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Polen wittern VerschwörungDer Nachbar ist der Böse

Vor dem Präsidentenpalast in Warschau trauern die Menschen und tauschen fleißig Verschwörungstheorien aus. Viele geben Russen und Deutschen die Schuld für den Absturz.

Dass die Präsidentenmaschine abstürzte, weil Lech Kaczynski ungeduldig die Landung erzwingen wollte? Für viele Polen kaum denkbar. Bild: ap

WARSCHAU taz | Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur in Polen. Seit dem Absturz der polnischen Präsidentenmaschine im westrussischen Smolensk brodelt die Gerüchteküche. "Wer ist schuld?", ist die zentrale Frage. Die größte Umschlagbörse für Verschwörungstheorien ist zurzeit die Straße vor dem Warschauer Präsidentenpalast. Sie musste für den Verkehr gesperrt werden, da sich immer mehr Menschen in die Kondolenzbücher eintragen möchten, dort trauern und die neuesten Gerüchte austauschen.

Am Dienstag hat es nun auch die Deutschen erwischt. Die neueste Verschwörungstheorie sieht die Deutschen als Komplizen der Russen. Vor dem Präsidentenpalast schwenkt eine grauhaarige Frau die deutsche Bild-Zeitung vom Montag. Sie ruft: "Die Deutschen wollen Kaczynski die Schuld für den Absturz in die Schuhe schieben!" Viele drehen sich um. "Was? Wieso das denn?", fragen die einen, während andere sofort nicken: "Das ist doch wieder typisch deutsch!"

Die Alte übersetzt die Bild-Schlagzeile: "Zwang Polens Präsident den Piloten zur gefährlichen Landung im Nebel?" Ein Motorradfahrer in schwarzer Kluft zuckt die Achseln: "Ja und? Das fragen wir uns doch auch!"

Andere widersprechen. "Das ist doch klar, dass die Deutschen jetzt wieder mit den Russen gemeinsame Sache machen", empört sich ein beleibter 50-Jähriger. "Die können gar nichts anderes - die Teilungen Polens, dann der Hitler-Stalin-Pakt, die Ostsee-Pipeline! Und jetzt auch noch der Tod unseres Präsidenten!"

Das Stereotyp, dass sich Deutsche und Russen gern zusammenschließen, um den Polen etwas Schlechtes anzuhängen, ist in Polen weit verbreitet. Es taucht immer dann auf, wenn sich die Polen übergangen oder diskriminiert fühlen. Nicht alle Polen denken so, aber viele.

So ist auch die Entstehung der ersten Verschwörungstheorie am Unglückstag zu erklären. Nach dem Absturz in Smolensk war nicht klar, was eigentlich genau passiert war, da standen die Schuldigen für viele Polen schon fest. Denn in der Logik der Verschwörungstheorien zählt nicht die Frage: "Was ist passiert?", sondern: "Wer könnte ein Interesse daran haben, dass das Flugzeug des polnischen Präsidenten abstürzte?"

Da Lech Kaczynski bei dieser Gedenkfeier in Katyn mit Sicherheit eine scharfe antirussische Rede halten wollte, lag die Antwort scheinbar auf der Hand: Russland würde am meisten profitieren.

Auch Lech Walesa, der frühere Präsident Polens, stieß ins gleiche Horn. In einer ersten Telefonschalte am Samstag kurz nach dem Unfall nämlich ächzte er: "Vor 70 Jahren haben die Sowjets in Katyn die polnische Elite ermordet. Und jetzt haben sie wieder die polnische Elite …." Das letzte Wort verstanden die Zuschauer nicht mehr, denn der Moderator hatte Walesa geistesgegenwärtig den Ton abgedreht. Später ging das Zitat Walesas erneut über den Äther, in bereinigter Form: "Vor 70 Jahren haben die Sowjets in Katyn die polnische Elite ermordet, und heute ist erneut die polnische Elite ums Leben gekommen, auf dem Weg dorthin, wo sie der getöteten Polen gedenken wollten."

In Polens Medien bemühen sich alle, die Spekulationen über die Schuldigen an dem Flugzeugunglück aus den Sendungen herauszuhalten. Doch die Frage "Wie kam es zu dem Absturz?" wird immer drängender. Ein Pilotenfehler, noch dazu bei der Präsidentenmaschine, war lange nicht vorstellbar. Erst am Dienstag verdichteten sich die Hinweise darauf. Die alte russische Maschine vom Typ Tu-154 war erst 2009 generalüberholt worden. Technisches Versagen wurde von allen Experten ebenfalls ausgeschlossen.

Deshalb mussten die russischen Fluglotsen schuld sein. Inzwischen scheint allerdings auch deren Schuld ausgeschlossen werden zu können. Sie hatten den Piloten der Unglücksmaschine rechtzeitig und mehrmals vor dem dichten Nebel in Smolensk gewarnt und empfohlen, entweder woanders zu landen oder aber nach Warschau zurückzukehren. Dass die erfahrenen Piloten dann trotzdem viermal zu landen versucht haben sollen, ist so ungewöhnlich, dass eine Intervention des Präsidenten oder der Generale möglich erscheint. Doch dann bliebe die Frage nach demjenigen unbeantwortet, der doch ein Interesse an dem Absturz haben müsste. Und es gäbe auch keine Verschwörung gegen Polen.

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17 Kommentare

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  • M
    Marek

    Ich bin der Meinung das bei diesen Thema eh nur Polen mit reden können und keine anderen Nationalitäten die ihr Wissen aus den Internationalen Medien haben.

  • K
    kaleb

    Die einzige Verschwörungstheorie, an die ich glaube, ist der Hype von tiefen Dekolletees durch den Axel-Springer-Verlag.

    Wenn so ein BILD-Leser in der U-Bahn seine Zeitung wie einen Riesen-Stadtpaln auseinanderfaltet, sieht man sogleich so eine Silikon-Diva, die so tut, als wäre ihr obszöner tiefer Ausschnitt das Normalste von der Welt.

    Diese "Divas" fehlen auf keiner Hochglanzbroschüre.

    GOTT zürnte beim Tanz der Juden um das goldene KALB (2. Mose 32), aber beim Tanz um die goldene KUH sieht er scheinbar weg.

    Da wollt ihr Springerlinge dem Volk eine neue Norm unterjubeln, und selbst davon profitieren, stimmt's?

    ;-)

  • M
    Mickel

    Bin ich eigentlich der erste der das bemerkt? Lest einmal laut:

    - Las Katyński (= Wald von Katyn)

    - Lech Kaczyński

     

    Zufall? Ach, ich liebe Verschwörungstheorien! ;-)

     

    ("Las Katyński" ist der Titel eines polnischen Films von 1990 über das Massaker: http://www.imdb.de/title/tt0262540/)

  • OF
    Oldrich Fojt

    Wenn jemand der polnischen President getoetet hat,was nicht unvorstellbar ist, so waren da3 die Leute von NWO- Freimauernbande. Polen ist durch sein katholicismus - neben Litauien - d. einzige Land in Europa, wo der Multikulti-Konzept nicht durchgesetzt war.

     

    Leser aus Boehmen

  • A
    Aline

    Ähm, bitte?

     

    Was soll denn dieses Gerede vom "schlecht recherchierten "Artikel?

     

    Was kann man denn besseres tun, als genau die Szene wiederzugeben, die man erlebt hat?

    Also zu schildern, wie eine alte Frau anderen Menschen einen Bild-Artikel zeigt?

     

    Es wird gesagt, dass manche Polen Russland für den Absturz veranwortlich machen.Wo ist da bitte die "Schuldzuweisung an Russland" seitens der Autorin?

     

    Ein Hetzartikel soll es sein. Also, ich hab ihn als ruhig empfunden.

     

    Ein kommentierender Leser beschwert sich, in dem Artikel würde die "Bildzeitung" (sic!) als Argument für Antipolnische Hetze benutzt." Häh? Welche Antipolnische Hetze? In dem Artikel wird geschrieben, die alte Frau übersetzt den Unmstehenden die Bild-Schlagzeile "Zwang Polens Präsident den Piloten zur gefährlichen Landung im Nebel?"

     

    Es wird kommentiert:

    ""Nicht alle Polen denken so, aber viele" Was soll das?"" Das soll eine persönliche Einschätzung sein denke ich.

     

    Eine polnische Leserin kommentiert "Wir geben niemandem (und sicherlich nicht unseren Nachbarn) Schuld für den Abstrurz. Den Artikel finde ich inkompetent." Ach du meine Güte... Wie kann denn ein einzelner Mensch wissen, was alle sein Landsmänner und Frauen denken und tun? Und sich so beleidigt fühlen..

     

    Ist das soweit nachvollziehbar?

     

    Also ich bin gerade ziemlich durch die Kommentare irritiert.

  • R
    rose

    Nun,über den "Artikel" bzw.sein unterirdisches Niveau brauche ich mich nicht mehr zu äussern.Was mich interessiert,ist die Frage,ob die Autorin beauftragt wurde,ein solches Machwerk mit der Schuldzuweisung an Russland zu erstellen,oder ob sie lediglich bei der Springer-Presse abgeschrieben hat?

    Oder ist es die Absicht,denkende Leser der taz zu vergraulen?

    Ich zumindest fühle mich ob dieses Machwerkes beleidigt!

  • C
    carpediem

    Zweifelsfrei handelt es sich hier um einen schlecht recherchierten "Hetzartikel". Da stellt sich für mich die Frage was der Autor dieser Zeilen beabsichtigt. Und wer hier der eigentliche Schöpfer von gefährichen Verschwörungstheorien ist. Nur zu schade, dass der Autor die Mühe scheute sich mit den tatsächlichen Ereignissen die gegenwärtig in Polen geschehen gründlich auseinanderzusetzen. Dazu hätte (das muß hier klar gesagt werden!)der drittlassige Möchtegern-Journalist" beispielsweise die aktuelle polnische Presse studieren sollen. Stattdessen wird eine alte Rentnerin und die "Bildzeitung" (sic!) als Argument für Antipolnische Hetze benutzt.

    Ich bin noch gestern in Polen gewesen und kann berichten, dass jedermann der dieses Land annähernd kennt, weis, dass diese Anschuldigungen die in dem hier publizierten Artikel

    geäußert werden ganz grobe Verfälschungen der polnischen Realität darstellen.

    Zitat:"Da Lech Kaczynski bei dieser Gedenkfeier in Katyn mit Sicherheit eine scharfe antirussische Rede halten wollte, lag die Antwort scheinbar auf der Hand: Russland würde am meisten profitieren."

    Frage: AuF welcher Grundlage stellt der Autor dieser (zynischen) Zeilen eigentlich seine Behauptung auf?????

    Kaczynskis Rede die er bei der Gedenkfeier halten wollte ist seit mindestens 2 tagen in der polnischen Presse (und im übrigen auch im Internet) publiziert worden und auch frei von antirussischen Ressentiments. In dieser Rede werden die Opfer der Massaker von Katyn gewürdigt sowie die Hoffnung auf die angemessene Aufarbeitung dieses für das polnische und russische Volk dunklen Kapitels der gemeinsamen Geschichte.

    Nachzulesen unter, und selbstverständlich in Polnisch: http://www.rp.pl/artykul/460070_Najtragiczniejsza_stacja_polskiej_Golgoty.html

  • E
    Ernie

    "Nicht alle Polen denken so, aber viele" Was soll das?

     

    Hetzartikel...

  • M
    Martin

    wie wär's denn damit: der präsident war ein spion des bnd und ...

     

    doch der unfall ist nicht völlig sinnlos:

    nun sehen wir die reisepraxis unseres außenministers, der mit seinen amigos unterwegs ist, also mit der antielite deutschlands, etwas positiver.

  • X
    XYZ

    Nein,nein, nein,gar nicht inkompetent oder Bild-Niveau, sonder schlichte Beobachtung der Diskurse die in Polen sich schon immer um Deutsche-und-Russen-schlagen-bald-wieder-zu-Wartet-nur-ab! drehen. Man sieht mal wieder in was für einer Misere sich das land befindet. Perspektivlosigkeit totale :( und die Schere geht immer weiter auf...

  • S
    scherbengericht

    Daß die Polen paranoid sind und bleiben, weiß nun wirklich jeder, de nur mal einen halben tag tag da war. ein unheimliches geschwerl...

  • A
    Anna

    Ich bin Polnisch und die einzigste Verschwörungstheorien über den Absturz habe ich in deutschen Zeitungen gelesen. Wir geben niemandem (und sicherlich nicht unseren Nachbarn) Schuld für den Abstrurz. Den Artikel finde ich inkompetent.

  • WE
    Was erlauben Strunz

    Leute,

     

    bitte nicht von der taz.

     

    Eigentlich sehr gute bis gute Recherchen und nun das :-(

     

    Das ist höchstens das Niveau von Bild.

     

    Euer Trappatoni

  • WG
    Wolf GB

    Muss der Herr K. die Königsgruft wieder verlassen, wenn nicht die Deutschen oder die Russen, sondern sein "Drang zur Pünktlichkeit", der Druck auf die Flieger, Unglücksursache war ?

     

    Das passt weniger ins Bild als das Medienmärchen von der angeblich verlorenen "Elite", das war so oft zu hören, daß es schon geglaubt wird....

    ich bedaure die Polen, weil sie Idole brauchen...

     

    der Wolf

  • R
    rose

    Wenn die Machwerke des Springer-Imperiums,entgegen den bekannten Tatsachen,den "Russen" die Verantwortung für die

    Flugzeugkatastrophe zuweisen wollen,so ist das nichts Neues.Militante Russophobie gehört bei denen zur Geschäftsgrundlage.Aber nun auch die taz,die auf dieser Schiene fährt...Wenn taz-autoren das logische Denken verlernt haben-deren Sache.Aber die Leser für Dumm und Unfähig,bar jeglichen Hintergrundwissens zu halten,das grenzt schon an Beleidigung!

    Versucht es doch mal mit realen,geprüften Informationen.Ubnd traut den Lesern bitte etwas Verstand zu.

  • M
    Monika

    Sehr viele Informationen, die in dem Artikel zu lesen sind, stimmen der Wahrheit nicht zu, was ich unglaublich peinlich finde. Ich mache mir Gedanken, wo die Objektivität und Professionalität der Journalistin ist?

    Erstens schreiben die Polen den Deutschen keine Schuld zu, man darf doch nicht aus einem Einzelfall der alten Frau so komisch klingelnde Schlussfolgerungen ziehen. Zweitens haben die Piloten nicht versucht, viermal zu landen. Woher hat die Reporterin soche Informationen? Vielleicht hat sie Probleme, Polnisch oder Russich zu verstehen? Mit solchen unobjektiven und

    unlogischen Interpretationen hatte ich noch nie zu tun.

     

    Leserin aus Polen

  • TM
    Thomas Malat

    Dieser Artikel ist vollkommen aus dem Finger gesogen.

    Die Autorin sitzt in Berlin und schreibt Kramm der zu ihrem Bild von Polen passt.

    Ich bin in Warschau, habe seit Samstag HUNDERTE Artikel aller grossen Zeitungen von links bis rechts studiert, desweiteren Fernsehinterviews und dutzende Blogs gelesen.

    Auf KEINEM ist die Rede von Verschwoerung.

    Dieser Artikel ist meiner Meinung nach Propaganda und unwahr.