Postkoloniale Soundkunst im HKW: Wenn Karten klingen statt zeigen

Der Künstler Satch Hoyt erkundet in seinem Projekt „Afro-Sonic Mapping“ im HKW die Beziehungen von Klängen in der Musik der afrikanischen Diaspora

Eine Prozession mit einer Marching-Band nach dem Gottesdienst auf einer Straße in Salvador da Bahia

Prozession nach dem Gottesdienst in der Nossa Senhora do Rosário dos Pretos in Salvador da Bahia Foto: Satch Hoyt

Karten sind Schlüssel zur Herrschaft. Sie helfen, das Gelände zu lesen und Überblick zu gewinnen. Auch dort, wo die Landschaft flach vor den Augen liegt. Nicht umsonst gingen in den letzten Jahrhunderten die geografische Erkundung der von Europäern neu in ihre Sphäre des Wissens eingegliederten Weltregionen und ihre koloniale Erschließung und Ausbeutung Hand in Hand. Eine Karte ist ein Machtinstrument.

„Aber es gibt so viele Kartografien, und nicht alle davon sind europäisch. Die Luba im heutigen Kongo haben eine besondere astrologische Art von Karte, die dir aufzeigt, wohin du in deinem Leben gehen kannst. Auch die polynesische Bevölkerung kannte schon sehr früh Karten“, sagt Satch Hoyt – und der in Berlin lebende Künstler und Musiker fügt bei seinem Projekt „Afro-Sonic Mapping“ eine hinzu, die nicht die Perspektive von Macht einnimmt: „Die Sklaven trugen ein monumentales Netzwerk aus Klang zu den karibischen Inseln und den Amerikas und hielten so die afrikanische Kultur intakt. Diese Elemente haben bis heute überdauert.

Die afrosonischen Zeichen bewegen sich noch immer vom afrikanischen Kontinent über die globale afrikanische Diaspora und sind in jede populäre Musik eingedrungen, die wir kennen.“ Die Spuren dieses Netzwerks zu zeichnen, ist Satch Hoyts Anliegen.

Die erste große Präsentation dieses Vorhabens findet bis Mitte November im Berliner Haus der Kulturen der Welt statt, kuratiert von der Chilenin Paz Guevara – und sie erkundet das lusophone Dreieck, das sich zwischen den großen portugiesischsprachigen Regionen der Erde aufspannt, zwischen Portugal, seinen früheren Kolonien in Afrika wie Angola und Mosambik und der früheren Kolonie Brasilien.

Gibt es Muster in der Musik der Afrodiaspora, die immer wiederkehren, über Jahrzehnte, Genres und Moden hinweg? Das ist die Ausgangsfrage des Projekts „Afro-Sonic Mapping“, für das der Künstler und Musiker Satch Hoyt Tondokumente aus Angola und dem Kongo gesammelt hat. Aufgenommen wurden sie von europäischen Anthro­polog*innen zwischen 1890 und 1907.

„Afro-Sonic Mapping“: HKW, 1.–17. 11., Eröffnung 31. 10., 20 Uhr, Eintritt frei

Die Karten des Satch Hoyt sind großformatige Gemälde, die in der Hängung eines Amphitheaters im Foyer präsentiert werden, im Kreis aufsteigend. Sie zeigen immer wieder die Leere zwischen zwei Polen, einen Schwarzen Atlantik zwischen Landmassen aus getropfter Farbe. Es sind Himmelskarten und grafische Soundnotierungen, Schicht um Schicht, komplexe Bedeutungsträger: „Sie sind nicht abgeschlossen, sondern eher so etwas wie Echtzeitkompositionen.“

Satch Hoyt ist als bildender Künstler eher für seine skulpturalen Arbeiten und Installationen bekannt, die Malerei ist neues Terrain für ihn. Als Musiker arbeitete der gebürtige Londoner mit britisch-jamaikanischen Wurzeln früh mit der legendären Musikerin Grace Jones, später auch mit Jazzlegende Butch Morris, in dessen Impro-Gruppe Burnt Sugar The Arkestar Chamber er bis heute spielt.

Raum und Bewegungen zeigen, in Gemälden, aber auch in Klang. Portugal, sagt Hoyt, wird heute im Konzert der kolonialen Großmächte oft überhört, ist aber doch dessen Auftakt: Das Königreich Portugal war das erste wirkliche Weltreich, seine Kolonialgeschichte dauerte am längsten an. Schon 1415 eroberten Portugiesen die marokkanische Stadt Ceuta und gliederten bald weite Teile der Küste Afrikas in ihr Reich ein. Zum Königreich Kongo nahmen die europäischen Seefahrer fast gleichberechtigte Beziehungen auf.

Akustische Restitution

Als der Sklavenhandel in die Amerikas zum großen Geschäft wurde, konnte auch eine kongolesische Oberschicht davon profitieren. Im 17. Jahrhundert aber wurde das Gebiet von europäischen Sklavenjägern ausgebeutet, die Strukturen des Königreichs zerstört. Niederländer und Briten hatten nun die koloniale Vorherrschaft, 1866 zogen die letzten Portugiesen ab. Bald darauf entstand das Material, das nun die Basis ist für Hoyts akustische Kartierung.

„Die afrosonische Klangwelt ist eine der größten, komplexesten musikalischen Lexiken, die es gibt. Sie erzählt von Schönheit und Glauben, aber auch von unfassbarem Schmerz.“ Im Phono­grammarchiv des Ethnologischen Museums in Dahlem fand Hoyt die ältesten Tonaufnahmen aus West- und Zentralafrika, aufgezeichnet ab 1890. „Meine Vision war es, diese Musik zurückzubringen an die Orte, an denen sie aufgenommen wurden. Ich will eine Art klangliche Restitution schaffen und sie transformieren.“

Er arbeitete mit diesen Aufnahmen mit Musikern aus der Region, aus Luanda, der Hauptstadt Angolas. Später entwickelte er die Klänge, die dabei entstanden, mit Musikern aus dem brasilianischen Salvador de Bahia weiter. Die Ausstellung geht einher mit der Veröffentlichung eines Albums mit Field Recordings von diesen Orten – vor allem aber mit Performances, die das afro­sonische Netzwerk im Konzert erschließen.

Was sind diese Bedeutungszeichen, welche Knotenpunkte hat dieses Netz aus Klang? „Ich frage mich eher, was eingebettet ist in das Schweigen zwischen den Tönen. Es geht darum, die tausend Noten, die nicht gespielt werden, zu entschlüsseln. Und dieses Alphabet wird nicht nur decodiert, sondern auch weitergeschrieben. Heute trägt Kendrick Lamars Musik diese Signifikanten – aber wie könnte ich einen Rhythmus beschreiben oder einen Groove?“

Die Gemälde und die Musik, der Komplex der Ausstellung, auch die Texte auf dem Blog, den Satch Hoyt betreibt, seit er 2016 mit dem Projekt begann, sie alle versuchen, etwas zu fassen, was sich Beschreibungen entzieht: Die komplexe Beziehung von Transmigration, Klang, Kosmologien, Religionen und Identität.

„Wenn ich von Kartierungen spreche, spreche ich von New Orleans, wo afrikanische Musik auf französische Klassik, irische Musik und die Musik der First Nations trifft – und aus diesem Gebräu entsteht Jazz. Das passiert überall in der Diaspora. Du kannst nicht afrikanische Musik in Afrika studieren, du musst es auch in Kolumbien machen, du musst die Musik der Nachkommen der ersten entlaufenen Sklaven in den spanischen Kolonien studieren, die ein Bantu sprechen, das in Afrika nicht mehr existent ist, die afrikanische Rhythmen spielen, die in Afrika nicht mehr existent sind.“

So entstehen Klangkarten, die etwas anderes abbilden als strategische Wege durch unwegsames Gelände: eine kontinuierliche Bewegung, die bis heute andauert.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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