piwik no script img

Politische Krise in FrankreichDie kaputte Republik

Kommentar von Gunnar Hinck

Frankreich hat eine Regierung ohne Mehrheit. Das merkwürdige Kabinett zeigt: Die Machtfülle des Präsidenten passt nicht mehr in die Zeit.

Sonnenkönig von gestern: Der französische Präsident hat zu viel Macht Foto: Sarah Meyssonnier / rtr

N ach Monaten hat Frankreich eine neue Regierung, und seit der Regierungserklärung von Premierminister Michel Barnier in dieser Woche weiß die Öffentlichkeit ungefähr, was das Mitte-rechts-Bündnis vorhat. Auf den ersten Blick erstaunlich, hat die Koalition vor, die Steuern auf die Gewinne von Großunternehmen und auf die Vermögen der Superreichen zu erhöhen. Das will sie aber nicht aus Überzeugung tun, sondern es ist aus der schieren Not geboren: Das französische Haushaltsdefizit ist astronomisch.

Eingeklemmt ist die Regierung, die keine eigene Mehrheit im Parlament hat, zwischen dem Linksbündnis und den Rechtsextremen. Zur Erinnerung: Die Fraktionen des Linksbündnisses stellen seit den Wahlen die relative Mehrheit, wurden aber nicht in der Regierung berücksichtigt. Und die Le-Pen-Partei kann die neue, schwache Regierung vor sich hertreiben.

Das merkwürdige Kabinett Barniers ist ein Spiegel der Krise der Institutio­nen in Frankreich. Präsident Emmanuel Macron hat die Macht im Land auf sein Amt konzentriert, das für eine Demokratie ohnehin schon bedenklich große Kompetenzen hat: Der französische Präsident kann das Parlament auflösen und außerdem einen Premierminister berufen, wie es ihm beliebt. Mehrheitsverhältnisse im Parlament? Mir doch egal.

Das Präsidentenamt wurde einst auf Druck von Charles de Gaulle mit so viel Macht ausgestattet – damals befand sich Frankreich wegen des Algerienkrieges im innenpolitischen Chaos. Dieser Krieg ist seit über 60 Jahren vorbei, die Verfassung passt längst nicht mehr in die heutige Zeit. Mehr noch, die Verfassung der V. Republik verstärkt die immer deutlicher zutage tretende Entfremdung zwischen Staat und Wahlvolk.

Eine Reformdebatte läuft in Frankreich seit Jahren. Die deutschen Frankreich-BeobachterInnen, die seit ARD-Mann Ulrich Wickert oft von einem romantischen Frankreich-Bild geprägt sind, sollten dieser Debatte mehr Aufmerksamkeit schenken, anstatt sich über Maßen um die politischen Launen Macrons zu kümmern. Denn nicht nur dieser Mann ist von gestern, sondern auch das Amt, das er ausübt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • 1. Wenn man mit konstruktiven Misstrauensvotum einen Ministerpräsidenten wählt, muss man ja eine Koalition schließen, Kompromisse mit anderen Parteien machen und die reine Lehre verraten.



    2. Kompromiss, Tarifvertrag, Verhandlungen kennt man so gar nicht aus Frankreich.



    3. De Gaulle hat sich mit seiner Verfassung durchgesetzt, weil 1 und 2. ins Chaos geführt hat.



    4. Wenn Linke und Rechtsaussen die Verfassung ändern wollen, hätten sie vermutlich die Mehrheit dazu, ggf im Senat hat die alte Ordnung noch eine Mehrheit.

  • Tatsächlich ist es so, dass Minderheitenregierungen auch anderswo Usus sind.



    Im Grunde sind sie auch sehr demokratisch - weil man sich für jedes Vorhaben eine Mehrheit suchen muss.



    Und findet man keine, kommt das Thema eben von der Agenda oder, falls exorbitant wichtig, führt es zu Neuwahlen.



    Demokratischer auf jeden Fall als deutsche GroKos, die zu nichts als Zement und Gummi geführt haben - eben weil die Reibungsfläche gefehlt hat.



    Durch die deutsche Brille ist die Machtfülle des französichen Präsidenten natürlich beängistend, wir sind schließlich gebrannte Kinder.



    Wenn es gerade billig ist, hofft man natürlich auf Präsidenten - wie vielleicht aktuell im Fall Österreich



    Und den bisweilen irrlichternden Macron muss man nicht mögen - aber über ihre Präsidialdemokratie entscheiden die Franzosen - die stehen ja gern schnell auf den Barrikaden, auch das gute alte Tradition.



    Allerdings sehe ich keine, trotz der aktuellen Lage.

  • Frankreich ist nun mal eine Präsidialdemokratie, mit einem Präsidenten als Sonnenkönig auf Zeit. Und egal, aus welchem Block Macron einen Premierminister oder eine Premierministerin ernennen würde, es wäre immer eine Minderheitsregierung. Wobei ein Premierminister oder eine Premierministerin aus dem linken Lager immerhin noch die größte Parlamentsminderheit hinter sich hätte.

  • Das Resümee am Schluss trifft es auf den Punkt.