Poptrend Afrobeats: Das neue Erdöl
Afrikanische Stars wie WizKid sind weltbekannt. Ihr Genre Afrobeats mischt Euro- und US-Sounds mit eigener Musik. Erkundungen im Gestern und Heute.
Ein Meer aus leuchtenden Smartphone-Taschenlampen, in London trägt sich diese Szene vor wenigen Wochen zu, 20.000 Menschen sind in der ausverkauften O2-Arena. Auf der Bühne steht der nigerianische Popstar Davido und spielt ein episches Konzert. Alle im Publikum singen seine Texte auswendig und inbrünstig mit.
Bis vor wenigen Jahren wurde afrikanische Musik zumeist mit den Begriffen „Weltmusik“ oder „Globalpop“ als folkloristisch abgetan. Davidos Performance zeigt, was sich getan hat: Er ist ein Star, der Rap und afrikanische Gesangsstile vereint, auf Englisch oder in einer westafrikanischen Sprache wie Yoruba singt. Dazu prasseln synkopische Dancehall-Rhythmen, die sich mit lokalen afrikanischen Beats mischen. Umhüllt ist Davidos Sound von einer polyrhythmischen Sensibilität, die selbst Bewegungslegastheniker:Innen zum Tanzen bringt.
Wichtiges s am Wortende
So klingt zeitgenössische Popmusik aus dem englischsprachigen Teil von Westafrika. Sie wird meist Afrobeats genannt. Das s am Wortende ist wichtig. Denn die Genrebezeichnung ist leicht zu verwechseln mit Afrobeat. Afrobeat nennt man eine ältere Musiktradition mit Jazz- und Funkelementen, wie sie seit den späten 1960ern vor allem in Nigeria gespielt wurde, am prominentesten von Fela Kuti. Dazu später mehr.
Vor nicht allzu langer Zeit hätten Stadion-Konzerte von afrikanischen Musiker:innen in Europa noch für Aufsehen gesorgt. Heute sind Hits aus Ghana und Nigeria auch in europäischen Charts selbstverständlich. Wobei: Afrobeats ist weniger ein einheitlicher Stil als der Oberbegriff für Musik, die urbane westliche und karibische Klänge mit unterschiedlichen afrikanischen Stilen mischt.
Als Musikrichtung entstand Afrobeats Mitte der nuller Jahre. Vor allem seit 2005, als der erste Ableger des US-Musiksenders MTV in Afrika auf Sendung ging, hat Afrobeats einen riesigen Aufschwung erfahren. Künstler:innen, deren Songs zuvor meist mit selbst gebrannten CDs auf lokalen Märkten verkauft wurden, hatten nun eine Plattform mit größerer, auch transatlantischer Reichweite. Vor allem die Songs nigerianischer Interpreten wie P.Square wurden dadurch auf dem ganzen afrikanischen Kontinent populär, gerade in den anglophonen Ländern.
Interessant ist, dass der Begriff Afrobeats eben nicht in Afrika aufkam, sondern in Großbritannien, mit seiner großen westafrikanischen Diaspora und afrikanischen Gemeinden in allen Großstädten. Als Namensgeber gilt der Londoner DJ Abrantee, der in seiner Radioshow regelmäßig afrikanische Musik spielte. Der neue, einheitliche Begriff Afrobeats profitierte vom Siegeszug der sozialen Medien, dadurch wurde seine Vermarktung einfacher.
HipHop-Sample
So kam es auch zu ersten internationalen Hits von Künstler:innen. Einer davon ist „Ojuelegba“ (2015), die eher blumige Ballade des Nigerianers WizKid. In einer Mischung aus Pidgin-Englisch und Yoruba besingt der 31-Jährige das harte Alltagsleben im Arbeiterviertel Ojuelegba in Lagos. Die Musik basiert auf einem Sample des US-HipHop-Klassikers „Nuthin’ but a G Thang“ von Dr. Dre und Snoop Dogg. Auf Youtube hat der Hit von Wizkid inzwischen 49 Millionen Views, auf Spotify über 20 Millionen Streams.
Afrobeats schafft nicht nur finanziellen, sondern auch kulturellen Mehrwert, gerade für Afrikaner:innen in der Diaspora. Er generiert nebenher ein positives Selbstbild. So beschreibt es zumindest der britisch-ghanaische Autor Christian Adofo über seine Jugend in England: „Es war cool, schwarz zu sein, aber es war uncool, Afrikaner zu sein. Kinder von Eltern aus Ghana und Nigeria erzählten lieber, dass sie aus der Karibik sind“, schrieb er in seinem Buch „A Quick Thing on Afrobeats“.
Im Remix von „Ojuelegba“, entstanden mit dem kanadischen Superstar Drake und dem britischen Grime-Künstler Skepta, singt Skepta (dessen Eltern aus Nigeria nach England eingewandert waren): „When I was in school, being African was a diss / Sounds like you need help saying my surname, Miss.“ Dank Afrobeats ist es inzwischen also doch cool, aus Afrika zu sein.
Blaupausen Afrobeat und Highlife
Den Weg für den weltumspannenden Erfolg hat eine ältere Generation westafrikanischer Musiker:Innen geebnet. Afrobeats baut auf dem Erfolg der Blaupausen Afrobeat und Highlife auf. Für ihre Karrieren mussten jene Musiker:innen der 1960er Jahre große Opfer bringen. Die gewaltsame Auflösung ihrer Konzerte durch die Polizei oder die politische Verfolgung von Künstler:Innen mit sozialkritischen Texten war noch bis in die 1980er an der Tagesordnung.
Als Ghana 1957 seine Unabhängigkeit von England erlangte, wurde es nach Liberia zum zweiten selbstständigen Staat Westafrikas, in den Jahren danach erblühte die Kultur. Seit 1960 war Kwame Nkrumah Präsident Ghanas. In den Jahren zuvor entwickelte sich Highlife zum einflussreichen ghanaischen Sound. Highlife ist Tanzmusik, die westafrikanische Klänge mit Firstworld-Elementen wie Jazz und Marschmusiktraditionen der britischen Kolonialmacht vermischt.
Nach der Unabhängigkeit war es vor allem der Sound in den Nachtclubs der Hauptstadt Accra. Es galt als Musik für die Oberschicht, während die ärmere Bevölkerung nur von draußen zuhören durfte. Die Elite tanzte, die Zaungäste nannten die Musik „Highlife“. Trotzdem wurde es Teil der ghanaischen Identität. Während seiner ersten Amtszeit deklarierte Nkrumah das Genre sogar zur Nationalkultur.
E.T. Mensah, König des Highlife
Populärste Highlife-Band der 1950er und 1960er war E. T. Mensah & The Tempos. In Ghana heißt E. T. Mensah auch „King of Highlife“. Die Nähe zu Nkruhmas panafrikanischer Bewegung zeigte sich etwa in ihren Songtiteln: „Ghana-Freedom“ heißt ein Hit. Für Nkrumah war die Bedeutung von Highlife so zentral, dass er Stipendien für Musiker:innen vergab, damit diese im Ausland studieren und die Botschaft von Highlife weitertragen.
Etwa zur selben Zeit entstand in Nigeria Afrobeat. Als dessen Begründer gilt der Schlagzeuger Tony Allen (zeitweise Mitglied in der Band von Fela Kuti). Im Vergleich zu Highlife ist Afrobeat mehr uptempo und wurde durch den starken Jazzeinfluss auch jenseits von Afrika bekannt. Das lag vor allem an dem polarisierenden Künstler Fela Kuti.
Afrobeat avancierte durch sein Charisma auch als Soundtrack der internationalen Black-Power-Bewegung. In Nigeria selbst gilt die in den 1920er Jahren entstandene „Jùjú“-Musik als populärstes Genre. Künstler wie Sir Shina Peters erlangten bei Weitem nicht die Bekanntheit eines Fela Kuti. Auch, weil „Jùjú“ verniedlichend als „World Music“ vermarktet wurde.
Wechselnde kulturelle Zentren
Lagos wurde nach der Unabhängigkeit Nigerias 1960 zum Zentrum der westafrikanischen Musikszene. Es gab konstanten Austausch zwischen Musiker:innen aus Accra und Lagos, aber auch mit den USA. Je nachdem, wie es die politische Lage zuließ, hielten sich die Künstler:innen in Ghana oder Nigeria auf. 1966 putschten Ghanas Militärs Präsident Nkrumah aus dem Amt. Es wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, das Nightlife kam zum Erliegen.
Highlife galt nun als Relikt aus Nkrumahs Amtszeit, Künstler:innen wurden diskriminiert. Die Benachteiligung kulminierte in der Amtszeit von Jerry Rawlings, der 1982 das Präsidentenamt übernahm. Er beschloss eine drastische Steuererhöhung für Musikinstrumente, die die Künstler:innen hart traf. Viele gingen ins Exil: nach Großbritannien und nach Deutschland, vor allem nach Hamburg und Düsseldorf.
Mit Highlife im Gepäck trafen ghanaische Musiker:Innen in den späten 1980ern im Exil auf Drumcomputer, Sampler und Synthesizer. Sie öffneten sich für den Eurodisco-Sound. Afrikanische Rhythmen und karibische Klänge fusionierten etwa mit dem „kühlen“ deutschen Industrie-Sound.
Burger-Highlife
Ein afrodeutscher Hybrid von Highlife entstand, „Burger-Highlife“ genannt. „Burger“ ist doppeldeutig, in Anlehnung an Hamburg, dass eine große ghanaische Community hat. Außerdem ist „Burger“ (ausgesprochen bor-ga) ein ghanaisches Slangwort, mit dem ein Kosmopolit bezeichnet wird, der die afrikanische Heimat verlässt und den sozialen Aufstieg im Ausland schafft.
Pioniere des „Burger-Highlife“ waren George Darko, dessen Album „Friends“ als erstes „Burger-Highlife“-Werk gilt. Aber auch Amakye Dede, dessen Album „Me Fre Wo“ in Köln von Bodo Staiger produziert wurde, Sänger der NdW-Band Rheingold. Dieser neue Ghana-Pop verbreitete sich in der westafrikanischen Diaspora in Europa, ehe er auch in Ghana Erfolg feierte. „Burger-Highlife“ legte so auch den Grundstein für die zeitgenössische westafrikanische Fusion-Musik Afrobeats.
Inzwischen ist Pop aus Westafrika raus aus der Nische. Was früher in London und Hamburg nur in Afro-Shops und Friseursalons lief, gehört heute in Westeuropa zum Mainstream. Im Vergleich zur westafrikanischen Crossovermusik der 1970er mag Afrobeats weniger politische Untertöne haben, klingt dafür aber selbstermächtigender und vielfältiger. Künstlerinnen mischen nun kräftig im Afropop-Geschehen mit.
Allen voran die Nigerianerin Tems, die 2021 mit WizKid den Sommerhit „Essence“ landete. Afrobeats ist Big-Business. Wie Davido sagt: „Es ist unser neues Erdöl.“ Major-Labels investieren hohe Summen in Künstler:innen aus Westafrika. Einst von den Machthabern ins Exil getrieben, werden sie heute als Helden gefeiert. Sei es in den Arenen von Accra, Lagos oder London.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“