Porträt: Der Unantastbare
Die Trainerfrage stellt sich nicht.“ Mit diesem Satz eröffnete der Sportchef des FC St. Pauli, Thomas Meggle, am Freitagabend die Trainerfrage. Denn immer wenn Vereinsfunktionäre glauben, diesen Sachverhalt extra betonen zu müssen, ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Stuhl des Übungsleiters längst wackelt. Angesichts einer kläglichen 1:2-Heimniederlage gegen einen spielerisch limitierten Abstiegskonkurrenten wie Erzgebirge Aue und des letzten Platzes in der Zweitligatabelle ist das Liga-Normalität.
Dabei hat Ewald Lienen tatsächlich den absoluten Rückhalt von Meggle und Vereinspräsident Oke Göttlich. Am Hamburger Kiez plant man langfristig (mit Lienen) und hat außerdem dessen hervorragende Arbeit der vergangenen anderthalb Jahre nicht vergessen: Lienen hatte das Zweitligateam von Tabellenplatz 18 bis auf Rang vier geführt. Die Abstimmung zwischen Meggle, Lienen und auch Göttlich ist eng und der Coach quasi unantastbar.
Es rumort allerdings bereits im Journalistentross und seit Freitag auch bei den Fans. Oft setzte Lienen zuletzt überraschend auf neue Spieler, die sich dann auf dem Feld als Flopp erwiesen, während er bewährte Kräfte, die ihre gute Form bereits nachgewiesen hatten, auf der Bank schmoren ließ.
Zudem ist auf dem Feld oft keine klare Spielidee erkennbar. Gegen Aue wirkte das Team selbst nach der frühen Führung durch einen von Marvin Duksch nach drei Spielminuten verwandelten Foulelfmeter total verunsichert. Dass, wie schon oft in den vergangenen Spielen, ein krasser individueller Fehler – diesmal von Daniel Buballa – ein Gegentor ermöglichte, zeigt die Verunsicherung deutlich.
Auffällig aber ist vor allem: Warum die Mannschaft seit Wochen schlechten Fußball spielt– dafür liefert Lienen derzeit keine Erklärung. Wie schon oft zuvor arbeitete sich der Coach nach der verlorenen Partie an den „Rückschlägen“ ab, die das Team habe verkraften müssen – gegen Aue drei verletzte Spieler und ein nicht gegebener Elfmeter. „Rückschläge“, die am Freitag wohl einen Punkt kosteten, nicht aber den planlosen Auftritt seiner Mannschaft erklären.
Auf Dauer wird sich der Trainer diese Ratlosigkeit nicht leisten können – das weiß Lienen am besten. Auch wenn er soviel Rückhalt bei seinem Arbeitgeber besitzt wie kaum ein anderer Trainer, muss Lienen nun langsam liefern, soll sein Team nicht langsam den Anschluss zu den Nicht-Abstiegsplätzen verlieren. Sonst wirken irgendwann auch am Millerntor die Gesetze des Marktes und die Beteuerung, „die Trainerfrage stellt sich nicht“, wird so lange wiederholt werden, bis der Coach beurlaubt wird. Marco Carini
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