Porträt eines Journalisten: Bewegtes Leben
Kommunismus, Exil, Schoah, DDR, vier Ehen. Die Schriftstellerin Barbara Honigmann hat über ihren Vater ein Buch geschrieben: „Georg“.
An einem Samstagnachmittag in den frühen sechziger Jahren sitzt Barbara Honigmann, damals ein Teenager, mit ihrem Vater in dessen Berliner Wohnung herum. Der Vater wartet auf einen Anruf, der ihn über die Geburt seiner zweiten Tochter benachrichtigen soll. Als es schließlich so weit ist, nötigt er seine erste Tochter, mit ins Krankenhaus zu fahren und ihre Schwester kennenzulernen, was sie so gut wie möglich zu verweigern versucht, sie hat nichts mit der neuen Frau ihres Vaters und deren Baby am Hut, das wie sie als zweiten Vornamen den der geliebten Großmutter ihres Vaters erhält.
Es ist eine unschöne Szene, in der der Vater so viele verschiedene Gesten von seiner Tochter verlangt, solche des Interesses, der Zuneigung und letztlich auch Solidarität mit ihm. Honigmann wäre an dem Tag lieber zu einem Konzert der Coverband Team 4 gegangen, um sich Beatsongs anzuhören.
Ohnehin hätte sie vielleicht einiges in ihrem Leben lieber getan, denn Dauerdienst als Zeugin der vielen Ehen, Liebschaften und beruflichen Verwicklungen ihres Vaters Georg zu leisten. Falls dem so ist, merkt man das den Erinnerungen an ihren Vater nicht an. „Georg“ ist ein ganz erstaunlich zugewandtes Buch, das sich in großer Dezenz den vielen Stationen im Leben von Honigmanns Vater widmet, ohne dass sie dabei ihre eigene Perspektive, die des genervten Teenagers, des noch unverständigen Kindes und später der eigenständigen Erwachsenen aus den Augen verliert.
Honigmann hat in „Ein Kapitel aus meinem Leben“ (2004) bereits über ihr Zusammenleben mit ihrer Mutter Litzy geschrieben, die Georg in den 1930er Jahren vom Kommunismus als der richtigen Weltanschauung überzeugte. Nun fügt sie ihrer Herkunftsgeschichte einen weiteren Teil hinzu. Beide Eltern waren nicht nur politisch engagierte Personen, sondern auch ansonsten ständig in Bewegung.
Jude, Kommunist, SED
Der 1903 geborene Georg war in seinem Leben nicht nur Korrespondent für die Vossische Zeitung in London, sondern ab 1949 Chefredakteur der BZ am Abend, Leiter des Kabaretts „Distel“ in Ostberlin, Autor ungezählter Feuilletons und wenig gelesener Sachbücher (zum Beispiel über den Medienunternehmer Hearst) – unter anderem. Als Jude wurde er im Zweiten Weltkrieg von den Briten einige Wochen in Kanada interniert, während dieser Zeit lernte er viele weitere überzeugte Kommunisten kennen, die ihn in seiner politischen Einstellung bestärkten, in der DDR wurde er selbstverständlich Mitglied der SED.
Honigmann baut ihre Erzählung aus verschiedenen Materialien zusammen. Dazu gehören Akten des britischen Geheimdienstes MI5, der Georg bespitzelte, Informationen, die sie aus Gesprächen mit seinen vier Ehefrauen bezieht, vor allem aber verlässt sie sich auf ihre Erinnerungen und erlaubt ihrem Text, sich ganz auf deren assoziativen Charakter, ihre Brüche und Sprünge zu verlassen.
Nie sprach er darüber, was mit jenen geschah, denen nicht der Weg ins Exil offenstand
Ohne viel Aufhebens ist „Georg“ damit auch eine Studie darüber, was es überhaupt heißt, sich schreibend an Verstorbene anzunähern: „Die Erinnerungen, die ich an ihn habe und in denen er mit mir weiterlebt, stammen aus einer anderen, viel späteren Zeit, als er schon fünfzig Jahre alt und dann immer älter war. Aber auch die Erzählungen, die Sagen seines Lebens, über die ich in Wahrheit natürlich gar nichts weiß, haben sich in meine Erinnerungen an ihn verwoben.“
Die einzige Intimität, die das Buch anbietet, ist diejenige, die Honigmann mit ihren Erinnerungen unterhält. „Georg“ handelt nicht von der Beziehung zu ihrem Vater und hält sich nicht mit der Schilderung ihrer Gefühle füreinander auf. Das Buch handelt vielmehr von ihrem Zusammenleben und dem Leben, das er ihren Erkenntnissen nach führte, bevor er im Alter von 46 Jahren überhaupt ihr Vater wurde.
Immer 30jährige Ehefrauen
Ihre Erinnerungen begleiten ihn auch in der Zeit, nachdem Georg und ihre Mutter sich trennten. Eine junge Schauspielerin um die 30 tritt in sein Leben, „Mein Vater heiratete immer dreißigjährige Frauen. Er wurde älter, aber die Frauen blieben immer um die dreißig“, die später in der DDR große Erfolge feierte, unter anderem durch ihre Zusammenarbeit mit Hanns Eisler. Gisela May tritt in diesem Buch immer nur als Gisela auf, die zu dem Kind Barbara Honigmann ein sehr freundliches Verhältnis gehabt zu haben scheint.
Der Blick auf das Intellektuellen- und Künstlermilieu der DDR, mit dem Honigmann durch ihre Eltern in Kontakt kam, bleibt der eines Kindes, vor dem immer wieder Türen geschlossen werden, wenn es interessant wird, und das sich selbst einen Reim darauf macht, warum wer wann aus ihrem Leben verschwindet.
Dabei wird von ihrem Vater aber auch einiges beschwiegen. Niemals habe er darüber gesprochen, was mit all jenen Verwandten geschehen ist, die weniger kosmopolitisch als er lebten und denen während der Schoah nicht der Weg ins Exil offenstand. Dass sie ermordet wurden, deutet Honigmann an. Der Vater unterließ selbst dies und gab der Zehnjährigen lediglich ein Theaterstück zu lesen, in dem er diesen Teil seiner Biografie verarbeitete. Der Tochter gelang das zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Nur an wenigen Stellen schreibt Honigmann über ihren Vater, der von ihnen beiden immer als „wir Männer“ sprach, anders als „Georg“. Nachdem sie so lange als Zeugin seinem romanhaften Leben beigewohnt hat, wird er bei ihr nun zu einer Figur, die in der dritten Person auftaucht. Die Erzählerin ist sie, Barbara Honigmann sagt „ich“.