Politische Krise in Frankreich: Die kaputte Republik
Frankreich hat eine Regierung ohne Mehrheit. Das merkwürdige Kabinett zeigt: Die Machtfülle des Präsidenten passt nicht mehr in die Zeit.
N ach Monaten hat Frankreich eine neue Regierung, und seit der Regierungserklärung von Premierminister Michel Barnier in dieser Woche weiß die Öffentlichkeit ungefähr, was das Mitte-rechts-Bündnis vorhat. Auf den ersten Blick erstaunlich, hat die Koalition vor, die Steuern auf die Gewinne von Großunternehmen und auf die Vermögen der Superreichen zu erhöhen. Das will sie aber nicht aus Überzeugung tun, sondern es ist aus der schieren Not geboren: Das französische Haushaltsdefizit ist astronomisch.
Eingeklemmt ist die Regierung, die keine eigene Mehrheit im Parlament hat, zwischen dem Linksbündnis und den Rechtsextremen. Zur Erinnerung: Die Fraktionen des Linksbündnisses stellen seit den Wahlen die relative Mehrheit, wurden aber nicht in der Regierung berücksichtigt. Und die Le-Pen-Partei kann die neue, schwache Regierung vor sich hertreiben.
Das merkwürdige Kabinett Barniers ist ein Spiegel der Krise der Institutionen in Frankreich. Präsident Emmanuel Macron hat die Macht im Land auf sein Amt konzentriert, das für eine Demokratie ohnehin schon bedenklich große Kompetenzen hat: Der französische Präsident kann das Parlament auflösen und außerdem einen Premierminister berufen, wie es ihm beliebt. Mehrheitsverhältnisse im Parlament? Mir doch egal.
Das Präsidentenamt wurde einst auf Druck von Charles de Gaulle mit so viel Macht ausgestattet – damals befand sich Frankreich wegen des Algerienkrieges im innenpolitischen Chaos. Dieser Krieg ist seit über 60 Jahren vorbei, die Verfassung passt längst nicht mehr in die heutige Zeit. Mehr noch, die Verfassung der V. Republik verstärkt die immer deutlicher zutage tretende Entfremdung zwischen Staat und Wahlvolk.
Eine Reformdebatte läuft in Frankreich seit Jahren. Die deutschen Frankreich-BeobachterInnen, die seit ARD-Mann Ulrich Wickert oft von einem romantischen Frankreich-Bild geprägt sind, sollten dieser Debatte mehr Aufmerksamkeit schenken, anstatt sich über Maßen um die politischen Launen Macrons zu kümmern. Denn nicht nur dieser Mann ist von gestern, sondern auch das Amt, das er ausübt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau