Posttraumatische Belastungsstörung: Wenn alte Ängste lebendig werden
Bei einem Trauma werden im Körper viele Mechanismen in Gang gesetzt. Das kann bei Triggern dazu führen, dass das Gehirn für permanenten Stress sorgt.
![Ein Mann liest eine Zeitung in der Bahn Ein Mann liest eine Zeitung in der Bahn](https://taz.de/picture/5022878/14/28180180-1.jpeg)
Z urzeit denke ich oft an das Wort „Trauma“, wenn ich die Nachrichten lese. Flutkatastrophen, Kriege, Pandemie, Vergewaltigung, Missbrauch. Alles, was im Leben geschieht, kann ein Trauma sein.
Aber was ist das eigentlich, ein Trauma? Ein traumatisches Ereignis bedeutet – auf medizinischer Ebene –, dass ein Mensch plötzlich intensivem Stress ausgesetzt ist. Der setzt im Körper viele Mechanismen in Gang, auch bekannt als Fight-or-flight-Reaktion. Stresshormone wie Cortison und Adrenalin werden ausgeschüttet, das Gehirn gibt dazu die Signale.
Wichtig sind neben anderen zwei Gehirnstrukturen: die Amygdala und der Hippocampus. Die Amygdala ist im Gehirn für die Angstverarbeitung verantwortlich, der Hippocampus für das Gedächtnis. Denn: Gefährliche Situationen will sich das Gehirn merken – damit es das nächste Mal besser reagieren kann. So weit, so gut.
Problematisch wird es, wenn die Traumareaktion nie richtig aufhört. Wenn das Gehirn Jahre später noch auf einen bestimmten Trigger hin wieder in den Trauma-Loop gerät – und sich dadurch in einer permanenten Stressreaktion befindet. Der medizinische Fachausdruck: posttraumatische Belastungsstörung.
Studien zeigen, dass die Aktivität der Amygdala, des Angstzentrums des Gehirns, bei so einer Störung erhöht ist, während das Volumen des Hippocampus sinkt. Auch der Körper kann erkranken, denn der ist für permanenten Stress nicht ausgestattet.
In den letzten Monaten erlebte ich selbst, was passiert, wenn sich eine Stressreaktion verselbständigt. Verschiedene Ereignisse haben ein altes schweres Trauma wieder aufleben lassen. Alte Gefühle, alte Ängste wurden wieder lebendig. Alles schien grauer, alles schien schwer. Ich erlebte dieselben physischen Krankheitssymptome, wie ich sie im Nachgang der traumatischen Erlebnisse entwickelt hatte. Nur weil mein Gehirn glaubte, die Gefahr sei wieder da.
Ein traumatisches Ereignis endet nicht immer mit dem Ereignis selbst. Eine aktuelle Studie zeigt, dass bei Überlebenden der Shoah selbst 70 Jahre später noch Veränderungen im Gehirn nachweisbar sind. Eine Studie aus Italien hat gerade gezeigt, dass drei von zehn Covidpatient:innen mit schwerem Verlauf ein posttraumatisches Belastungssyndrom entwickeln.
Wir sehen Bilder, wir lesen viel von Traumata. Was hinter einem einzelnen Trauma steckt, was es mit dem Leben eines Menschen machen kann, das sehen wir oft nicht. Das geschieht Tage, Monate, Jahre später. Es hinterlässt Spuren in der Neurobiologie des Gehirns und im ganzen Körper. Trauma, Schmerz, ist nie etwas Relatives.
Was den einen Menschen zerstören kann, ist dem anderen nur eine schlechte Erinnerung. Das hat nichts mit „Stärke“ zu tun, sondern mit Erfahrungen, Erlebnissen – schlicht: den Wunden, die Kindheit, Leben, Beziehungen hinterlassen haben. Wenn ich die Nachrichten lese, denke ich: Der permanente Trauma-Loop, er läuft weiter.
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