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Ausstellung „Fremde Freunde“Verordnete Freundschaft

Völkerfreundschaft wurde in der DDR hochgehalten. Was daran Ideal und was Wirklichkeit war, zeigt eine Ausstellung in Eisenhüttenstadt.

Aufzug bei den Weltfestspielen 1973 in Ost-Berlin Foto: Museum Utopie und Alltag

Eisenhüttenstadt taz | „Am Anfang lautete die Parole auf den Demonstrationen: Wir sind das Volk“, sagt Peggy Piesche. Doch es dauerte nicht lange, bis daraus die Parole wurde: Wir sind ein Volk. „In nur zwei Wochen hat sich das verändert“, erinnert sich Piesche. „In dem Moment wusste ich, dass da kein Platz mehr für mich sein würde.“

Peggy Piesche, geboren 1968 in Thüringen, hat die Wende als schwarze Ostdeutsche in Erfurt erlebt. Das Interview mit ihr ist in der Ausstellung „Fremde Freunde. Völkerfreundschaft zwischen Ideal und Wirklichkeit“ im Museum Utopie und Alltag in Eisenhüttenstadt zu sehen.

Neben Piesche kommen in dem Zyklus fünf weitere Personen zu Wort. Die Videos sind Arbeiten des Kollektivs „Stop the silence“, das nach den NSU-Morden angefangen hat, Stimmen gegen das Vergessen zu sammeln. Dass sie nun in Eisenhüttenstadt zu sehen sind, zeigt, dass die Ausstellung für Kuratorin Andrea Wieloch nicht nur eine Gelegenheit ist, Exponate aus dem eigenen Depot zum Thema „Völkerfreundschaft“ zu präsentieren. Die Schau setzt auch einen unverkennbar politischen Akzent.

Es sind vor allem die Widersprüche, die Wieloch interessierten. So finden sich an einer Wand Cover von Büchern, die im DDR-Verlag „Volk und Welt“ erschienen sind. Alex Haleys „Roots“ ist dabei, ein Band mit Gedichten aus Afrika oder Kurzgeschichten von Nadine Gordimer. Nahezu hundert Titel aus aller Welt hat der Verlag, der im Volksmund auch „Volk ohne Welt“ genannt wurde, Jahr für Jahr übersetzen lassen.

Diesem weit geöffneten Fenster zur Welt entgegen standen all die Reproduktionen stereotyper Bilder, wie sie sich etwa in den vom Verlag „Mosaik“ herausgegebenen Comicbänden der „Digedags“ zeigten. Bei ihren Abenteuern in fernen Ländern, heißt es auf einer Tafel, würden „deren Be­woh­ne­r:in­nen innerhalb kolonialer Bildwelten als passiv und primitiv dargestellt, während die Digedags als zivilisiert und wirkmächtig auftreten“.

Solidarität als Gebot

Das Ideal der Völkerfreundschaft hat im jungen, sich selbst als antifaschistisch verstehenden Staat DDR von Anbeginn einen politischen Charakter. Den hatte SED-Chef Walter Ulbricht 1958 in seinen „Zehn Geboten der sozialistischen Moral“ so formuliert: „Du sollst Solidarität mit den um ihre nationale Befreiung kämpfenden und den ihre nationale Unabhängigkeit verteidigenden Völkern üben“. Gleich zu Beginn der Schau an die Wand gebracht, markiert das „Gebot“ den politischen Anspruch der Völkerfreundschaft – ebenso wie die Fallhöhe im gelebten Alltag.

Die Bilder der Völkerfreundschaft haben sich mit der Zeit verändert. Das zeigen das Gemälde von Ingeborg Michaelis „Alexanderplatz im August“ aus dem Jahr 1951 sowie ein Dia von 1973. In beiden Jahren fanden in Ostberlin die Weltfestspiele der Jugend statt.

In ihrem Gemälde von 1951 zeigt Michaelis Völkerfreundschaft als farbenprächtiges Miteinander. Traditionell gewandet zeigt es einen Mann in einem arabischen Thawb, eine schwarze Frau mit blauem Kopftuch, eine Asiatin mit einem Blumenstrauß und – fast irritierend – ein Mann in ledernem Knickerbocker. Die Weltfestspiele richteten sich auch an Teilnehmende aus dem Westen.

Im Kontrast zur ethnischen Folklore stehen die Uniformen der FDJ mit dem eigens für die Festspiele entworfenen blauen Halstuch der Jungpioniere. Bei den Weltfestspielen 1973 in Ostberlin ist das bunte und traditionelle Miteinander dann dem Leitmotiv eines Aufzugs mit eindeutig kämpferischer Pose gewichen.

Spätestens, als in den achtziger Jahren mehr und mehr VertragsarbeiterInnen in die DDR kamen, waren aus den Widersprüchen handfeste Konflikte geworden. „Völkerfreundschaft nach Bedarf“ nennt die Ausstellung dieses Kapitel und erinnert daran, dass die kontrollierte Öffnung der Grenzen vor allem der DDR-Wirtschaftspolitik zu verdanken war. Steigende Rohstoffpreise belasteten die Devisenbilanz. Mit den sozialistischen Ländern im Globalen Süden begann die DDR eine Art Tauschwirtschaft: Arbeitskräfte und Mangelwaren gegen Industriegüter made in GDR.

Versprochen wurden den Ankömmlingen aus Vietnam, Kuba, Angola, Mosambik oder Polen gleiche Rechte und Pflichten. Tatsächlich aber mussten Frauen bis zum März 1989 im Falle einer Schwangerschaft abtreiben oder das Land verlassen. Die Unterbringung in abgeschotteten Wohnheimen sollten zudem die Kontakte mit der heimischen Bevölkerung erschweren.

Dass Alltagsrassismus und rassistisches Verhalten staatlicher Organe auch im angeblich antifaschistischen Staat an der Tagesordnung waren, dokumentiert ein mehrseitiger Protestbrief der Union der Afrikanischen Studenten und Arbeiter UASA aus dem Jahr 1965 in Leipzig.

Von Schlägereien und Provokationen ist darin die Rede, aber auch von Polizeigewalt. Mageres Ergebnis des Protestes ist eine Aussprache mit dem Taxiverband. Dessen Mitglieder hatten afrikanische Fahrgäste wiederholt beschimpft.

Willkommener als Arbeitsmigranten und Studierenden war da schon Angela Davis. 1969 an der Humboldt-Uni promoviert, drohte der Soziologin, Philosophin und Kommunistin in den USA wegen einer angeblichen Beteiligung an einer tödlichen Entführung die Todesstrafe. Mit einer beispiellosen Solidaritätskampagne zeigen sowohl Partei als auch DDR-Bürger ihre Solidarität mit der Bürgerrechtlerin. Nach ihrer Freilassung wurde Davis von Erich Honecker persönlich zu den Weltfestspielen 1973 eingeladen.

Dem weltpolitisch nützlichen Antirassismus stand im Alltag dagegen noch immer eine mehr als zweifelhafte Bildsprache gegenüber. Die Verpackungen der von der DDR importierten Güter wie Tabakwaren oder Kaffee erinnerten oft eher an die Kolonialwaren des Kaiserreichs, als dass sie gelebte Beispiele antikolonialer Auseinandersetzung gewesen wären.

Russland ausgeblendet

Völkerfreundschaft mit den Menschen aus dem Globalen Süden, das zeigen all die Beispiele, war eine politische Freundschaft, die immer dann propagiert wurde, wenn sie den Machthabern passte. Ganz anders dagegen die Freundschaft mit der Sowjetunion, manifestiert in der Gesellschaft Deutsch-Sowjetischer Freundschaft DSW, in der 1988 mehr als 6 Millionen DDR-Bürger Mitglieder waren.

Gerne hätte man mehr darüber erfahren, warum die Beziehungen zu den in der DDR statio­nierten „Freunden“, wie sie oft in Anführungszeichen genannt wurden, nachhaltiger waren als die zu den „ausländischen Werktätigen“ aus Vietnam oder Mosambik.

Eine solche Vertiefung hätte auch Anhaltspunkte über die besondere Beziehung zu Russland in den Wählermilieus von AfD, Linken und BSW geben können. So aber bleibt die weitest­gehende Ausblendung dieses Kapitels der Völkerfreundschaft eine verpasste Chance.

Fremde Freunde. Bis 29. März 2026. Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 11–17 Uhr

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4 Kommentare

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  • "Ganz anders dagegen die Freundschaft mit der Sowjetunion, manifestiert in der Gesellschaft Deutsch-Sowjetischer Freundschaft DSW, in der 1988 mehr als 6 Millionen DDR-Bürger Mitglieder waren.



    [...] Eine solche Vertiefung hätte auch Anhaltspunkte über die besondere Beziehung zu Russland in den Wählermilieus von AfD, Linken und BSW geben können." - Lieber Herr Rada, die Mitgliedschaft in der DSF (F! nicht W) war mehr oder weniger zwangsweise, vergleichbar mit Jung-, Thälmannpionieren oder der FDJ. Die bloße Zahl sagt daher nichts aus. Im Übrigen waren auch die sowjetischen Soldaten und ihre Familien tunlichst von der DDR-Bevölkerung geschieden. Kontakte gab es außerhalb "offizieller Anlässe" nahezu niemals. Auch wurden die "Freunde" inoffiziell eher "Brüder" geheißen, denn "Freunde kann man sich aussuchen". Die offiziell "unverbrüchliche Freundschaft" mit der Sowjetunion als Begründung für die geringe Kritik am putinschen Russland "im Osten" heranzuziehen, geht an der Lebensrealität der DDR ziemlich vorbei. Schauen Sie sich eher mal die historischen Kontinuitäten seit den polnischen Teilungen, die Ablehnung des (damals noch) anglo-französischen (heute: amerikanischen) Westens an.

  • "Im Kontrast zur ethnischen Folklore stehen die Uniformen der FDJ mit dem eigens für die Festspiele entworfenen blauen Halstuch der Jungpioniere."

    Falsch.



    War für "Jungpioniere" (bis 10 Jahre alt) immer blau. 1973 wechselten 'Thälmann-Pioniere' zu rot.

  • "Gerne hätte man mehr darüber erfahren, warum die Beziehungen zu den in der DDR statio­nierten „Freunden“, wie sie oft in Anführungszeichen genannt wurden, nachhaltiger waren..."

    Was heißt nachhaltiger? Es war sehr einfach, bei der DSW Mitglied zu werden, und es brachte auf dem Papier Pluspunkte. Es haben sich selbstverständlich niemals 6 Millionen Menschen dort wirklich engagiert. Man war halt Mitglied. Im Alltag hatte man so gut wie keinen Kontakt zu den "Freunden", schon gar nicht privat.

    Aber: Je länger die Zeit her ist, desto mehr Ossis scheinen fließend russisch gesprochen, Tolstoi im Original gelesen und die Wochenenden auf der Datsche mit ihren guten Freunden Oleg und Olga verbracht zu haben. Und natürlich kennen sie "die" Russen heute viiiel besser als z.B. die zwangsrussifizierten Balten. Alles Heuchelei und letztlich typisch deutsche Besserwisserei.