Poliker-Reaktionen auf Hartz-IV-Urteil: Kosten soll es nichts
Routiniert reagiert die Berliner Politik auf das erwartete Urteil des Verfassungsgerichts zu Hartz IV. Die Koalition hat im Moment andere Sorgen.
In gewohnter Vielstimmigkeit haben Vertreter der Regierungsparteien am Dienstag auf das Karlsruher Grundsatzurteil zu den Regelsätzen für Langzeitarbeitslose reagiert. Dabei orientierten sich die Prognosen, wie teuer eine Neuberechnung den Staat kommen wird, vor allem an der jeweiligen Position im steuerpolitischen Grundsatzstreit.
So sieht die CSU, die seit einigen Wochen keine Steuersenkungspartei mehr ist, diesen Kurswechsel durch erwartete Mehrkosten bestätigt. "Das Urteil senkt den Handlungsspielraum für andere Aktionen, insbesondere für die Senkung von Einnahmen", sagte der Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich vor Journalisten in Berlin. Die FDP hingegen will die Hartz-IV-Sätze trotz neuer Rechenmethoden konstant halten, um sich die Aussicht auf Steuersenkungen nicht zu verbauen. "Dieses Urteil hat keinen Einfluss auf die Planungen der Koalition in Sachen Steuerreform", erklärte die Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger.
Routiniert fielen die Stellungnahmen allerdings auch deshalb aus, weil der Urteilsspruch den Erwartungen bei allen Parteien ziemlich genau entsprach. Die Karlsruher Entscheidung komme "nicht ganz unerwartet", formulierte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Die Neuregelung sei vor allem "eine Aufgabe der Bundesregierung und der sie tragenden Mehrheiten im Parlament", ergänzte der Mann, der die Hartz-IV-Reform als Staatsminister im Kanzleramt ersonnen hatte.
Am weitesten wagte sich Grünen-Fraktionschefin Renate Künast vor. Sie prognostizierte Mehrkosten von bis zu 10 Milliarden Euro. Die Regierung müsse sich daher von ihren Plänen für eine Kopfpauschale im Gesundheitswesen verabschieden, die einen teuren Sozialausgleich erfordere.
Während die ehemaligen Regierungsmitglieder Künast und Steinmeier die Hartz-Reform im Kern verteidigten, erklärte Linken-Fraktionschef Gregor Gysi diese für gescheitert. "Das Bundesverfassungsgericht hat über SPD und Grüne, aber auch über Union und FDP ein vernichtendes Urteil gefällt", so Gysi. Von einer "schallenden Ohrfeige für SPD und Grüne" sprach auch FDP-Fraktionschefin Homburger, obwohl die Landesregierungen mit FDP-Beteiligung dem Gesetz im Bundesrat einst zugestimmt hatten.
Die zuständige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die zur Urteilsverkündung nach Karlsruhe gereist war, kündigte ebenso wie Familienministerin Kristina Köhler (CDU) eine Neuberechnung der Sätze an. Von der Leyen rückte vor allem höhere Leistungen für Bildung in den Fokus, wobei sie aber die Möglichkeit offenließ, dass es sich dabei nur um Sachleistungen handeln soll. Diese Forderung erhob der Bürgermeister des Berliner Stadtbezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD). Unionsfraktionschef Volker Kauder bezweifelte, dass die Sätze nun tatsächlich steigen. Im Einzelfall könne die Neuberechnung auch zu niedrigeren Geldzahlungen führen.
Mit dem Verbreiten der vorbereiteten Stellungnahmen hielten sich die Koalitionsparteien am Dienstag allerdings nicht lange auf, sie hatten andere Sorgen. Beim routinemäßigen Treffen des Koalitionsausschusses am Morgen stritt man sich nicht ums Soziale, sondern um die Atompolitik. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erhob gegen den Koalitionspartner heftige Vorwürfe. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) bewege sich mit mit seinen Äußerungen zum Atomausstieg nicht mehr auf dem Boden des Koalitionsvertrages. Merkel brach die Debatte nach Teilnehmerangaben mit dem Hinweis ab, man könne nicht über einen Abwesenden diskutieren.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, nahm Röttgen anschließend in Schutz. "Norbert Röttgen hat den Boden des Koalitionsvertrags nicht verlassen." Es sei nachvollziehbar, dass nicht ausgerechnet der Chef des Umweltressorts die höchstmögliche Laufzeitverlängerung fordere. Röttgen hatte für acht Jahre plädiert, sein bayerischer CSU-Kritiker Markus Söder etwa für zehn Jahre.
Hinzu kamen Gerüchte, Röttgen habe nach der Bundestagswahl mit Hilfe des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers versucht, Kauder vom Posten des Fraktionsvorsitzenden zu verdrängen. Auch musste sich Kauder dafür rechtfertigen, dass er sich beim Ankauf der Schweizer Steuerdaten und der Grundgesetzänderung zugunsten der Jobcenter mit den Positionen der Fraktion nicht durchsetzen konnte.
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