Polizeiübergriff in Bremen: Bilder an die Macht
Nicht mal Polizisten hält Überwachung von Gewalt ab. Diese Bilder gehören in die Öffentlichkeit. Vor ihr muss sich die Polizei verantworten.
Die Bilder der Überwachungskamera sind brutal. Ein junger Mann wird im Eingangsbereich einer Bremer Disothek von bis zu sieben Polizisten in die Mangel genommen. Sie drängen ihn in eine Ecke. Ein Beamter geht ihm an die Gurgel. Vier Polizsten drücken ihn zu Boden. Ein Fünfter tritt den Discobesucher und schlägt ihn mit einem Stock.
Das in dieser Woche öffentlich gewordene Bremer Video ist bereits das zweite binnen kurzer Zeit, das Polizisten bei der Arbeit zeigt – und für Aufregung sorgt. Erst Ende Juni hatte ein über Facebook und Youtube verbreiteter Handyfilm dokumentiert, wie ein Polizist in Berlin einen nackten Messerträger in einem Brunnen erschießt. Beide Filmchen bringen einen neuen Dreh in die langjährige Diskussion über Videoüberwachung, weil nicht Sicherheitskräfte das Volk filmen, sondern umgekehrt.
Überwachungsfans nannten bisher stets zwei Hauptgründe für Kameras: Abschreckung und Aufklärung. Der erste dürfte spätestens durch die Bilder aus Bremen widerlegt sein. Schließlich lassen sich nicht einmal Polizisten durch Kameras von Gewalt abhalten.
Überraschender aber ist, dass nun ausgerechnet die Anhänger einer flächendeckenden Kamerainstallation die Aussagekraft der Bilder in Frage stellen. An vorderster Front die Vorsitzenden der Polizeigewerkschaften GdP und DPolG. Beide warnen vor einer Vorverurteilung der Beamten in Bremen, weil man ja die Vorgeschichte der Prügelei auf dem Video nicht sehe. Mit dem gleichen Argument wurde die Beweiskraft der Bilder vom tödlichen Schuss in Berlin angezweifelt.
Nur grobe Bilder möglich
Und tatsächlich: Sie haben recht! Videos sind mächtig, bildmächtig. Sie setzen sich fest im Kopf, sie drängen dem Betrachter eine Sichtweise auf – aber eben immer nur eine. Und die kann falsch sein. Schön, wenn sich diese Erkenntnis auch bei Überwachungsfans durchsetzt.
Umgekehrt darf nicht vergessen werden, dass ein Bild von einem prügelnden Polizisten nicht unbedingt eine Straftat zeigt. Polizisten dürfen und müssen manchmal Gewalt anwenden. Das sieht selten schön aus. Entscheidend ist: War ein Schlag, ein Schuss angemessen? Dank Video kann man sich ein grobes Bild machen. Mehr aber auch nicht.
Und was heißt das jetzt für die Überwachungsdiskussion? Brauchen wir mehr Kameras, damit wir uns ein besseres Bild machen können? Die Frage stellt sich nicht mehr. Kameras sind allgegenwärtig. Der Staat filmt. Unternehmer wie der Bremer Discobetreiber filmen. Der Rest filmt mit dem Handy. Und alle wissen: Im Zweifel landen die Bilder in den Händen staatlicher Ermittler.
Wichtiger ist: Wer kommt noch an die Videos? Gerade Bilder von – mutmaßlicher – staatlicher Gewalt gehören in die Öffentlichkeit. Denn vor der muss sich die Polizei verantworten. Und nur wer Zugriff auf die Bilder hat, hat auch die Macht sie zu interpretieren. Die Polizei scheint das zu wissen. In Bremen gibt es den Verdacht, dass sie versucht hat, das Prügelvideo verschwinden zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin