Polizeiwillkür im russischen Fußball: Fans on Fire
In Moskau werden nach einem Spiel wahllos Hunderte Anhänger festgenommen. Die Kurven im Land solidarisieren sich gegen Liga und Polizei.
A m 28. November hat es in der russischen Hauptstadt gebrannt. Fans von ZSKA Moskau nebelten nach der 0:2-Niederlage ihres Teams gegen Zenit St. Petersburg das Stadion ein. Eine Woche später ist das Feuer immer noch nicht ausgebrannt. Die Geschehnisse im Anschluss an das Spiel waren am vergangenen Spieltag der russischen Premier Liga der Anlass zu Protesten auf den Rängen überall im Land.
Zu einem verabredeten Zeitpunkt wandten sich in St. Petersburg, in Moskau, Ufa, Kasan, Sotschi, Samara oder Rostow Zuschauer vom Spielgeschehen ab und verließen die Ränge. Zurück blieb in den Kurven oft nicht mehr als ein Transparent. In St. Petersburg war auf einem solchen zu lesen: „Das Stadion ist kein Gefängnis – der Fan ist kein Verbrecher“. Was war da nur geschehen in der Arena von ZSKA?
Nach den pyrotechnischen Vorfällen hatte die Polizei kurzerhand beschlossen, die ganze Kurve abzuriegeln. Hunderte von Fans mussten in klirrender Kälte stundenlang warten. Die Überwachungskameras, mit denen für gewöhnlich vermeintliche Übeltäter unter den Fans identifiziert werden können, waren außer Betrieb und so beschlossen die Ordnungshüter, erst einmal 408 Fans in Gewahrsam zu nehmen. Gegen 51 von ihnen wurden Verfahren eingeleitet. Sie durften zum großen Teil erst am Tag nach dem Spiel die Polizeistation verlassen. Dass es dabei mit rechten Dingen zugegangen ist, glaubt wohl niemand in Russland, der schon einmal mit der Polizei zu tun hatte.
Das Sportportal sports.ru protokolliert die Erinnerung eines der Beschuldigten an seine Nacht in Gewahrsam und seine Verurteilung zu einer Geldstrafe und einem zweijährigen Stadionverbot. Dass man ihn auf einem Foto identifiziert hat, habe man ihm gesagt. Auf dem Foto sei jemand in einem braunen Rollkragenpulli zu sehen gewesen. Er besitze gar keinen solchen, wird der Mann zitiert.
Zeugnisse der Willkür
Das Bild, das zu seiner Verurteilung geführt hat, habe zudem keinerlei Hinweis enthalten, der darauf schließen ließe, er habe mit Pyrotechnik hantiert. Dafür habe es angeblich eine Zeugenaussage gegeben. In den Kommentarspalten der Artikel über die Nacht von Moskau wimmelt es von Berichten, die Zeugnis ablegen von der Willkür der Behörden.
Die ZSKA-Ultravereinigung „Leute in Schwarz“ richtete sich in einem Statement voller Wut an die Polizei, aber auch an die eigene Klubführung. Den Vorwurf an die ZSKA-Spitze, der Polizei bei den Maßnahmen gegen die Fans zugearbeitet zu haben, nahmen die Ultras indes wieder zurück, nachdem sie erfahren hatten, dass der Klub versucht hatte, wenigstens Frauen und Kinder aus dem abgeriegelten Block zu befreien.
Ihre Abneigung gilt weiterhin vor allem dem Chef der russischen Liga, Ashot Khatschaturjanz. Der hatte zwar das Vorgehen der Polizei kritisiert, vor allem aber die zündelnden Fans verurteilt. Er sieht gar eine Art Verschwörung am Werk. Hacker, so sagte er, hätten sich in das System der Videoüberwachung geschummelt und sie außer Betrieb genommen.
Er möchte die Vorkommnisse vor allem dazu nutzen, einen Fan-Ausweis einzuführen, so wie es ihn während der großen internationalen Fußballturniere im Land gegeben hat. Mit diesem Überwachungstool ließen sich unliebsame Fans schon vor den Spielen aussieben. Das hat in der Vergangenheit nicht allein pyrotechnikaffine Kurvenfans getroffen. Vor dem Europameisterschaftsspiel der Russen gegen Belgien in diesem Sommer wurde der Moskauer Lokalpolitiker Maxim Gongalski von der Oppositionspartei Jabloko am Zutritt zum Stadion gehindert. Er selbst ist überzeugt, dass dies etwas mit seiner Teilnahme an Aktionen zur Unterstützung des Oppositionellen Alexei Nawalny zu tun hatte. Seine Schlussfolgerung damals: „Wenn du nicht für Putin bist, darfst du auch die Nationalelf nicht anfeuern.“
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