Polizeigewalt in den USA: Chicagoer Polizeichef gefeuert
Ein Jahr nach den Schüssen auf den schwarzen Teenager McDonald wird ein internes Polizeivideo veröffentlicht. Das hat nun weitere Folgen.
Der 17-jährige Laquan McDonald war am 10. Oktober 2014 auf dem Asphalt der Pulaski Road im Südwesten von Chicago gestorben. Ein Polizist schoss ihm 16 Kugeln in den Körper. Am darauffolgenden Tag veröffentlichte die Chicagoer Polizei eine Erklärung, in der behauptet wurde, der Jugendliche sei mit einem Messer auf die Polizisten zugegangen und habe sie bedroht.
Wie kürzlich bekannt wurde, war diese Darstellung falsch. Das enthüllen Kameraaufnahmen aus einem Polizeiwagen, der am damaligen Tatort war. Das Problem: Das Video blieb mehr als 14 Monate unter Verschluss. In der Zwischenzeit wurde Rahm Emanuel erneut zum Bürgermeister von Chigago gewählt. Die Familie des erschossenen Teenagers erhielt eine schnelle Abfindung in Höhe von 4,1 Millionen Dollar. Und aus einem „Burger King“ direkt neben dem Tatort verschwanden 82 Minuten Video-Aufzeichnungen von der Zeit unmittelbar vor, während und nach den Schüssen. Der Manager des Lokals versicherte gegenüber einer Reporterin des Fernsehsenders NBC, dass die Aufnahmen weg waren, nachdem die Polizei am Folgetag in die Filiale kam.
Erst in der vergangenen Woche entschied ein Richter, das Video endlich freizugeben. Es zeigt, dass Laquan McDonald von den Polizisten, die mit mehreren Wagen auf der Puliski Road vorgefahren waren, wegschlenderte statt sie zu bedrohen. Es zeigt, dass der weiße Offizier Jason van Dyke sechs Sekunden nachdem er sein Auto verlassen hatte, das Feuer auf den weggehenden Jugendlichen eröffnete und 15 Sekunden lang auf ihn einschoss. Es zeigt, dass der Polizist anschließend seine Waffe neu lud und ein Kollege ihn daran hindern musste, weiter auf den am Boden liegenden, sterbenden Jugendlichen zu schießen. Und es zeigt, dass außer dem Todesschützen mindestens sieben weitere Polizisten am Tatort waren. Niemand von ihnen ist in der Zwischenzeit an die Öffentlichkeit gegangen. Alle schwiegen zum Tatablauf.
Polizeigewalt in den USA
In Chicago löste die Veröffentlichung des Videos wütende Proteste aus. Vor allem Afroamerikaner und Latinos zogen mit dem Schlachtruf „16 Shots“ durch die Stadt. Bürgermeister Emanuel schwieg, eine Woche lang. Am Dienstag sagte er bei einer Pressekonferenz: „zweifelsfrei ist das öffentliche Vertrauen in die Polizei erschüttert und ausgehölt“. Emanuel hat für Barack Obama im Weißen Haus gearbeitet, bevor er 2011 als Bürgermeister nach Chicago zurückging. Dann engagierte er McCarthy als neuen Polizeichef. Der sollte die notorisch korrupte und brutale Polizei von Chicago reformieren. Das ist nicht passiert.
Todesschütze wegen Mordes angeklagt
Der polizeiliche Todesschütze van Dyke ist in der vergangenen Woche wegen Mordes angeklagt und inhaftiert worden. Er hatte schon vor dem Oktober 2014 zwei Mal im Dienst auf Menschen geschossen, ohne dass es zu Konsequenzen gegen ihn geführt hätte. Anfang dieser Woche holte ihn die Polizeigewerkschaft aus dem Gefängnis. Sie zahlte dafür ein Zehntel seiner Kaution in Höhe von 1,5 Millionen Dollar.
Nach dem Rausschmiss des Polizeichefs und den anhaltenden Protesten könnten in Chicago Rücktritte folgen. Als Erste sagte noch am Dienstag Staatsanwältin Alvarez Termine ab. Am selben Tag ging die Mutter eines anderen jungen, schwarzen Chicagoers, der eine Woche vor Laquan McDonald von der Polizei erschossen wurde, an die Öffentlichkeit. Auch Dorothy Holmes verlangt die Freigabe des Polizeivideos, das den Tod von Ronald Johnson (24) zeigt. „Ich will wissen, warum mein Sohn ermordet worden ist“, sagte sie.
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