Porträt der Dramatikerin Caren Jeß: Im Abflug erwischt
Durch die Stücke der Dramatikerin Caren Jeß wuseln Vögel, eine Katze und Ferkel. Sie helfen, den Menschen auszuhalten.
Bei einem der wenigen Termine, zu denen das Literarische Colloquium Berlin im vergangenen Jahr Gäste zu einer Lesung von Stipendiaten empfangen konnte, las Caren Jeß aus ihrem neuen Stück „Eleos – eine Empörung in 36 Miniaturen“ die 4. Miniatur, „Dosenpfand“:
„c Es soll jetzt Pfand auf Dosen geben, ALTA?!
Ich mach das, wie ich das IMmer gemacht hab
ich SCHMEIß DIE WEG
ich SCHMEIß die
mit SO einer WUCHT SCHMEIß ich die
schmeiß ich die SOWAS von WEG
ich SCHMEIß die
geHÖRig WEG
die werden WEGgeSCHMISsen, was das ZEUG hält
die werden SOWAS VON WEGgeschmissen
das SETZT sich nicht durch
setzt sich das nicht.“
Das ist jetzt hier nur der halbe Monolog, den die Autorin, eine zierliche Frau mit akkuratem Haarschnitt, durchaus mit Schmackes las. Man konnte gut auch länger zuhören, bald amüsiert über dieses Bestehen auf Unvernunft, diesen beharrlichen Widerstand gegen Veränderung. Ein bisschen dachte man an die Wutbürger, Querdenker und Coronaleugner. Nur dass c im Vergleich mit diesen als eine vielleicht noch ärmere Figur erscheint, der überhaupt nichts mehr hat, was er verteidigen kann.
Nachwuchsautorin des Jahres
Auszeichnungen hat Caren Jeß, die in Dresden lebt, schon einige bekommen. Etwa den Else-Lasker-Schüler Stückepreis für „Der Popper“, von der Zeitschrift Theater Heute wurde sie 2020 zur Nachwuchsautorin des Jahres gekürt. Die Kritiker überzeugte sie mit dem Stück „Bookpink“. „Bookpink“ sollte in Gießen im Januar die deutsche Erstaufführung erleben, „Der Popper“ im Februar in Kaiserslautern gezeigt werden. Beides findet wegen Corona vorerst nicht statt.
Caren Jeß hat es sozusagen voll im Abflug erwischt. Das ist für die junge Autorin schon verunsichernd. „Meine Arbeit findet zurzeit kaum Abnahme, kein Publikum, wodurch sie sich gerade immer wieder bedeutungsarm anfühlt“, schreibt sie in einer Mail. Im erzwungenen Rückzug machte sie im Dezember ein Stück fertig, „Die Katze Eleonore“. Es erzählt von einem freiwilligen Rückzug, einem Ausstieg aus der Gesellschaft, aus familiären und beruflichen Beziehungen, aus Zuschreibungen und Erwartungen.
Es sind Reflexionen einer Frau, ehemals Immobilienmaklerin, die sich in eine Katze verwandelt, sich zunehmend auf deren Bedürfnisse und Wahrnehmungen konzentriert. Über eine Figur zu schreiben, „die das draußen nicht braucht“, sagt Caren Jeß, habe ihr in der jetzigen Zeit geholfen. Und war ein sinnliches Vergnügen. Der Text malt das Lecken und Schlecken der Katzen liebevoll aus.
Texte mit Tieren
Tiere kommen in Jeß’ Stücken häufig vor. In „Popper“ träumt eine Fleischerin von Ferkeln, die ihr hinterherlaufen. Im Gefängnisstück „Knechte“ taucht immer wieder eine Amsel auf. Und in „Bookpink“ sind die Figuren als Vögel charakterisiert.
Das schafft zunächst eine Fremdheit, die das Wiedererkennen von sozialen Mustern, von Schwächen und Selbstbetrug dann mit umso größerer Überraschung belegt. Und auch eine unvermutete Sympathie herstellt. Die Karten für Neugierde und Verständnis der fehlerbehafteten und mit viel Witz ausgestatteten Figuren werden so neu gemischt.
Denn es geht in den Stücken von Caren Jeß auch um Härte, sozialen Abstieg, kriminelle Wege, brutale Ausbrüche. In „Knechte“ treten fünf Männer auf, die im Gefängnis sitzen und mit ihrer Schuld so wenig zurandekommen wie mit ihren Beziehungen zu Frauen. Sie machen sich etwas vor, verstecken sich vor sich selbst, auch wenn ihr Blick auf andere oft luzide ist.
Femizide
In Träumen und Monologen vor einer nicht sichtbaren Therapeutin durchleben sie traumatische Situationen wieder, eine Lektüre, die etwas von der Unerbittlichkeit von Sarah Kanes Dramen hat. So langsam zeigt es sich: Es geht um Morde an Frauen aus den unterschiedlichsten Motiven. Dabei sind die Dialoge zwischen den Männern auch um Freundschaft, Ehrlichkeit, Mitgefühl bemüht, aber ohne glückliche Auflösung – toxische Männlichkeit, sehr facettenreich aufgefächert.
„Knechte“ ist noch frei zur Uraufführung und wird wie die anderen Stücke von Caren Jeß vom Fischer Theater Medien Verlag angeboten. Eine der Quellen für den Text, so erzählt die Autorin selbst, waren Workshops, die sie mit einer Kollegin in Berliner Gefängnissen machte.
Auch für ihr Stück „Der Popper“ hat die Autorin ein reales Vorbild, einen ehemaligen Nachbarn, mit dem sie nach Jahren ins Gespräch kam. Sein schlabbriger Look stand im Gegensatz zu seiner Erinnerung an eine geile Discozeit, irgendwann früher. Im Stück hat er keine Optionen mehr im Leben außer der Wahl zwischen Alkohol und Alkohol.
Der tote Nachbar als Gespenst
Er stirbt und sucht seine Nachmieter als Gespenst auf: drei junge Menschen, die Partydrogen und Schauspielschule noch für das verheißungsvolle Tor zu einer glamourösen Zukunft halten. Und wieder gelingt Caren Jeß das Kunststück, trotz der kleinen Gemeinheiten, die das Trio sich auch untereinander leistet, die/den Leser:in, Zuschauer:in auf ihre Seite zu ziehen. Menschen sind eben nicht gut, aber trotzdem Menschen. Was in gewisser Weise auch den Weg der „Katze Eleonore“ erklären könnte.
Caren Jeß’ Umgang mit der Sprache ist vielseitig. Nicht selten zielen die Worte direkt auf den Körper, greifen schon beim Lesen sein Außen und Innen an. Ekel spielt eine Rolle, mit dem Genuss von Kindern malen sich die Figuren eklige Szenen aus. In „Eleos. Eine Empörung in 36 Miniaturen“ bohrt sich gleich die erste Szene unter die Haut, ein Strafszenario der Reinigung.
Einige der Miniaturen leben vom Rhythmus und vom Lautmalerischen, ein Marsch wird aufgeführt mit dem Refrain, „was wir links liegen lassen, taucht rechts wieder auf“, ohne diese Einladung zu politischen Reflexion weiter zu vertiefen.
Kommunizieren mit Emojis
Durch Wiederholungen gewinnen die Texte an Tempo und Musikalität, es sind Monologe und Dialoge dabei, aber auch sprachliche Landschaften, denen man keine Sprecher mehr zuordnen kann. Eine Episode über die Kommunikation mit Emojis erscheint in Herzform auf dem Papier.
Jeß’ Stücke sind schon auf dem Papier aufregend. Sie bergen auch viel Rätselhaftes, das macht aber durchaus ihre Spannung aus. Man kann beim Lesen erahnen, dass der Deutungsspielraum für die Aufführung sehr groß sein wird. Und man kann sich darauf freuen, dass nach den coronabedingten Theaterschließungen ihre Sprachkunstwerke dann endlich ihren Weg auf die Bühnen finden werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag