Polizeispitzel in linker Szene: Jetzt reden die Opfer
Der Freund im Bett war Polizist? Dieses Szenario ist kein Einzelfall. Bis heute wissen die Opfer nicht, was über sie in den Akten steht.
taz | Sie fuhren in diesen Heidelberger Nächten oft mit ihren Fahrrädern vom Gasthaus „Maria“ die Brückenstraße hinab. Über den Neckar, bis zur Ecke an der Liebermannstraße. Und ehe Jasper Müller und sein Freund nach Hause fuhren, blieben die beiden gern noch eine Weile hier stehen, um über den Tag zu reden. Dann bog Müller rechts ab. Sein Freund Simon fuhr geradeaus. Aber Simon war nicht Müllers Freund.
Das alles ist einige Jahre her. Erst vor wenigen Wochen ist Jasper Müller etwas Gerechtigkeit widerfahren. Ein Gericht befand: Der Einsatz des Polizeispitzels Simon Bromma unter linken Studenten in Heidelberg war rechtswidrig.
Eines ist dagegen weiter offen: „Ich weiß bis heute nicht, was über mich in den Akten steht.“ So wie Müller geht es vielen Betroffenen von Spitzeleinsätzen in der linken Szene. Müller ist Opfer und will daher seinen echten Namen nicht nennen.
„Simon Brenner“, „Iris Schneider“, „Maria Block“ und „Mark Stone“ – das sind die Decknamen von Polizeibeamten, die in den vergangenen Jahren spektakulär enttarnt wurden. Sie alle eint: Ihre Einsätze fanden im gesetzlichen Graubereich statt, waren teils eindeutig illegal. Bis heute sind viele Fragen offen.
Jasper Müller
Erst im August war in Hamburg die vermeintliche Aktivistin Maria Block enttarnt worden. Jahrelang hatte sie die linke Szene ausspioniert. Noch spektakulärer ist der Hamburger Fall der Beamtin Iris Plate, die auch sexuelle Kontakte zu Aktivisten gehabt haben soll. Ihr Fall spaltete die Hamburger Szene, weil Plate – von Aktivisten – bereits einmal enttarnt worden war, die Anschuldigungen aber zurückweisen und sich rehabilitieren konnte. 2014 stellte sich heraus, dass die Anschuldigungen stimmten.
Einer der herausgehobenen Fälle ist der des britischen Spions Mark Kennedy, der in Berliner WGs wohnte und unter falschem Namen zwei Jahre lang eine Liebesbeziehung mit der Aktivistin Kate Wilson führte. Lange wollte Wilson nicht öffentlich darüber reden, dann berichtete sie in der taz als „Lily“ ausführlich von ihrem Fall. Sie sagt: „Bis heute gibt es keine offiziellen Reaktionen auf die Menschenrechtsverstöße, die mir in Berlin widerfahren sind.“ Sie hat recht: Ihr Fall spielte in der Berliner Landespolitik kaum eine Rolle.
Mein Freund, der Spitzel: Am Donnerstag, 1. Oktober, 19 Uhr, reden im taz-Café ehemalige Freunde, Geliebte und Weggefährten von „Brenner“, „Schneider“, „Block“ und „Stone“ erstmals öffentlich gemeinsam über ihre Erfahrungen. Neben Jasper Müller und weiteren Betroffenen ist auch Kate Wilson („Lily“) zu Gast. Der Eintritt ist frei.
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