Ausstellung „Fremde Freunde“: Verordnete Freundschaft
Völkerfreundschaft wurde in der DDR hochgehalten. Was daran Ideal und was Wirklichkeit war, zeigt eine Ausstellung in Eisenhüttenstadt.
Peggy Piesche, geboren 1968 in Thüringen, hat die Wende als schwarze Ostdeutsche in Erfurt erlebt. Das Interview mit ihr ist in der Ausstellung „Fremde Freunde. Völkerfreundschaft zwischen Ideal und Wirklichkeit“ im Museum Utopie und Alltag in Eisenhüttenstadt zu sehen.
Neben Piesche kommen in dem Zyklus fünf weitere Personen zu Wort. Die Videos sind Arbeiten des Kollektivs „Stop the silence“, das nach den NSU-Morden angefangen hat, Stimmen gegen das Vergessen zu sammeln. Dass sie nun in Eisenhüttenstadt zu sehen sind, zeigt, dass die Ausstellung für Kuratorin Andrea Wieloch nicht nur eine Gelegenheit ist, Exponate aus dem eigenen Depot zum Thema „Völkerfreundschaft“ zu präsentieren. Die Schau setzt auch einen unverkennbar politischen Akzent.
Es sind vor allem die Widersprüche, die Wieloch interessierten. So finden sich an einer Wand Cover von Büchern, die im DDR-Verlag „Volk und Welt“ erschienen sind. Alex Haleys „Roots“ ist dabei, ein Band mit Gedichten aus Afrika oder Kurzgeschichten von Nadine Gordimer. Nahezu hundert Titel aus aller Welt hat der Verlag, der im Volksmund auch „Volk ohne Welt“ genannt wurde, Jahr für Jahr übersetzen lassen.
Diesem weit geöffneten Fenster zur Welt entgegen standen all die Reproduktionen stereotyper Bilder, wie sie sich etwa in den vom Verlag „Mosaik“ herausgegebenen Comicbänden der „Digedags“ zeigten. Bei ihren Abenteuern in fernen Ländern, heißt es auf einer Tafel, würden „deren Bewohner:innen innerhalb kolonialer Bildwelten als passiv und primitiv dargestellt, während die Digedags als zivilisiert und wirkmächtig auftreten“.
Solidarität als Gebot
Das Ideal der Völkerfreundschaft hat im jungen, sich selbst als antifaschistisch verstehenden Staat DDR von Anbeginn einen politischen Charakter. Den hatte SED-Chef Walter Ulbricht 1958 in seinen „Zehn Geboten der sozialistischen Moral“ so formuliert: „Du sollst Solidarität mit den um ihre nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben“. Gleich zu Beginn der Schau an die Wand gebracht, markiert das „Gebot“ den politischen Anspruch der Völkerfreundschaft – ebenso wie die Fallhöhe im gelebten Alltag.
Die Bilder der Völkerfreundschaft haben sich mit der Zeit verändert. Das zeigen das Gemälde von Ingeborg Michaelis „Alexanderplatz im August“ aus dem Jahr 1951 sowie ein Dia von 1973. In beiden Jahren fanden in Ostberlin die Weltfestspiele der Jugend statt.
In ihrem Gemälde von 1951 zeigt Michaelis Völkerfreundschaft als farbenprächtiges Miteinander. Traditionell gewandet zeigt es einen Mann in einem arabischen Thawb, eine schwarze Frau mit blauem Kopftuch, eine Asiatin mit einem Blumenstrauß und – fast irritierend – ein Mann in ledernem Knickerbocker. Die Weltfestspiele richteten sich auch an Teilnehmende aus dem Westen.
Im Kontrast zur ethnischen Folklore stehen die Uniformen der FDJ mit dem eigens für die Festspiele entworfenen blauen Halstuch der Jungpioniere. Bei den Weltfestspielen 1973 in Ostberlin ist das bunte und traditionelle Miteinander dann dem Leitmotiv eines Aufzugs mit eindeutig kämpferischer Pose gewichen.
Spätestens, als in den achtziger Jahren mehr und mehr VertragsarbeiterInnen in die DDR kamen, waren aus den Widersprüchen handfeste Konflikte geworden. „Völkerfreundschaft nach Bedarf“ nennt die Ausstellung dieses Kapitel und erinnert daran, dass die kontrollierte Öffnung der Grenzen vor allem der DDR-Wirtschaftspolitik zu verdanken war. Steigende Rohstoffpreise belasteten die Devisenbilanz. Mit den sozialistischen Ländern im Globalen Süden begann die DDR eine Art Tauschwirtschaft: Arbeitskräfte und Mangelwaren gegen Industriegüter made in GDR.
Versprochen wurden den Ankömmlingen aus Vietnam, Kuba, Angola, Mosambik oder Polen gleiche Rechte und Pflichten. Tatsächlich aber mussten Frauen bis zum März 1989 im Falle einer Schwangerschaft abtreiben oder das Land verlassen. Die Unterbringung in abgeschotteten Wohnheimen sollten zudem die Kontakte mit der heimischen Bevölkerung erschweren.
Dass Alltagsrassismus und rassistisches Verhalten staatlicher Organe auch im angeblich antifaschistischen Staat an der Tagesordnung waren, dokumentiert ein mehrseitiger Protestbrief der Union der Afrikanischen Studenten und Arbeiter UASA aus dem Jahr 1965 in Leipzig.
Von Schlägereien und Provokationen ist darin die Rede, aber auch von Polizeigewalt. Mageres Ergebnis des Protestes ist eine Aussprache mit dem Taxiverband. Dessen Mitglieder hatten afrikanische Fahrgäste wiederholt beschimpft.
Willkommener als Arbeitsmigranten und Studierenden war da schon Angela Davis. 1969 an der Humboldt-Uni promoviert, drohte der Soziologin, Philosophin und Kommunistin in den USA wegen einer angeblichen Beteiligung an einer tödlichen Entführung die Todesstrafe. Mit einer beispiellosen Solidaritätskampagne zeigen sowohl Partei als auch DDR-Bürger ihre Solidarität mit der Bürgerrechtlerin. Nach ihrer Freilassung wurde Davis von Erich Honecker persönlich zu den Weltfestspielen 1973 eingeladen.
Dem weltpolitisch nützlichen Antirassismus stand im Alltag dagegen noch immer eine mehr als zweifelhafte Bildsprache gegenüber. Die Verpackungen der von der DDR importierten Güter wie Tabakwaren oder Kaffee erinnerten oft eher an die Kolonialwaren des Kaiserreichs, als dass sie gelebte Beispiele antikolonialer Auseinandersetzung gewesen wären.
Russland ausgeblendet
Völkerfreundschaft mit den Menschen aus dem Globalen Süden, das zeigen all die Beispiele, war eine politische Freundschaft, die immer dann propagiert wurde, wenn sie den Machthabern passte. Ganz anders dagegen die Freundschaft mit der Sowjetunion, manifestiert in der Gesellschaft Deutsch-Sowjetischer Freundschaft DSW, in der 1988 mehr als 6 Millionen DDR-Bürger Mitglieder waren.
Gerne hätte man mehr darüber erfahren, warum die Beziehungen zu den in der DDR stationierten „Freunden“, wie sie oft in Anführungszeichen genannt wurden, nachhaltiger waren als die zu den „ausländischen Werktätigen“ aus Vietnam oder Mosambik.
Eine solche Vertiefung hätte auch Anhaltspunkte über die besondere Beziehung zu Russland in den Wählermilieus von AfD, Linken und BSW geben können. So aber bleibt die weitestgehende Ausblendung dieses Kapitels der Völkerfreundschaft eine verpasste Chance.
Fremde Freunde. Bis 29. März 2026. Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 11–17 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eklat wegen Palästina-Shirt im Bundestag
Schockiert doch mal!
Trotz widersprüchlicher Aussagen
Vermieter mit Eigenbedarfsklage erfolgreich
Greta Thunbergs Soli-Aktion mit Gaza
Schräger Segeltörn
Bundeswehr an Schulen
Der Druck auf die Jugend wächst
Klimafreundliches Heizen
Neue Häuser meist mit Wärmepumpe
Inhaftierte Antifaschist*in in Ungarn
Maja T. tritt in den Hungerstreik