Polens neuer Premier Donald Tusk: Kein politischer Cyborg
Unser nächster Regierungschef will ein polnischer Tony Blair werden. Und hat die besten Voraussetzungen: Tusk gilt als dynamisch und hat einen guten Draht zu jungen Leuten.
WARSCHAU taz "Ich bin heute der glücklichste Mensch der Welt", lautete die erste sinnvolle Nachricht, die vom Sieger Donald Tusk am Wahlabend zu hören war. Vielleicht war es nicht das Schlaueste oder Originellste, was der künftige Premier Polens sagen konnte. Aber dem 51-jährigen Chef der Bürgerplattform (PO) war dabei deutlich anzumerken, dass er einfach am Ende seiner Kräfte war. Er musste geschlagene drei Stunden Geduld zeigen, bis er endlich über seinen Sieg sprechen konnte. Grund waren technische Probleme bei der zentralen Wahlkommission, die erste Ergebnisse statt schon um 20 Uhr erst kurz vor Mitternacht bekannt geben konnte.
Als aber der ganze Wahlabend endlich vorüber war, habe ich verstanden, dass Donald Tusk einfach recht hatte: Er ist tatsächlich der glücklichste polnische Politiker seit Jahren.
Es gibt drei gute Grunde dafür. Erstens hat Tusk einen eindeutigen und unbestrittenen Wahlsieg errungen. Seine Partei scheiterte zwar knapp an einer absoluten Mehrheit; alle anderen Parteien aber sind bereit, mit ihm zu koalieren. Tusk könnte theoretisch sogar eine Regierung mit dem besiegten Kaczynski bilden, schließlich stammen beide aus dem ehemaligen antikommunistischen Lager der Solidarnosc und hatten eine gemeinsame Koalition schon vor den letzten Wahlen 2005 geplant. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sind es die Linken (LiD), die Tusk zuzwinkern. Und es gibt noch die Bauernpartei (PSL), die schon mehrmals erklärte, in dieselbe Richtung gehen zu wollen wie die PO. Politisch fehlt es also Tusk an den Alternativen nicht, und in der Politik ist das eher eine komfortable Situation.
Zweitens erwarten Tusk nun politische Flitterwochen mit der EU. Es war kein Geheimnis, dass europäische Medien, Eliten und Regierungskreise von Berlin bis Madrid Kaczynski als schlimmen Populisten, Nationalisten und Gefahr für die EU betrachtet haben. Deswegen werden sie jetzt Tusk als den Mann bejubeln, der Europa von Kaczynski befreit hat. Und alle haben sie ihm schon verziehen, dass es Tusks Partei war, die sich einmal die berüchtigte Formel "Nizza oder Tod" ausgedacht hat - anders als die neuen Regierenden in Warschau: "Polen lebt in der EU, nicht in den USA. Mit dem Raketenschild muss es sich also nicht beeilen", sagte gestern der mögliche Außenminister Bronislaw Komorowski und sammelte damit bereits erste Punkte in Europa für Polen.
Drittens ist Donald Tusk der erste Politiker mit idealen Voraussetzungen, ein politisches Idol der jungen Polen zu werden. Obwohl er nur acht Jahre jünger ist als Kaczynski, scheinen die beiden aus zwei verschiedenen mentalitätsgeschichtlichen Epochen zu stammen. Tusk ist offen, sportlich, spricht gern über Gefühle und ist alles andere als ein politischer Macho. Kaczynski gilt als verschlossen, hart und kompromisslos. Zwar wird er als ehrlich bezeichnet, strahlt aber keine Wärme aus. Eher schon wurde er von jungen Menschen als eine Art politischer Cyborg begriffen: keine Frau, kein Führerschein, kein Bankkonto, er lebt nur für die Politik. Im Gegensatz dazu ist Tusk verheiratet, hat Kinder und spielt Fußball. Bisher war dieser eher lockere Stil immer seine Achillesferse: Tusk wurde unterstellt, er sei nicht reif für ein so hohes Amt.
In diesem Wahlkampf war es aber ganz anders. Tusk ist es gelungen, sein Stil von einem strategischen Nachteil in einen politischen Vorteil zu verwandeln: "All you need is love. Heute haben Liebe und Optimismus gewonnen, nicht der konfrontative Stil der bisherigen Regierung", hatte er am Wahlsonntag gesagt - und damit auch seine Wahlkampfstrategie schön zusammengefasst. Anders gesagt: Tusk hat diesmal ganz konsequent den polnischen Tony Blair gespielt. Seine ganze Kampagne hat er besonders auf die jungen Leute ausgerichtet. Er fuhr nach Großbritannien, wo seit dem EU-Beitritt über eine Million junge Polen leben und arbeiten. Er hat sich als eine pragmatische und moderne Alternative zum altmodischen und - unter jungen Leuten - unpopulären Kaczynski profiliert. Seinen Gegner hatte er bei einem Fernsehduell gebeten, ihn mit seinem Kosenamen anzusprechen: "Sag Donek zu mir." Und genau das hat ihn am Sonntag seinen Sieg eingebracht.
Nun startet Tusk also aus der Poleposition. Er muss aber sehr aufpassen: In der Politik ist Popularität kein Geschenk für die Ewigkeit, was auch sein Vorbild Tony Blair am eigenen Leibe erleben musste. Als der 1997 die Macht übernahm, haben ihm auf den Straßen Londons Tausende zugejubelt. Zehn Jahre später ist er aus dem Amt geschieden. Unpopulär. Und es hat an dem Tag sogar geregnet.
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