Politikerin aus Slowjansk über ihre U-Haft: „Ich werde Präsidentin der Ukraine!“
Nelja Schtepa, ehemalige Bürgermeisterin von Slowjansk, über ihre Verschleppung und Oligarchen, die den Krieg finanzieren.
Nelja Schtepa sitzt seit Anfang des Jahres in Untersuchungshaft in Charkiw (Ostukraine); Juri Larin hat sie dort für die taz besucht.
taz: Frau Schtepa, warum hat der Krieg in der Ukraine ausgerechnet in Slowjansk begonnen?
Nelja Schtepa: Ich glaube, alles ist so von vorne herein von Kiew geplant gewesen. Ja, der Euromaidan selbst wurde von Oligarchen initiiert, um den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zu entmachten. Am Anfang war es ein Krieg zwischen dem Präsidenten und den Oligarchen. Später ging es dann um kleine Verteilungskriege zwischen den Oligarchen. Jeder schuf in seiner Provinz kriminelle Gruppierungen, um sein Vermögen zu schützen.
Wie war die Stimmung in Slowjansk im April 2014?
Keiner hat mit Militärhandlungen oder gar Krieg gerechnet. Wir dachten, es handelt sich um einen lokalen Konflikt, mit dem Sicherheitskräfte auf jeden Fall fertig werden.
Was haben Sie als Bürgermeisterin unternommen?
53, promovierte Mathematikerin, wurde im Jahr 2010 zur Bürgermeisterin von Slowjansk, einer 120.000-Einwohner-Stadt im Gebiet Donezk, gewählt. Im Zuge prorussischer Proteste im April 2014 wurde sie von Separatisten entführt und war bis zum Abzug der Rebellen verschwunden. Seit der Befreiung von Slowjansk sitzt sie in Untersuchungshaft in Charkiw. Ihr wird vorgeworfen, sie habe die Separatisten unterstützt.
Anfang April, als es bereits abzusehen war, dass die Lage ernst war, habe ich zwölf Eilberichte an den Präsidenten, den Premierminister, den Staatssicherheitsdienst-Leiter, an das Ministerkabinett, aber auch an die UNO und den OSZE geschrieben. Allein an den Staatssicherheitsdienst und die Miliz habe ich in zehn Tagen 30 Briefe verfasst. Und bekam immer wieder die gleiche Antwort: Alles sei unter Kontrolle.
Wenn es wirklich so war und das Ganze von ukrainischen Sicherheitsdiensten angeleiert wurde, warum hat man dann ausgerechnet einen Russen, den Moskauer Igor Girkin zum Separatisten-Anführer der selbsternannten Volksrepublik Donezk gemacht?
Wenn Sie ein Verbrechen planen, würden Sie es selbst ausführen wollen oder das lieber einem Fachmann überlassen? Girkin ist bereit, für Geld alles zu tun. Er hat bereits auf der Krim perfekte Arbeit geleistet. Wenn Sie Russland diskreditieren wollen, würden Sie auch für solch einen Job einen Russen anheuern.
Wollen Sie sagen, dass Russland mit all dem nichts zu tun hat?
Heute führen Oligarchen gegeneinander Krieg. Manche von ihnen mussten aus dem Donbass nach Russland fliehen. Wen sollen sie dort bitte schön anheuern? Richtig, Russen. Heute haben wir es im Osten der Ukraine sowohl mit Russen als auch mit russischen Waffen und russischer Technik zu tun. Dafür muss aber nicht Russland geradestehen, sondern diejenigen, die nach Russland abgehauen sind.
Sie sind im April 2014 von Separatisten verhaftet worden. Wie war das?
Ich hielt mich in Mariupol bei Verwandten auf. Man rief mich an und teilte mir mit, dass, wenn ich nicht auf der Stelle nach Slowjansk zurückkehre, meine Kinder erschossen würden. Ich fuhr hin. Ich wurde zum „Volksbürgermeister“ von Slowjansk Ponomarjow bestellt. Anwesend war auch Igor Girkin. Ich wurde gefragt, ob ich mit der neuen Macht zusammenarbeiten würde. Ich sagte, nein. Dann haben sie mir den Text meiner Rücktrittserklärung diktiert. Sie waren nicht zimperlich mit mir. Jemand sagte hinter meinem Rücken mit russischem Akzent: „Bringt sie in den Knast, sie wird uns nur schaden!“
Wie gelang es der ukrainischen Armee Ihrer Meinung nach, am 5. Juli 2014 Slowjansk zu befreien?
Girkin hat mit Olexandr Turtschinow (ukrainischer Übergangspräsident, Anm. der Red.) und Irina Geraschtschenko (Beauftragte des Präsidenten für Friedensregulierung im Donbass, Anm. der Red.) Garantien ausgehandelt, dass seine sämtliche Technik und menschliche Ressourcen unbeschadet davonkommen. Daraufhin bildete sich eine 8km lange Kolonne, 4.000 Menschen, die aus Slowjansk abzog. Unterwegs in Konstantinowka haben sie zwei Supermärkte geplündert.
Wie verlief Ihre zweite Verhaftung in Charkiw?
Ich bin von der ukrainischen Staatssicherheit in Krasnyj Liman (Kleinstadt im Norden von Oblast Donezk, befreit am 4.06.2015, Anm. der Red.) abgeholt und nach Charkiw gebracht worden. Erst wurde ich in einem Hotel isoliert. Sie hatten wohl Angst, dass ich zu viel erzähle. Ich sollte schweigen. Mir wurde gedroht, dass ich des Separatismus beschuldigt würde, wenn ich rede. Ich bin darauf nicht eingegangen. Ich bin eine politische Gefangene, weil ich die einzige Bürgermeisterin im Donbass bin, die sie nicht mundtot machen konnten.
Warum gibt es keine Gerichtsverfahren gegen andere Bürgermeister von Donbass, die Separatisten unterstützt haben?
Ihnen ist wohl nichts vorzuwerfen. Ein Bürgermeister hat dafür zu sorgen, dass Wasser-, Gas- und Stromleitungen funktionieren. Für Staatssicherheit sind wir nicht zuständig. Mein Gewissen ist rein. Mehr noch. Ich war die einzige Bürgermeisterin in Donbass, die Sitzungen auf Ukrainisch abgehalten hat. Dafür wurde ich immer von anderen Bürgermeistern gehasst. Ich bin für die Ukraine. Das passt einigen offensichtlich nicht.
Womit beschäftigen Sie sich in der U-Haft?
Ich habe drei mal die Bibel durchgelesen. Da steht, man solle vergeben. Ich vergebe ihnen allen, Jazenjuk und Turtschinow und wie sie alle heißen. Ich bete jeden Tag für Jazenjuk und Poroschenko. Dass der Teufel aus ihren Seelen heraus und der Gott hinein geht. Der Krieg wird zu Ende gehen, erst wenn ihn keiner mehr finanziert.
Angenommen, Sie werden freigesprochen. Wann hören wir wieder von Ihnen?
In zwei Jahren. Ich werde Präsidentin und sorge endlich dafür, dass die Ukraine geeint wird.
Übersetzt von Irina Serdyuk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben