Wahlregister, über 11 Millionen mehr als vor vier Jahren. Viele junge Menschen stellen sich deutlich hinter Peter Obi, der als Kandidat des Wandels antritt. Er ist vor allem in sozialen Medien aktiv, landesweite Strukturen fehlen seiner Partei ebenso wie genügend Parlamentskandidaten. Selbst wenn Obi gewinnen würde, wäre er ein Präsident ohne Mehrheiten. Die Regierungspartei setzt auf treue Wählerschichten auf dem Land. Vergangene Woche twitterte Hadiza El-Rufai (APC), Frau des Gouverneurs von Kaduna, in Richtung Obi: „Ihr habt das Internet. Wir haben die Basis.“
Neben Tinubu und Obi ist Atiku Abubakar von der PDP (People’s Democratic Party), die Nigeria von 1999 bis 2015 regierte, der dritte bekannte Bewerber. Der 76-Jährige, der von 1999 bis 2007 Vizepräsident von Nigeria war, stammt aus dem Nordosten, konnte hat sich aber nicht als „Kandidat des Nordens“ etablieren. Im Wahlkampf ist er weniger präsent als Tinubu und Obi.
„Es besteht die Möglichkeit, dass die Menschen gar nicht erst wählen gehen“, warnt Stanley Achonu. Die zahlreichen Meinungsumfragen sehen täglich einen anderen Wahlsieger. Und das Wahlrecht ist kompliziert. Um im ersten Wahlgang zu gewinnen, sind mindestens 25 Prozent aller Stimmen in mindestens 24 der 36 Bundesstaaten notwendig. Es könnte sein, dass keiner diese Hürde schafft. Dann müsste eine Stichwahl spätestens drei Wochen später stattfinden.
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