Pop-Wahlkampf in Großbritannien: Raves für Labour
Für Liberale oder die Sozialdemokratie: Rap- und Popstars wie Stormzy, Lily Allen oder M.I.A. engagieren sich im Endspurt der britischen Wahlen.
Wenn der Vizepremier Michael Gove einen Rapper zitiert, dann muss Wahlkampf in Großbritannien sein. „I set trends dem man copy“, twitterte der konservative britische Vizepremier letzte Woche. „Ich setze die Trends, die alle kopieren“ – eine Zeile, geklaut vom populären Londoner Grime MC Stormzy.
„Faszinierend, wie sehr Sie die Stimmen junger Wähler nicht wollen“, kommentierte eine Nutzerin Vize Gove sarkastisch. Am Donnerstag wird in Großbritannien gewählt – und junge Wähler sind die, die den Konservativen fehlen könnten.
Stormzy ist nicht irgendein MC. Im Juni war er (als Rapper!) Headliner beim traditionsreichen Glastonbury Festival in Südwestengland. Mit 200.000 Zuschauern ist es eines der größten Festivals der Insel. Dort trug Stormzy eine kugelsichere Weste auf der Bühne, ein Statement zu den steigenden Mordraten unter afrobritischen Jugendlichen.
Gerade für diese ist Stormzy oftmals ein Held. Aufgewachsen in Südlondon, von der Schule geflogen – und mittlerweile auf dem Cover des Time Magazine. In Glastonbury rappte er vor 200.000 Zuschauern „Fuck the government“. Und die Menge antwortete „Fuck Boris!“, gegen Boris Johnson, den derzeitigen britischen Premier. Mittlerweile ist diese Zeile aus Stormzys Nummer-1-Hit „Vossi Bop“ zu dem Soundtrack junger Labour-Aktivist*innen geworden.
Statement von Stormzy für Labour
Dabei hatte sich Stormzy bis vor Kurzem gar nicht zu den britischen Unterhauswahlen geäußert. Doch letzte Woche veröffentlichte der 26-Jährige ein Statement für Labour auf Instagram: „Bisher habe ich Politikern immer misstraut. Aber er ist der Erste in einer führenden Position, der die Macht zurück an die Menschen geben will.“ „Er“, das ist Jeremy Corbyn, Vorsitzender der sozialdemokratischen Labour Party.
Auch andere junge britische Popstars unterstützen Labour. Lily Allen und M.I.A. etwa sind für die Partei aufgetreten. Eine Milliarde Pfund will Labour in Bibliotheken und Museen investieren und auch lokale Kulturinstitutionen besser fördern. „Heute gehöre ich zur Elite, aber ich konnte nur mit staatlicher Unterstützung Kunst studieren“, sagte die als Kind aus Sri Lanka geflohene M.I.A.. Und: „Alles, was in der englischen Gesellschaft schiefläuft, habe ich am eigenen Leib erfahren.“
„#Grime4Corbyn“ nennt sich ein anderer Zusammenschluss von Rappern und DJs, der in der Endphase des Wahlkampfs Raves für Labour veranstaltet – wie schon 2017, als das unerwartet relativ gute Ergebnis der britischen Sozialdemokraten vor allem auf junge Wähler zurückging. Grime, dieser britische, sehr hektische HipHop-Stil, ist in den Institutionen des britischen Wohlfahrtstaats – Sozialwohnungsblocks und Jugendzentren – entstanden.
Doch seine wesentlichen Protagonisten haben zumeist die Logik des unternehmerischen Selbst verinnerlicht: individueller Erfolg, Markenbildung, materialistische Prahlerei. „I’m a name brand, I can’t afford to hype“, heißt es in einem Song von Grime-Godfather Wiley: „Ich bin eine Marke, jemand anderen zu hypen kann ich mir nicht leisten.“ Aber selbst der unberechenbare Wiley hat mittlerweile seine Unterstützung für Jeremy Corbyn via Twitter kundgetan.
Auch Labour erreicht die Jugend zu wenig
Obwohl Labour bei den unter 30-jährigen Wählern mit etwa 38 Prozent die stärkste Partei darstellt, erreicht auch sie die Jugend zu wenig. Die Jüngeren haben sich meist von der Politik abgewendet. Und auf den Smartphones und Bluetooth-Boxen in London ist Grime schon lange von Drill abgelöst worden. Drill MCs erzählen eine Gangsta-Version des Londoner Alltags in Zeiten der Sparpolitik: verfeindete Jugendgangs, Drogenhandel, Messerstechereien.
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„All my n***as voting Labour“, rappt der Gesichtsmaske tragende LD von 67 auf „Labour“. Den Rest des Tracks verwendet er aber, um zu erzählen, wie er gegnerische MCs erledigen möchte. Andere wie Krept (29) and Konan (30), zwei Drill MCs aus dem Londoner Vorort Croydon, haben den Musikstil wiederholt gegen den Vorwurf der Gewaltverherrlichung verteidigt.
Vielleicht politisiert sich diese Generation aber gerade. Über drei Millionen zumeist jüngere Menschen haben sich nun als Neuwähler*innen registriert, viele von ihnen sind unter 30. Doch laut einer YouGov-Umfrage Ende November können die Tories mit einer Parlamentsmehrheit von 68 Sitzen rechnen.
Auch wenn Labour die Themen des Wahlkampfs eigentlich vorgibt. Ganz oben dabei: ein Ende der Sparpolitik und eine bessere staatliche Gesundheitsvorsorge. Aber das B-Wort schadet Labour. Durch den angedrohten Brexit ist die Stimmung stark polarisiert, die Haltung Corbyns und Labours oftmals unklar.
Coldplay-Sänger Chris Martin wirbt für Liberaldemokraten
Die „Leaver“ auf der einen, die „Remainer“ auf der anderen Seite stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die Liberaldemokraten fordern am eindeutigsten, den EU-Austritt rückgängig zu machen. Sie werden auch unterstützt von Coldplay-Sänger Chris Martin, der letzte Woche erklärte, den Liberalen seine Stimme zu geben, um einen Brexit zu verhindern.
Auch Schauspieler Hugh Grant, der in „Tatsächlich … Liebe“ den letzten beliebten britischen Premierminister gespielt hat, ging am Wochenende für die LibDems in den Straßenwahlkampf in Finchley in Nordlondon. Ein paar Tage später war er jedoch auch auf einer Wahlkampfveranstaltung für Labour im benachbarten Chingford zu Gast. Kulturschaffende wie Grant wollen vor allem eins: die Tory-Regierung abwählen. In beiden Wahlbezirken haben die Konservativen nur eine dünne Mehrheit.
Aber die haben ja noch ihren Hauptperformer Boris Johnson (Lieblingsband: Rolling Stones). Der unberechenbare Politclown aus der Oberschicht sammelt sogar Punkte in den ehemaligen Labour-Hochburgen im Nordosten und den Midlands. Sie gehören zu den ökonomisch schwächeren Regionen und glauben, von einem Wahlsieg Labours zu profitieren. Johnsons autoritäres Gehabe und sein „Get Brexit done“ finden dort starken Widerhall.
Dagegen kann der Hobbygärtner Jeremy Corbyn (Lieblingsband: The Animals) anscheinend nur verlieren. Seine Position zum Brexit – Wiederaufnahme der Verhandlungen, über deren Ergebnis ein zweites Referendum entscheidet – hat für viele Wählergruppen zu viele Zwischentöne.
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