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Positionspapier zu PKW-freier CityHandelskammer will mitreden

Mit zehn Forderungen versucht die Bremer Handelskammer, das Politikziel einer PKW-freien City mitzugestalten. Dabei dominiert die Sorge.

„wagen un winnen“ hat die Bremer Handelskammer als Motto. Für die PKW-freie City gilt das eher nicht Foto: imago images / Schöning

BREMEN taz | Mit dem Auto ist es vorbei. Dafür gibt es seit Mittwoch ein untrügliches Zeichen: Denn mit ihrem Positionspapier „Autoärmere Innenstadt“ beginnt selbst die Handelskammer Bremen von ihrer seit Jahrzehnten verfolgten starren PKW-Politik abzurücken.

Sie reagiert damit auf die angekündigte Schließung von Parkhäusern und das im Koalitionsvertrag benannte Ziel, ein „verbindliches Stufenkonzept für eine autofreie Innenstadt“ zu entwickeln. Diese soll 2030 von der Weser bis zum Wall reichen. Damit, so die Unterstellung, werde aber „der letzte Schritt vor dem ersten getan“, sagte Janina Marahrens-Hashagen. Das „bedeutendere Ziel“ sei es, „Bremen als attraktives, lebendiges und gut erreichbares Oberzentrum“ zu erhalten, stellte die Präses klar.

Daran wolle man mitwirken – durch Forderungen: So müsse zuallererst der Öffentliche Personennahverkehr ausgebaut und preislich attraktiver gestaltet werden. Beispiel: Der Kernbereich der City. „Das muss kostenlos“, so der Sprecher der Einzelhändler Stefan Brockmann, „da kann man ruhig mal nach Augsburg schauen.“

Eine wohl mit Bedacht gewählte Referenz: Während Bremens „Einsteigen!“-Ini ihr Gratis-ÖPNV-Modell nicht zuletzt per Gewerbesteuer-Erhöhung finanzieren will, übernimmt in Augsburg der Freistaat Bayern die gesamten 860.000 Euro, die für die freie Nutzung der City-Zone veranschlagt werden. Aber immerhin: Die Zeiten, in denen die Handelskammer mit manipulierten Gutachten für die Vierspurigkeit der Concordia-Unterführung kämpfte, liegen so lange noch nicht zurück.

Vorbild Augsburg

Wenn jetzt also „die Kammer ganz klar Ja zu einer fußgängerfreundlichen City“ sagt, wie Hauptgeschäftsführer Matthias Fonger es ausdrückt, klingt das fast schon zukunftsorientiert. Man habe auch die Verbesserung des Radverkehrs im Blick, so Fonger weiter. „Damit haben wir uns in der Vergangenheit ja weniger befasst.“

Doch man bleibt vorsichtig. Auch wenn das Motto „wagen un winnen“ überm Haus Schütting eingraviert ist, die Sorge, dass ein Verdrängen des Autoverkehrs aus der Innenstadt die Käuferströme noch mehr als bislang in die Einkaufszentren in Randlage treibt, ist groß. „Dorthin wird erst recht mit dem Auto gefahren“, sagt Fonger. „Das bedeutet mehr Autoverkehr.“

Das sei ein Risiko, das man im Auge behalten müsse, sagt Malte Halim, Vorsitzender des alternativen Verkehrsclubs VCD. Allerdings, werde das „durch die gestiegene Aufenthalts- und Lebensqualität aus unserer Sicht ausgeglichen“. Beispiel dafür sei Kopenhagen, dessen City durch eine konsequente Anti-KfZ-Politik im Laufe der letzten 20 Jahre massiv gewonnen habe.

Kopenhagen hin oder her: Die Studienlage ist unbefriedigend. So gibt es kaum nennenswerte Untersuchungen über die Entwicklung europäischer Städte, die seit längerem den Autoverkehr verbannt haben. Dort wo Zahlen vorliegen, sind sie allerdings ermutigend. Das spanische Pontevedra etwa, das seit 1999 die Innenstadt weiträumig für Autoverkehr gesperrt hat, entwickelt sich prächtig.

Weniger Verkehrstote

Nicht nur der CO2-Ausstoß sondern auch die Zahl der Verkehrstoten ging binnen zehn Jahren um rund 70 Prozent zurück, berichtete The Guardian kürzlich. Gestiegen ist zudem die Einwohnerzahl um zehn Prozent auf 82.000 – und davon profitiert hat natürlich: der Einzelhandel. Während im Zuge der heftigen Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre in ganz Spanien die kleinen Geschäfte in den Citys haben dicht machen müssen, haben sie in Pontevedra überlebt.

Ob das ein Effekt der Autofreiheit ist, lasse sich nicht eindeutig feststellen, heißt es in einer von den Städteplanern Jiacheng Jiao, Sheng He und Xiaochen Zeng 2019 vorgestellten Untersuchung über „European car-free development models“ bezüglich der galizischen Regionalhauptstadt. Aber das demografische wie auch ökonomische Wachstum seien unbestreitbar.

Die Handelskammer sorgt sich derweil um Menschen mit Behinderung, die, so Marahrens-Hashagen „auf das Auto angewiesen sind, um in die Stadt zu kommen“. „Diese Sorge teile ich nicht“, sagt allerdings auf Nachfrage Joachim Steinbrück. „Dafür“, ist der Landesbehindertenbeauftragte zuversichtlich, „lassen sich Lösungen finden“, eine Sonder-Einfahrtserlaubnis zum Beispiel.

Letztes Zucken der KfZ-Ideologie

Trotz der Zugeständnisse in Richtung „autoarm“ scheint der ideologische Vorbehalt der IHK noch immer virulent. So nennt Vizepräses Joachim Linnemann den „Claim einer autofreien Innenstadt abschreckend“. Die empirische Basis für die These sind aber lediglich Äußerungen von KundInnen, die den HändlerInnen gegenüber die Sorge ausgedrückt hätten, man komme „gar nicht mehr mit dem Auto in die Stadt“.

Zu dieser offenkundigen Fehlwahrnehmung dürften IHK-Äußerungen zum Verkehrsthema mehr beitragen, als die Wirklichkeit. So verweist Verkehrssenatorin Maike Schae­fer (Grüne) darauf, dass „die City momentan strukturelle Probleme“ habe, „obwohl ausreichend Parkplätze vorhanden sind“. Für die Forderung der IHK einbezogen zu werden, äußerte sie Verständnis: Allerdings ist das Ziel der Autofreiheit mit ihr nicht verhandelbar: Wer über 2030 hinaus noch wie im vergangenen Jahrtausend auf motorisierten Individualverkehr setze, „hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt“, so Schaefer.

Deutlicher noch kritisierte der Grünen-Verkehrspolitiker Ralph Saxe das Positionspapier: Es sei „mutlos“. Es mache zwar durchaus einen Schritt nach vorne – aber zugleich zwei zurück. „An der autofreien Innenstadt führt kein Weg vorbei“, sagte er. „Damit machen wir das Herz unserer Stadt attraktiver.“

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