Polizei räumt "Topf & Söhne"-Werksgelände: Ödes Erfurt
Hunderte Polizisten räumen in Erfurt das seit acht Jahren besetzte ehemalige Industriegelände von "Topf & Söhne". Die Firma hatte zu Nazi-Zeiten KZ-Krematorien gebaut.
ERFURT taz In Erfurt hat die Polizei am Mittwoch das seit Ostern 2001 von alternativen Jugendlichen besetzte ehemalige Werksgelände der Firma "Topf & Söhne" geräumt. Mehrere hundert Polizisten aus Thüringen, Sachsen und Bayern überraschten am frühen Morgen die etwa 60 HausbesetzerInnen auf der Industriebrache am Stadtrand und nahmen sie fest. Trotz einer angezündeten Barrikade und einer Sitzblockade gab es auf beiden Seiten keine Verletzten.
Die Besetzer wurden in den ersten Jahren vom Verwalter des Geländes zunächst geduldet. Auch der neue Eigentümer Helmut Golla und seine "Domicil Hausbau GmbH" aus dem thüringischen Mühlhausen, der das Gelände 2007 erworben hatte, zeigte sich zunächst gesprächsbereit. Der Versuch, gemeinsam mit der Stadt ein Ersatzobjekt für die dort wohnenden Besetzer zu finden, scheiterte jedoch. Die BesetzerInnen weigerten sich, als eigene Rechtsperson in Form eines Vereins aufzutreten. Damit eskalierte seit Jahresbeginn der Streit mit dem Investor, der die meisten Gebäude abreißen und Eigentumswohnungen und Geschäfte errichten will.
Die Hausbesetzer hatten sich in besonderer Weise der Vergangenheit des Ortes gewidmet. In der Nazizeit baute die Ofenbaufirma "Topf & Söhne" unter anderem Krematorien für deutsche Konzentrationslager. Daran erinnerten Veranstaltungen und eine Ausstellung. Der neue Eigentümer will zumindest das ehemalige Verwaltungsgebäude erhalten und darin eine Gedenkstätte einrichten. Vor dem Landgericht Erfurt hatte Golla Mitte März eine Räumung erstritten. Diese vorläufig vollstreckbare Räumung habe man "in Vollzugshilfe" am Mittwoch durchgeführt, sagte ein Polizeisprecher.
Nach ersten Reaktionen der Betroffenen ging es bei dem vierstündigen Einsatz allerdings nicht so friedlich zu, wie die Polizei glauben machen will. Tränengas wurde eingesetzt, etwa 30 lautstark protestierende Besetzer wurden weggetragen. Zwei von ihnen hatten sich an einbetonierte Stahlrohre gekettet. Die Polizei fand auf dem Gelände allerdings auch zahlreiche Waffen, die nicht zum Einsatz kamen. Dazu gehörten vorbereitete Molotowcocktails, Nagelbomben, eine Machete und ein Luftgewehr, Feuerwerksraketen und jede Menge Steine.
Roland Hahnemann, Innenpolitiker der Linksfraktion im Thüringer Landtag, bezeichnete das Vorgehen der Polizei als formal rechtmäßig, aber in seiner Härte als unnötig. Noch am selben Tag begannen Bagger mit den Abrissarbeiten auf dem Gelände. Zu Jahresanfang hatten Sympathisanten der Besetzer das Projekt noch auf heitere Weise bundesweit bekannt gemacht, als sie ein Modell von "Bernd das Brot" des in Erfurt stationierten Kinderkanals vom Rathausplatz entführten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin