Politische Straftaten auf Höchststand: Immer radikaler und brutaler
Die Anzahl politisch motivierter Straftaten ist in Niedersachsen gestiegen. Die Innenministerin warnt vor Kurzschlussreaktionen gegen AfD-Mitglieder.

Im Jahr 2023 hatte es keine überregionalen Wahlen gegeben, was sich in der Statistik deutlich bemerkbar macht. Im Jahr 2025 setze sich der Trend aufgrund des Bundestagswahlkampfes fort, sagte Polizeipräsident Axel Brockmann.
Doch es gehe um mehr als zerstörte Wahlplakate, betont Innenministerin Daniela Behrens (SPD), die Statistik sei auch ein Spiegel der zunehmenden Polarisierung politischer und gesellschaftlicher Debatten. „Es gibt in einem Teil der Bevölkerung eine zunehmende Bereitschaft, die eigenen politischen Ansichten ohne Rücksicht und immer häufiger auch unter Begehung von Straftaten und der Anwendung von Gewalt durchzusetzen.“
Die zahlenmäßig meisten Delikte entfallen dabei immer noch auf den Phänomenbereich rechts. 3.643 Taten sind hier insgesamt zu verzeichnen, wobei mehr als die Hälfte Propagandadelikte, also das Zeigen von Hakenkreuzen, SS-Runen und Hitlergrüßen ausmachen sollen.
Gewalt von Linken vor allem bei Demos
Die rechts motivierten Gewaltdelikte sind von 66 Taten auf 88 angestiegen. Darunter ein versuchter Totschlag – dabei handelt es sich um den Fall eines 31-jährigen rechtsradikalen Schweden, der im April in einem Regionalzug mit einem Schraubenzieher auf einen Senegalesen eingestochen hat. Der Fall ist juristisch noch nicht abgeschlossen. Außerdem verzeichnete das Landeskriminalamt 52 einfache, 23 gefährliche und zwei schwere Körperverletzungen.
Noch mehr Gewaltdelikte verzeichnet die Statistik allerdings unter linken Tätern. 121 sind es insgesamt, ein deutlicher Anstieg zu den 38 vom Vorjahr. Die meisten sollen sich im Umfeld von Demonstrationen abgespielt haben: 49 Widerstände oder Angriffe auf Vollstreckungsbeamte wertet die Statistik, dazu 51 Körperverletzungsdelikte und 14 Landfriedensbrüche. Die Innenministerin sieht hier auch eine wachsende wechselseitige Radikalisierung und Brutalisierung.
Eher rückläufig oder gleichbleibend sind dagegen Gewaltakte, die ausländischen Ideologien und „sonstigen“, meist Reichsbürgern zugeordnet werden. Was allerdings auch nicht heißt, dass die Gefahr hier gebannt sei, wie Behrens betont.
Ein vergleichsweise neues Deliktfeld sind dagegen die hybriden Bedrohungen und Angriffe auf die Infrastruktur. Das sei für die Polizei nicht leicht zu erfassen, sagt der Landespolizeipräsident. 25 Fälle führt die aktuelle Statistik auf, das meiste davon verbotene Drohnenüberflüge über Infrastruktureinrichtungen oder militärische Anlagen. Aber auch der Brandanschlag auf die Gartenhütte des CEO von Rheinmetall zählt zu diesem Deliktfeld.
Auf Journalistennachfragen äußerte sich die Innenministerin auch noch einmal zur bundesweiten Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“. Das Gutachten sei sicher interessant und bedeutsam und müsse nun sorgfältig ausgewertet werden, sagte Behrens, sie warne jedoch vor Schnellschüssen. Man brauche hier ein abgestimmtes Vorgehen der Innenministerkonferenz.
Raschen Forderungen wie etwa des grünen Innenpolitikers Michael Lühmann, der erneut eine „Entwaffnung“ von AfD-Mitgliedern forderte, also den Jägern und Sportschützen unter ihnen die waffenrechtliche Erlaubnis entziehen möchte, seien schwierig. Immerhin lägen bei den Waffenbehörden ja bisher nicht einmal Informationen zur Parteizugehörigkeit vor.
Und ob ein pauschaler Verdacht nur aufgrund der Mitgliedschaft einer rechtlichen Überprüfung standhalte, sei fraglich, solange die Partei nicht verboten sei. In Sachsen-Anhalt hatte das Verwaltungsgericht Magdeburg das aber schon einmal gebilligt.
Ähnliches gilt in Behrens’ Augen für die Überprüfung der Verfassungstreue bei Beamten oder -anwärtern. Bei deutlichen Hinweisen oder einem berechtigten Verdacht auf Verstöße sei man jetzt schon in der Lage, disziplinarrechtlich zu reagieren. Eine Verschärfung des Diziplinarrechts, um die entsprechenden Verwaltungsverfahren zu beschleunigen, sei in Arbeit. Aber der Rechtsstaat dürfe sich eben auch nicht angreifbar machen. „Eine allgemeine Regel allein aus der Parteimitgliedschaft abzuleiten, erinnert mich an die dunklen Zeiten des Radikalenerlasses – da bin ich skeptisch“, sagte Behrens in der Pressekonferenz am Montag.
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