Pop-Sachbuch über Dead Moon: Declaration of Mono
„Off the Grid“, ein schön aufgemachtes Buch mit Interviews, Fotos und Illustrationen beleuchtet den Kosmos der US-Kaputtrock-Combo Dead Moon.
Wenn es den einen Augenblick gäbe, an dem Fred Cole zu diesem bocksturen Eigenbrödler wurde, dann der, als er seinen ersten Plattenvertrag später noch mal genau anschaute. 1965 war dafür keine Ruhe.
Da war er gerade 18. Und wer mit 18 in Los Angeles von einer großen Plattenfirma unter Vertrag genommen wird, verschwendet keine Zeit fürs Kleingedruckte. Erst Jahre später will Cole wissen, warum er als Komponist keinen Cent bekommt. Antwort: Weil er alle Rechte an seinen Songs in einer Fußnote des Vertrags an die Plattenfirma abgetreten hat, für einen US-Dollar.
Es gibt viele solcher Augenblicke, in denen Fred Cole das Heimtückische der Musikbranche am eigenen Leib erfahren hat. Zu viele, selbst für die 320 großformatigen Seiten des schönen Buchs „Off the Grid“. Das beschäftigt sich lieber damit, wohin diese negativen Erfahrungen Cole geführt haben: Zu seiner Band Dead Moon, dieser Unabhängigkeitserklärung in Mono.
Über Wochen verschanzte sich Herausgeberin Simone „szim“ Müller auf dem Dachboden der Coles, sichtete alte Tourtagebücher, fütterte ihren Scanner mit Fotos, Flyern, Zeitungsschnipseln. Ausführliche, aber kurzweilig zu lesende Interviews hat sie auch geführt. Oder eher Stichworte gegeben. Mehr brauchten Fred und seine Frau Toody nicht, um ihre eigene, schwindelerregende Oral History zu erzählen. Und hätten andere Stimmen diese Geschichte schildern können, pointenreicher und unterhaltsamer, wäre sie dennoch kaum geraten. Gut, dass das alles geschehen ist, bevor Fred Cole 2017 gestorben ist.
Hier brennt etwas
Schon dass sich Dead Moon 1987 überhaupt gründete, trotzte jeder Wahrscheinlichkeit. Wie viel Niederlagen kann man einstecken? Nach bescheidenen Erfolgen und erniedrigenden Momenten mit seiner Sixtiesband Lollipop Shoppe in Kalifornien – der Manager ließ ihn mit Lolly in der Hand posieren, die Doors drehten ihm während des Auftritts den Verstärker ab – zieht Frederic Cole von L. A. hoch nach Portland, Oregon, und wird zum Bandgründer in Serie: Zipper, Shadow 66, Underground Railroad, Red Eye, Pure Mule … eine folgt der nächsten. Keine bekommt einen Fuß in die Tür.
„Dead Moon. Off the Grid“. Hrsg. von szim, Eric Isaacson, Erin Yanke. Ventil Verlag, Mainz 2020, 320 Seiten, 35 Euro
Als Ende der 1970er der Punk nach Oregon kommt, sind Cole und seine inzwischen Bass spielende Frau schon über 30. Zu alt für den Krach. Spätestens als auch die folgenden Country-Combos floppen, hätte noch der Letzte kapituliert.
Fred Cole, inzwischen knapp 40, gründet wieder eine Band: Dead Moon. Mit ihm selbst an der Gitarre, Toody am Bass, ein Schlagzeuger, der ihr Sohn sein könnte. Etwas rastet ein. So fest, dass alle drei sich das Bandlogo tätowieren lassen, Fred Cole auf die Wange. Was Dead Moon in den folgenden 20 Jahren gerade in Europa derart eingeschworene Fans beschert, bringt dieses Buch ausgezeichnet auf den Punkt.
Es ist nicht allein die Musik, dieser unbehauene, kratzbürstige Garagen-Punk, von den drei MusikerInnen auf das Nötigste reduziert. Rohe Energie abgewechselt mit freigelegtem Gefühl. Alles vorgetragen mit Fred Coles Schmirgelfalsett, das klingt wie AC-DC-Sänger Bon Scott nach dem Gurgeln mit Nägeln. Vor allem live berührt diese Mischung Kopf und Herz, alle Anwesenden spüren: Hier brennt etwas.
Schlaflose Zocker-Marathons in Las Vegas
Mindestens ebenso wichtig aber ist die Geschichte hinter dieser Band. Sie lädt Dead Moon mit Glaubwürdigkeit auf. Wenn Fred Cole schmachtet „I’ve waited too long, to have it any other way“, dann schwingt die gelebte Kompromisslosigkeit mit. Um nie mehr in die Fänge der Musikindustrie zu geraten, nehmen Dead Moon ihre Alben zwischen Flur und Schlafzimmer selbst auf – in Mono. Die Matrize wird zu Hause auf einem Uraltgerät geritzt. Das Ganze schließlich auf dem eigenen Label veröffentlicht.
Jahrzehnte lang kursierten Dutzende Geschichten über Dead Moon: Songs komponieren sie nur während schlaflosen Zocker-Marathons in Las Vegas. Einen Platz im Vorprogramm von Nirvana schlugen sie aus, um durch neuseeländische Bars zu touren. Konzerte sind erst dann vorbei, wenn die Kerze in der Jack-Daniels-Flasche auf dem Schlagzeug abgebrannt ist. Jede einzelne Anekdote baute mit an der Legende dieser Band. Und jede machte es wahrscheinlicher, dass daraus einmal etwas Größeres werden würde.
Dieses Buch, ursprünglich in kleiner Auflage und teuer in den USA erschienen, ist ziemlich groß. Für Fans ist es in dieser überarbeiteten und erweiterten Neuauflage sogar großartig und einigermaßen preiswert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften