Politikerin über Umgang mit Drohmails: „Von der Polizei kam gar nichts“
Medine Yildiz (Die Linke) hat per Mail rechtsextreme Drohungen bekommen. Einschüchtern lässt sie sich nicht. Aber von der Polizei ist sie enttäuscht.
taz: Frau Yildiz, warum haben Sie sich entschieden, öffentlich über die Drohmail zu sprechen, die Sie bekommen haben?
Medine Yildiz: Ehrlich gesagt, wollte ich von Anfang an damit an die Öffentlichkeit gehen. Die Polizei hatte mich etwas verunsichert.
Wie das?
Als ich Anzeige gestellt habe, haben die gesagt: An Ihrer Stelle würden wir damit nicht nach draußen gehen. Also habe ich still gehalten, und mich mit GenossInnen von der Linkspartei beraten. Schließlich hat aber die Polizei selbst eine Mitteilung gemacht, in der eigentlich nur noch meine Hausnummer fehlte: Da stand mein Alter, der Wohnort, dass ich Mitglied im Landesvorstand der Linken bin….
Und deshalb gehen Sie jetzt an die Öffentlichkeit?
Nein, ich gehe an die Öffentlichkeit, weil ich wichtig finde, dass über solche brutalen, gewalttätigen Briefen gesprochen wird. Denn es ist klar, woher die kommen: Die Verfasser fühlen sich ermutigt von der AfD. Deren aggressive Sprache motiviert psychisch gestörte Leute, solche Mails zu schreiben.
Sie haben die Absender Feiglinge genannt…
Ja. Das sind Feiglinge. Wenn sie keine Feiglinge wären, würden sie nicht einer 57-jährigen Frau schreiben, wir erschießen dich von hinten. Wenn die Mut hätten, sollten sie sich mir gegenüberstellen und mir mal erklären, warum sie mich so dringend erschießen wollen. Aber von so etwas lasse ich mich nicht einschüchtern: Ich bin eine geborene Linke – und ich werde im Gegenteil noch mehr für linke Politik kämpfen und gegen Rechts mobilisieren.
57, ist Mitglied im Landesvorstand der Bremer Linken, dort für Frauen- und Migrationspolitik zuständig. Sie ist und war Rechtsanwaltsgehilfin, Bürokauffrau, Dolmetscherin, Frührentnerin. In Bremen lebt sie seit 1986, geboren ist sie in der Region Dersim (Tunceli), Türkei.
Sie haben schon als Kind politisch gekämpft?
Das habe ich. Um aufs Gymnasium zu dürfen, musste ich drei Tage Hungerstreik machen. Erst dann ließ mein Vater mich gehen. Denn die Grundschule hatte ich besuchen dürfen, weil mein Onkel dort Lehrer war. Aber dass es danach noch weitergeht, war nicht gewollt, obwohl ich aus einer alevitischen Familie stamme: Die gelten ja als fortschrittlicher. Aber das ist auch nur eine Verallgemeinerung.
Sie sind Atheistin...
...aber in einer alevitischen Kultur aufgewachsen. Das ist keine Religion, sondern eher eine Philosophie, eine Art, zu leben – in der ursrprünglichen Form sogar eine sozialistische Art zu leben.
...und eine Minderheit im muslimischen Umfeld.
Ich war jedenfalls immer im Widerstand. Und jetzt soll ich mich von so einem Psychopathen einschüchtern lassen? Kommt nicht in Frage!
Sie haben als junge Frau in der Türkei auch die Gewaltpolitik des Militärputschs von 1980 erlebt. Hilft das, mit Bedrohungen umzugehen?
Naja, schon meine Vorfahren waren als Aleviten verfolgt. Ich bin also in einer Familie aufgewachsen, die Bedrohung gewohnt war. Und es ist zwar die dümmste und brutalste Drohung, die ich je erhalten habe, aber längst nicht meine erste. Schon im Gymnasium bin ich gewarnt worden: Wenn du nicht mit deiner Politik aufhörst, schmeißen wir dich raus. Hat mich auch nicht beeindruckt. Ich musste schon als Kleinkind um mein Leben kämpfen, da hatten alle gedacht ich wäre zu schwach und unterernährt, und würde sterben. Die haben sich geirrt.
Die Sprache der Mail ist irre: Da ist die förmliche Anrede „Sehr geehrte Frau Yildiz“ und dann kommen Gewaltfantasien. Ist das zum Lachen oder beunruhigend?
Es ist beides. Klar sind das Verrückte, die so etwas machen. Es sind auch dumme Menschen: Es sind Rechtschreibfehler in der Mail, die sogar ich auf den ersten Blick sehe, als Migrantin. Mit meiner Tochter habe ich auch über diese Anrede gelacht: höflich anfangen und dann mit Mord enden, was ist das denn?! Keiner mit einem gesunden Menschenverstand würde eine solche Mail schreiben. Aber es beunruhigt auch, denn wir wissen ja alle: Der Mann, der in Hanau neun Migranten ermordet hat, war auch psychisch gestört.
Seit Herbst 2019 erlebt Bremen eine Serie von offenkundig rechtsextremistisch motivierten Anschlägen und Drohungen.
Offline gab es Attacken auf Büros fast aller Parteien, am massivsten auf die der Linken. Mit einem Gullydeckel eingeworfen wurde deren Fenster im Stadtteil Neustadt, ferner gab es Hakenkreuzschmierereien und Farbattacken. Briefe mit einem unbekannten Pulver erhielten die Umweltsenatorin, dreimal Die Linke, außerdem FDP, Grüne, SPD und zuletzt auch die AfD, ein Wohnprojekt, die Gröpelinger Moschee.
Droh-Mails mit extrem brutalen Gewaltfantasien, die mit sprachlich großer Übereinstimmung Anschläge und Mord ankündigten, erhielten am ersten März-Wochenende die Gröpelinger Moschee, der Verein Fluchtraum und Medine Yildiz. Moschee und Geflüchtetenhilfe erhielten am folgenden Wochenende erneut gleichartige Mails.
Das macht's nicht besser?
Nein, wirklich nicht. Was mir geholfen hat, war, zu wissen, dass es eine regelrechte Kampagne ist, an mehrere Personen und Vereine geschickt.
Das macht es noch einmal wichtiger, darüber zu sprechen?
Eben. Und es ist wichtig für die Statistik, damit festgehalten wird, wie gewalttätig die Rechte ist. Es haben ja viele diese Hufeisen-Theorie im Kopf, nach der rechts wie links ist, und beides schlimm. Aber Linke schreiben solche Mails nicht.
Die Sprache der Mail stammt aus rechtsextremen Netzwerken: Haben wir Möglichkeiten, die zu zerstören oder wenigstens zu stören?
Was heißt hier wir? Ich persönlich leider nicht. Hätte ich zwar gerne, und dann würde ich die auch sofort zerstören. Habe ich aber nicht. Und dafür gibt es einen Rechtsstaat. Der sollte sich darum kümmern. Wenn der sich darauf zurückzieht, dass er das nicht könne, finde ich das ziemlich lächerlich. Aber leider hat die Polizei da von Anfang an wenig Engagement gezeigt.
Sie fühlen sich von der Polizei nicht ausreichend unterstützt?
Nein. Also: wirklich nicht. Nicht wegen des Beamten, der meine Anzeige aufgenommen hat. Der hat schon Mitgefühl gezeigt und so weiter. Aber darum geht’s ja nicht. Vermittelt worden ist mir: Da wird nicht viel bei rauskommen, und dass ich eigentlich nur auf die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft warten könne. Na, wozu mache ich dann eine Anzeige? Hätte mir nicht unsere Fraktionsvorsitzende Sofia Leonidakis gesagt: Medine, geh’ sofort zum Meldeamt und mach’ eine Adress-Auskunftssperre, hätte ich von dieser Möglichkeit nicht erfahren.
Das hat die Polizei nicht gesagt?
Von der Polizei kam da gar nichts, nein. Sofia hat sich rührend gekümmert und sehr viele von der Partei haben telefonisch oder per Mail oder Whatsapp gefragt, was sie tun können. Diese Solidarität tut gut, auch wenn ich da nur habe sagen können: herzlichen Dank, aber ihr könnt nicht Wache halten vor meinem Haus. Von der Polizei bin ich dagegen vollkommen enttäuscht. Und, das mag an meiner Geschichte liegen, dass ich aus einem Staat komme in dem die Polizei brutal war und menschenverachtend: Ich hatte sowieso nicht viel von ihr erwartet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?