Porträt des Regisseurs Simon Stone: Der Theaterstrauchdieb
Simon Stone kommt erstmals zum Theatertreffen nach Berlin. Der dezidierte Kinonerd arbeitet mit einer hart geschnittenen Bildwelt.
Befreiung oder Bankrotterklärung des Theaters? Am gerade mal 31-jährigen Simon Stone scheiden sich die Geister. Für die einen ist der gerade an europäischen Bühnen heiß gehandelte Australier der ersehnte Retter des Schauspielertheaters. Für die anderen nur ein eitler Banause, ein ärgerlich weit über Wert verkaufter Theaterstrauchdieb. Was die einen begeistert, stößt den anderen übel auf: dass Stone sich nonchalant über die großen Klassiker hermacht und sich dabei um Werktreue nicht viel schert.
Adaptionen kann man, was am Ende herauskommt, kaum noch nennen – oft bleibt kein Wort vom Original übrig. „Überschreibung“ nennt Stone das. Ausgehend von ein paar exzentrischen Verbindungen und Mehrdeutigkeiten, werden Plotskelette entfleischt, bis nur ein paar Motive, Situationen und Figuren übrig sind, mit denen dann ausdrücklich antiliterarisch herumgespielt wird.
Große Menschheitsfragen bricht Stone aufs Familiendilemma herunter, stülpt die Stücke von hinten nach vorn, macht sich über ihre Konstruktion lustig, erzählt sie mit schnoddriger Alltagssprache und Tragikomik neu.
Der Titelheld verschwunden
Sehen konnte man das zuletzt am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, wo Stone von Ibsens dramatischem Gedicht „Peer Gynt“ nur eine Ruine übrig lässt, in der der Mythos nur noch herumspukt. Der Titelheld taucht gar nicht mehr auf, stattdessen macht Stone aus der Geschichte vom Traumtänzer, der auf der Suche nach einem unverwechselbaren Ich-Kern die Welt erobert und wieder verliert, ein assoziatives Spiel um drei namenlose, aus der Rolle gefallene Frauen. Sie ringen inmitten hysterisch-hilfloser Männer, die zu Witzfiguren verkommen, um ihr Recht auf einen eigenen Peer-Gynt-Komplex: sie ringen darum, sich wie Männer selbst suchen und dabei auch scheitern dürfen.
Aber daraus wird keine feministische Dekonstruktion, sondern eine rasante Familienkomödie irgendwo zwischen Telenovela und David-Lynch-hafter Traumerzählung, in der Stone sein Ensemble durch fast schon wie Filmsets wirkende Bilder hetzt. Da wird aus der Begegnung mit der Trollfamilie ein LSD-Trip mit einer gruseligen Armee von Clown-Zombies. Die Nordafrika-Episode verwandelt sich in eine Szene in einer heruntergekommen Expat-Bar, in der Raubgut aus der vom „Islamischen Staat“ geplünderten Ruinenstadt Palmyra vertickt wird.
„John Gabriel Borkman“ von Simon Stone ist beim Theatertreffen in Berlin am 14. und 15. Mai zu sehen.
In Hamburg ist sein „Peer Gynt“ am 21. und 26. Mai zu sehen (Deutsches Schauspielhaus); im Theater Basel „Engel in Amerika“ am 7. Mai.
15 DVDs jede Woche
Man darf darin den von Stone selbst gesetzten gesellschaftskritischen Anspruch vermissen, einen solch unbekümmerten Umgang mit dem Meisterwerk für zu leichtfertig halten, für eine ärgerliche Verflachung. Aber wenn man sich auf die schnoddrig-knallige Entführung des Ibsen-Stoffes einlässt, dann erlebt man durchaus einen schlüssig erzählten und erfrischend kurzweiligen Abend, der zwischen allerlei trivialer Komik den Tiefgang nie ganz aus den Augen verliert.
Als Regisseur ist Stone Showmensch. Seine Antwort auf die Frage, wie man die großen Stoffe noch überzeugend auf die Bühne bringt und damit Säle füllt, ist pragmatisch und unzynisch: man verknüpft Avantgarde mit Populismus, bastelt Übersetzungen für die Netflix-Generation.
Denn den Theaterraum denkt Stone als Kinonerd, der von Filmen, ihrer Ästhetik und ihrer Art, zu erzählen, ganz besessen ist. Sein Vater starb, als er zwölf Jahre alt war und grade erst von Europa nach Australien gezogen war. Nach diesem tragischen Verlust flüchtet sich Stone in Kunst- und Traumwelten. Mit 15 fasst er den Entschluss, Schauspieler zu werden. Statt Eskapaden gibt es Tee, statt Gesprächen über die traurige Jugend Tony Kushners „Engel in Amerika“, Shakespeare chronologisch und jede Woche bis zu 15 Filme auf DVD.
Alles bleibt ein Work-in-progress
Vielleicht ist Stone deshalb so ein leidenschaftlicher Vertreter eines Ensembletheaters, in dem Autor und Text nicht wichtiger sind als Bühnenbild, Maske und Beleuchtung. Und der Regisseur nur einer, der verantwortlich ist, dass alle ihr Bestes geben. Vor allem die Schauspieler, die Stones größter Quell für Inspiration sind. Seine Charaktere entwickelt er in Auseinandersetzung mit ihren Spiel, schreibt ihnen nachts seine Texte auf den Leib, über die am nächsten Tag wieder improvisiert wird.
Für Stone ist das Theater eben ein Raum zum Experimentieren, ein Spielplatz, auf dem man das „komplizierte Fleisch des Lebens“ erkundet, ein Kinderland voller Ideen und unentdeckter Welten, in dem alles möglich ist. Theaterpuristen wird schnell schwindlig, wie leichtfertig Klassiker da über den Haufen geworfen werden. Das tut Stone übrigens nicht immer: Seine Basler „Engel in Amerika“-Inszenierung lässt den Text fast vollkommen intakt.
In Australien hat Stone jedenfalls eine Blitzkarriere hingelegt. 2007 gründete er mit Theaterschulkollegen in Melbourne die freie Gruppe Hayloft Project, für die er unter anderem Wedekinds „Frühlings Erwachen“ und Tschechows „Drei Schwestern“ adaptierte. Mit einer durch den Fleischwolf gedrehten Fassung von Senecas „Thyestes“ sorgte die Truppe beim Melbourner Fringe Festival für Furore. 2011 wurde Stone Hausregisseur am Belvoir St. Theatre in Sydney und feierte mit Ibsens „Die Wildente“ einen durchschlagenden Erfolg an der Theaterkasse und bei Kritikern. 2013 zeigte er seine „Wildente“ bei den Wiener Festwochen und beim Holland Festival, wo auch die europäische Szene auf ihn aufmerksam wurde.
Preise in Europa
Seit zwei Jahren lebt und arbeitet Stone nun in Europa. Als Deutschland-Debüt gab es 2014 am Theater Oberhausen eine Überschreibung von Aischlyos’ „Orestie“, die mit dem Ensemblepreis des NRW Theatertreffens ausgezeichnet wurde. Für das Akademietheater der Wiener Burg hat Stone 2015 Ibsens „John Gabriel Borkman“ ins Internetzeitalter entführt und lässt lauter im Gestern stecken gebliebene Gespenster in einer surrealen Schneelandschaft herumschreien. Drei Nestroypreise, einen für Stones Regie, hat die Inszenierung gewonnen. Nun ist sie zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
Im Herbst ist er an seinen Geburtsort zurückgekehrt, als Hausregisseur am Theater Basel unter dem neuen Intendanten Andreas Beck. Vergangenes Jahr ist Stone auch noch zum Filmemacher geworden und für seinen ersten abendfüllenden Film „The Daughter“ zur „Wildente“ zurückgekehrt. Ganz ohne Remmidemmi: gelungen ist ihm ein atmosphärisch beeindruckend dichter Film und ein subtiles Charakter-Drama.
Und dieses Jahr kann Stone seiner Leidenschaft für performative Künste auch zum ersten Mal in der Oper freien Lauf lassen. Im August inszeniert er in Basel Korngolds „Die tote Stadt“. So schnell wird man den australischen Überschreiber wohl nicht mehr los.
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