Power-Shopping bei Lafayette: Chinesen werden abgeschoben
Die Luxuskaufhauskette Lafayette macht für Chinesen eine eigene Filiale auf. Aber Louis Vuitton, Anbieter der heiligen Handtasche, macht da nicht mit.
Doch wo ist sie hin, die große Einkaufsbühne? Für seine wichtigste Kundschaft hat das Haus sein Konzept vom exklusiven Einkaufserlebnis aufgegeben und den chinesischen Touristen ihre eigene Filiale gebaut. Willkommen im Shopping and Welcome Center Paris!
Als wäre der neue Spross aus dem Mutterhaus hinausgefegt worden, liegt er nur ein paar Schritte den Boulevard hinunter. Im Vergleich zur breiten Brust der Gründerstätte macht die Neueröffnung hinter der goldbraun verkleideten Fassade einen geduckten Eindruck – bloß nicht auffallen. Doris ist eine ehemalige Verkäuferin des Welcome Center.
Sie beobachtet den Einkaufsstrudel der chinesischen Touristengruppen: Wie die eine durch die Eingangstür hineinspaziert, während am anderen Ende des Schaufensters, durch die Ausgangstür, ein Guide sein Gefolge wieder aus dem Laden rausdirigiert. Doris ist sehr elegant, dunkelroter Lippenstift zu Pelzmantel. „Es geht nicht mehr um das Shoppingerlebnis“, sagt sie, „sondern um den reinen und massenhaften Verkauf von Luxusgütern. Chinesische Touristen bringen so viel Geld, sie sind selbst zu einer Ware im Warenhaus geworden.“
Entfesselter Konsumrausch
Als Doris hier noch arbeitete, vermisste sie das bunte Treiben, das von den Pariser Straßen in die Läden schwappt. Wie alle VerkäuferInnen hier hat sie chinesische Wurzeln. Nicht zuletzt deshalb war Doris angestellt. Viele Asiaten wählen einen westlichen Namen, weil Europäer sich die echten Namen angeblich nicht merken können. „Auch so eine Art Service“, lacht Doris, die auch für den gemeinsamen Blick auf die Luxusbranche es bei der Anonymität ihres Fantasienamens belassen will.
Eben mit der Maximierung seines Servicestandards begründet das Lafayette die Eröffnung des Welcome Center und verspricht ein „effizientes Einkaufserlebnis“, maßgeschneidert für chinesische Reisegruppen. Doch dahinter verbirgt sich auch die Geschichte, eines vom Konsumrausch entfesselten Zusammenpralls zweier Kulturen. Immer zahlreicher reisen Chinesen nach Paris. Die Besucherzahl hat sich in den vergangenen fünf Jahren auf eine knappe Million verdoppelt. Von dem Kuchen profitieren vor allem Einkaufstempel wie die Galeries Lafayette. Das Publikum aus Fernost kaufte in einer Masse, dass die Verantwortlichen der Einkaufskette plötzlich um ihr Image sorgten.
Wenn Doris daran denkt, klingt sie ernüchtert. Vor etwa zwei Jahren gab es viele Beschwerden über die chinesischen Touristen, die heimische Kundschaft verschwand zunehmend von der Verkaufsfläche. „Es ist traurig, dass die Kunden zweier Kulturen anscheinend nicht mal zusammen einkaufen können“, sagt Doris.
Das Lafayette machte aus der Not ein Geschäft und trennte die vermögenden Herden. Die chinesische Kundschaft sollte ihr Geld außerhalb der alteingesessenen Einkaufswelt ausgeben. So steht von nun an „Shopping and Welcome Center“ über einer neuen Ladentür, und auch ein wenig Lafayette. In Blockschrift aber, nicht in den geschwungenen Serifen. Auf ihren Europatrips reisen chinesische Touristen noch überwiegend in Gruppen.
Immer mit einem Blick auf die Uhr führen die Tour Guides ihre zwanzig-, dreißigköpfige Gefolgschaft zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Städte. Wer dazwischenfunkt und den Gruppenführer auf seine Arbeit anspricht oder die Touristen nach ihrer Einkaufsmotivation fragt, der prallt ab an ihren Zeitplänen. Die hinterherlaufenden Reisenden blockieren jede Fragen schon vor dem Satzende. Nicht nur unter Taschendieben ist bekannt, dass chinesische Touristen häufig mit viel Bargeld einkaufen gehen. Den verschreckten Reaktionen zufolge müssen die Reisenden jedoch geradezu gegen Fremdkontakt konditioniert worden sein.
25 Prozent des Jahresumsatzes
Was nicht in der Reisebeschreibung steht, sind die Kooperationen und Verträge, die Tour Guides mit dem Lafayette pflegen. Grund genug jedenfalls, die Klienten aktiv in das Welcome Center zu führen, denn ein chinesischer Kunde kauft im Durchschnitt Produkte für 1.400 Euro. In der Heimat können Luxusprodukte im Einkauf bis zu 70 Prozent teurer sein als hier in Paris. Damit spült die umsatzstarke Klientel aus China aktuell 25 Prozent des Jahresumsatzes in die Kassen des Pariser Lafayette.
Prominente Architektur, die Kunden anzieht, ist im Welcome Center nicht mehr nötig. Im Restaurant Austern und Champagner schlürfen? Davon übrig geblieben ist ein Wasserspender. Betörender, dicht gedrängter Parfümduft zwischen den Regalen? Nicht ein Hauch begegnet den etwa zwanzig chinesischen Touristen, die ihrem Guide durch die Glastür des Welcome Center gefolgt sind. „Ohne die Guides würde das Geschäft leer bleiben. Bestimmt hat der Manager dem Touristenführer eine SMS geschickt, wann es günstig sei vorbeizukommen“, sagt Doris. Zur Rushhour werden die Gruppen in engster Taktung durchgeführt.
Unter den unverkleideten Decken leitet ein Ikea-Laufsystem durch den Duty Free Shop. Schon bei der geringsten Annäherung an einen Stand kommen die VerkäuferInnen angelächelt, um ihre Angebote anzupreisen. Doch die Kunden scheinen diesen Nachmittag lieber für eine Pause zu nutzen. Die wenigen Sitzmöglichkeiten sind alle besetzt. In der Reihe sitzend schlüpft man aus den Schuhen, trinkt eine Tasse Tee oder wirft einen Blick in die Zeitung.
Die Ausgegrenzten finden ihren Weg zurück
Und noch etwas fehlt: die wohl berühmteste Handtasche der Welt. Sie wird zur Hürde gegen das Kundenoutsourcing. Louis Vuitton, das Aushängeschild der französischen Modelandschaft und populärster Kaufmagnet bei vielen Chinesen, zieht nicht mit bei der Idee des pragmatischen Shopping von Luxusware. Der Modekonzern blieb dem Welcome Center fern. Damit fehlt dem Lafayette-Konzept ein wichtiges Puzzleteil, die Chinesen in ihr eigenes Kaufhaus abzuschieben.
Es ist also unausweichlich. An den Securities vorbei, die vor dem Welcome Center ihre Blicke über die zu beschützende Klientel schweifen lassen, sind es nur ein paar Meter bis zur Kreuzung. Dort wandern die Fotoapparate und Handys aus den Taschen der Besucher und fokussieren den Geburtsplatz der Kaufhauskette, Galeries Lafayette Hausmann. Der Koloss dominiert den Straßenzug, am Fuß der Fassade drängt das bunt gemischte Publikum samt Chinesen in den Einkaufstempel. Die Ausgegrenzten finden ihren Weg zurück.
Gemeinsam müssen die Kunden in der Schlange stehen, weil der Anbieter der heiligen Handtasche zu renitent ist für einen Ableger im Duty Free Format. Daraus könnten die Verantwortlichen von Lafayettes etwas lernen – und manch einer, der sich noch an den reise- und kauffreudigen chinesischen Tourismusboom gewöhnen muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau