Portrait: Trotzkistischer Rächer
In der TV-Debatte, bei der allen elf Präsidentschaftskandidaten am Dienstag in Frankreich gleich viel Redezeit zur Verfügung stand, hatten die Außenseiter ihre Sternstunde. Das ließ sich der Trotzkist Philippe Poutou nicht nehmen. Schon vor dem Beginn boykottierte er das Gruppenbild der Kandidaten, mit denen er nicht in einen Topf geworfen werden will.
Wenig später attackierte er ohne Rücksicht auf Konventionen und bürgerlichen Anstand: „Zu Monsieur Fillon und seinen Affären: Je mehr man die Nase reinsteckt, desto mehr riecht es nach Korruption und Mogelei.“ Gleichermaßen attackierte er Marine Le Pen, die er beschuldigt, sie habe „Geld von der EU geklaut“. Der Rechtsextremistin blieb die Spucke weg. Denn Poutou warf ihr auch vor, sie habe sich auf die Immunität als Abgeordnete der von ihr sonst verteufelten EU berufen, um einer Vorladung nicht Folge zu leisten. „Wir haben keine Arbeiter-Immunität, wenn uns die Polizei vorlädt!“ Poutous Satz wird seither viel zitiert.
Gegenüber den verpönten Berufspolitikern hat der 50-Jährige einen Vorteil. Er hat keine Eliteschulen absolviert, er ist Arbeiter und Gewerkschaftsdelegierter in einer Ford-Autofabrik, wo er Maschinen repariert. „Ich bin hier neben Nathalie Arthaud der Einzige, der eine normale Arbeit hat und der im Namen von Millionen Menschen über diese Gesellschaft und den Koller über die Unterdrückung durch das Kapital reden kann, von dieser reaktionären, rassistischen und xenophoben Politik, die versucht, die Unzufriedenheit der Leute gegen die Immigranten zu kehren, die auch bloß zu überleben versuchen.“
Poutou ist kein Redner, er macht lange Sätze und spricht viel zu schnell, wofür er kürzlich verlacht wurde. Doch der Kandidat der revolutionären Linken versteht sich nicht als Humoreinlage. Er hat sich schon 2012 an solchen Wahlen beteiligt und bekam 1,15 Prozent der Stimmen. Das macht nichts, er will explizit nicht Präsident werden. Für seine Neue Antikapitalistische Partei (NPA) sind die Wahlen eine Tribüne, um die Werktätigen zum Widerstand aufzurufen. Mit seinem TV-Auftritt hat er sich einen Namen als „Rächer“ der Unterprivilegierten gemacht. Rudolf Balmer
Meinung + Diskussion SEITE 12
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