Politiker in der Wirtschaft: Bei Google kennt man die EU sehr gut
Immer mehr Europapolitiker wechseln nach ihrer Amtszeit zu Lobbyfirmen. Das hat absurde Folgen – und nährt den Politikverdruss.
„Wenn EU-Politiker Lobbyisten werden“ heißt die Analyse, die am Dienstag veröffentlicht wurde – und sie birgt Sprengstoff. Denn die drei ehemaligen Kommissare sind nur die Spitze eines Eisbergs. Ein Drittel der früheren Spitzenbeamten der EU-Behörde arbeitet nun für private Firmen, hat TI herausgefunden. Besonders beliebt sind Uber, ArcelorMittal, Goldman Sachs, VW und die Bank of America. Auch 30 Prozent der ehemaligen, ursprünglich nur ihren Wählern verpflichteten Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind inzwischen im EU-Lobbyregister verzeichnet. Viele arbeiten bei Brüsseler Beratungs- und Lobbyfirmen, einige haben sogar eigene Agenturen eröffnet.
Unter den gut bezahlten Lobbyisten sind auch bekannte deutsche Exabgeordnete wie Silvana Koch-Mehrin und Wolf Klinz (beide FDP). Nicht aufgeführt wird der frühere deutsche EU-Botschafter Wilhelm Schönfelder, der nach dem Ende seiner Amtszeit zu Siemens wechselte. Am dollsten hat es aber der Portugiese Barroso getrieben. Der frühere Kommissionschef wechselte von Brüssel nach London, wo er für die US-Investmentbank Goldman Sachs arbeitet. Er hat also gleich zweimal die Seite gewechselt – vom öffentlichen in den Privatsektor und von der EU in die USA.
Als das 2016 bekannt wurde, zögerte Barrosos Amtsnachfolger Jean-Claude Juncker lange mit einer Reaktion. Schließlich hatte Barroso die vorgeschriebene Karenzzeit von 18 Monaten eingehalten. Erst nach massiven Protesten, an denen sich auch viele Kommissionsmitarbeiter beteiligten, schritt Juncker ein, entzog Barroso den freien Zugang zum Kommissionsgebäude – und schlug vor, die „Abkühlzeit“ zu verlängern.
„Wir haben jetzt schon die strengsten Regeln der Welt“, betonte Junckers Sprecher nun nach Veröffentlichung des TI-Reports. Die Sperrfrist solle künftig auf zwei Jahre für Kommissare sowie drei Jahre für den Präsidenten angehoben werden. Auch das reicht nicht, halten die TI-Experten dagegen. Die Fristen müssten auf fünf beziehungsweise drei Jahre verlängert werden, um „Interessenkonflikte“ auszuschließen. Außerdem soll Brüssel eine unabhängige Ethikkommission einrichten, wie es sie in Frankreich gibt.
Auch die Parlamentarier wechseln in die Wirtschaft
Noch harscher fällt das Verdikt von Transparency für das Europaparlament aus. Es sei „besorgniserregend“, dass es keinerlei Regeln für den Übergang in die Privatwirtschaft gebe. Selbst für Assistenten gälten striktere Vorschriften als für die Abgeordneten. Zuständig für eine Verschärfung wäre Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) – doch der ist gerade auf dem Absprung nach Berlin, Ziel Kanzleramt. Sein Nachfolger Antonio Tajani (Forza Italia) gilt als wirtschaftsnah. In seine frühere Tätigkeit als EU-Industriekommissar fiel der VW-Dieselskandal, Tajani unternahm nichts.
Dennoch regt sich auch im Europaparlament Unmut. „Es öffnet Tür und Tor für Politikverdruss, wenn Politiker nach ihrem Mandat die schnelle Drehtür in die Wirtschaft nehmen“, sagte der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Er sieht die Schuld bei Konservativen und Liberalen, die kurz vor Weihnachten neue, härtere Regeln verhindert hätten. Die Grünen fordern, dass Abgeordnete, während sie vom Parlament ein Übergangsgeld erhalten, nicht noch zusätzlich als Lobbyisten Geld verdienen dürfen.
Das sehen auch die TI-Experten so. Darüber hinaus fordern sie auch für das Parlament eine unabhängige Kontrollinstanz. Besonderes Augenmerk sollten die Ethikwächter dabei auf Google werfen: Denn der US-Konzern ist laut TI „die einflussreichste Firma in der EU“. Nicht weniger als 115-mal habe sich die Drehtür zwischen Regierungsstellen in der EU und Google gedreht. Und mehr als die Hälfte der Toplobbyisten des US-Konzerns habe zuvor für die EU gearbeitet. So bleibt das Wissen über Europas Institutionen zwar in der Brüsseler Blase – aber es nutzt vor allem einem Unternehmen: Google.
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