Portrait: Die früh Weggegangene
Bei Preisverleihungen den Tränen nah zu sein gehört zu den Standardsituationen von Schauspielerinnen (Männer müssen das Überraschtsein einstudieren, aber das tut hier nichts zur Sache). Die 40-jährige Diane Kruger ist Profi genug, um ein in dieser Hinsicht anspruchsvolles Publikum wie das in Cannes nicht zu enttäuschen. Beben in Brust und Stimme, die feuchten Augen: Als Kruger auf dem 70. Filmfestival in Cannes ihren Preis als beste Darstellerin entgegennahm, war alles, wie es sich gehört.
Doch wo sonst Dankbarkeit und Demut dominieren, traute sich Kruger, auch so etwas wie Stolz aufblitzen zu lassen. Auf der Pressekonferenz sprach sie es den Journalisten noch mal ins Mikrofon: Sie sei unheimlich stolz, dass sie diesen Preis für ihren ersten deutschen Film und unter der Regie von Fatih Akin bekommen habe.
Dass Akins „Aus dem Nichts“ tatsächlich Krugers erster deutscher Film ist, mag überraschen. Obwohl die weit verbreitete Häme, die dem in Niedersachsen geborenen Exmodel hierzulande entgegengebracht wird, genau darauf hinweist. Häme ist der klassische Reflex auf die Weggegangenen, die es woanders „schaffen“ und dann womöglich so tun, als seien sie etwas Besseres.
Sei es Krugers verrissener Auftritt als Helena in Wolfgang Petersens „Troja“ oder ihre international gepriesene Rolle als Verschwörerin in Tarantinos „Inglourious Basterds“ – ihr Name wird in deutschen Gesprächen gern mit fakefranzösischem Akzent genannt.
Das könnte sich nun ändern. In „Aus dem Nichts“ verkörpert Kruger eine Frau, die durch ein ausländerfeindliches Attentat ihren Mann und ihr Kind verliert. Modelliert an der Geschichte der NSU-Morde, erzählt der Regisseur von den Vorgängen auf die gewohnt Akin’sche Weise: nicht als historische Abhandlung, sondern als Überfall der Emotionen.
Die in ihrer Ausstrahlung eher kühle und trockene Kruger wirft sich mit Verve ins Gefühlschaos, tariert es gleichzeitig aber perfekt mit einer Prise Pragmatismus aus. Es ist eine wunderbare Kombination, die einen unebenen Film in sehenswertes Kino verwandelt.
Barbara Schweizerhof
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