Politisch motivierte Gewalttaten: Deutschland hasst mehr denn je
Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten hat im Jahr 2011 ein historisches Hoch erreicht. Die fremdenfeindlichen Gewalttaten stiegen um ein Fünftel.
BERLIN taz | Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vermeldet bedenkliche Zahlen: Die Anzahl der politisch motivierten Gewalttaten sei im Jahr 2011 auf mehr als 3.100 gestiegen, teilte er am Freitag mit. Das sind fast 18 Prozent mehr Gewalttaten als noch im Vorjahr. Noch nie seit Einführung dieser Statistik im Jahr 2001 habe es einen so hohen Wert gegeben. Die fremdenfeindlichen Gewalttaten hätten sogar um mehr als 22 Prozent zugenommen. Die Aufklärungsraten sind hingegen laut Innenministerium zurückgegangen.
Betrachtet man alle politisch motivierten Straftaten, so hat es im vergangenen Jahr eine Zunahme um gut 3.000 auf mehr als 30.000 gegeben. Mehr als die Hälfte davon waren rechtsextrem motiviert. Im Bereich der „politisch motivierten Kriminalität links“ gab es eine Zunahme von 25 Prozent auf rund 8.680. Auffällig viele Taten spielten sich im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit Demonstrationen ab, wegen der insgesamt sieben Landtagswahlen habe es auch viele weniger schwerwiegende Delikte wie das Beschmieren oder Zerstören von Wahlplakaten gegeben.
Dieses Detail verweist schon auf ein Problem: Die jährlich vorgelegte Statistik der politisch motivierten Kriminalität ist für sich genommen nur bedingt aussagekräftig und bedarf einer Einordnung, wie auch Innenminister Friedrich betonte. So ist die Bandbreite der in diesen Zahlen erfassten Straftaten groß, sie reicht von Propagandadelikten und Sachbeschädigung über Körperverletzung bis hin zu Mord und Totschlag.
Innenminister Friedrich sieht das Jahr 2011 durch zwei einschneidende Ereignisse geprägt: das erste islamistisch motivierte Attentat im März am Frankfurter Flughafen, bei dem ein 21-Jähriger zwei US-Soldaten erschoss, und das Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im November. Die zehn Morde der rechten Terrorgruppe werden allerdings in der offiziellen Statistik in das jeweilige Jahr der Tat einsortiert.
Die Zahlen sind umstritten
Der Islamismus und der Rechtsextremismus sind es denn auch, die Friedrich am Freitag als die größten Gefahren nannte. „Die meisten politisch motivierten Straftaten haben seit Jahrzehnten einen rechtsextremen Hintergrund“, sagte der CSU-Mann. „In keinem Phänomenbereich sind bei einer Langzeitbetrachtung so viele Todesopfer zu beklagen.“
Hier allerdings tobt seit Jahren ein unwürdiger Streit um die richtige Zählweise von Opfern rechtsextremer Gewalt. Während das Bundesinnenministerium von 60 Todesopfern seit dem Jahr 1990 spricht, gehen die Amadeu Antonio Stiftung und andere antirassistische Initiativen von 182 Todesopfern seit der Vereinigung aus. Journalisten der Zeit und des Tagesspiegels kommen nach intensiven Recherchen auf derzeit 148.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Bombenattentat in Moskau
Anschlag mit Sprengkraft
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz