Politikkrise in Brasilien: Die große Verbrüderung
Dilma Roussef wäre nicht die Erste: 1992 wurde in Brasilien erstmals ein Präsident seines Amts enthoben. Astrid Prange war für die taz vor Ort.

Wie unter Starkstrom berichtete ich über diesen historischen Augenblick. 1992 war das Jahr überhaupt für Brasilien. Im Juni fand der Erdgipfel von Rio statt, die UN-Klimakonferenz, auf der sich erstmals die Weltgemeinschaft zum gemeinsamen Klimaschutz verpflichtete.
Und drei Monate später diese Abstimmung. Den meisten Lateinamerikanern saßen noch die politische Willkür und Verfolgung der Militärdiktatur in den Knochen. Präsident Fernando Collor de Mello war der erste demokratisch gewählte Präsident nach über 20 Jahren Militärdiktatur. Ausgerechnet er sollte zum Rücktritt gezwungen werden?
Bei der Abstimmung im Parlament spürte ich diese Angst, obwohl kein einziger Abgeordneter es auch nur wagte, sie öffentlich auszusprechen. Ganz Lateinamerika starrte gebannt auf die Hauptstadt Brasilia. Wenn es dort möglich war, korrupte Politiker auf demokratischem Wege ihres Amtes zu entheben, warum sollte dies woanders nicht auch möglich sein?
Ja, es war möglich. Und ich gebe zu, es fiel mir schwer, meine journalistische Distanz zu bewahren. Ich war begeistert von der bestandenen demokratischen Reifeprüfung, von der demokratischen Lektion, die Brasilien der Welt erteilte.
Doch Amtsvergehen ist nicht gleich Amtsvergehen. Das 1992 erfolgreich genutzte Verfahren kann politisch missbraucht werden. Der Kampf gegen Korruption wird in Brasilien zurzeit je nach Parteizugehörigkeit nach anderen Kriterien ausgetragen.
Nach der Abstimmung am 1992 fielen sich im Plenarsaal alle um den Hals, Politiker, Journalisten, sogar das Sicherheitspersonal und die Reinigungsfrauen umarmten sich. Am 17. April 2016 blieb diese Verbrüderung aus.
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